Zurückhaltung, Bescheidenheit und natürlich auch das Wissen, wann man mal nichts sagen sollte – wer könnte „die wichtigsten Attribute eines Helden“ besser verinnerlicht haben als derjenige, der diese weisen Worte in der „Grimme-Preis-Edition“ seiner prämierten 3sat-Show „Noch nicht Schicht“ gesprochen hat? Und wenn wir schon beim Thema sind: Preise? „Ich bitte Sie“, winkt der Weisesprecher ab, „Preise sind etwas für Fahrgeschäfte, Baumärkte oder aber den Discounter. Ein Gentleman, der muss nicht geehrt werden. Ein Gentleman ehrt.“

Oookay. Dann fühlen wir uns geehrt, dass eben dieser „Gentleman“ für unsere 20. „Nahaufnahme“ ein bisschen mehr sagt als nichts.

Eine gute Woche schon darf sich Sebastian Pufpaff Grimme-Preisträger nennen, als er das Videofenster öffnet zum Zuhause in Bad Honnef, dem Rentnerparadies am Rhein. Dasselbe Heimbüro wird sichtbar, aus dem er seit März 2020 mit ein paar Unterbrechungen montags bis donnerstags seine Gedanken zu „Corona und die Welt“ verbreitet. #WeRemember: Angela Merkel sprach, es ist ernst. Alles stand still, nur nicht Sebastian Pufpaffs flinke Finger. Statt wie geplant mit dem aktuellen Programm „Wir nach“ auf Bühnentour zu gehen, was plötzlich verboten war, ging eine SMS raus an Roman Beuler, den Leiter der Spaßabteilung des ZDF: Ich mach da was für Youtube, das wär‘ auch gut für euch. Wenig später war die erste Ausgabe von „Noch nicht Schicht“ auf Sendung, drangestöpselt an die 3sat-„Kulturzeit“ und bereit zum Download in der Mediathek.

Erstaunlich, wie unkompliziert und schnell öffentlich-rechtliches Fernsehen manchmal gehen kann.

Sebastian Pufpaff © ZDF/3sat/Marcel Behnke
Aus der One-Man-Show im Hauruckverfahren, komplett im Hause Pufpaff produziert, ist ein Lockdown-Produkt von unverhoffter Haltbarkeit geworden. Von den vielen Formaten, die sich im vorigen Frühjahr spontan auf den Weg ins Fernsehen machten wie „Die Quarantäne-WG“ (RTL) von Jauch, Gottschalk & Pocher, hat Pufpaff eben „noch nicht Schicht“ gemacht. Er arbeitet weiter im Akkord, stets akkurat gescheitelt und gekleidet im „Blaumann“, der in seinem Fall ein begräbnistauglicher schwarzer Anzug ist, und ohne erkennbaren Abfall der Scherzdichte und Gedankenfrische. Auch nach mehr als hundert Folgen ist das so. Obwohl (oder weil?) der Wecker um 4.45 Uhr klingelt, wenn er Schicht hat, so wie an diesem Tag.

In aller Herrgottsfrühe hat „Onkel Puffi“, wie er sich selber gerne nennt, die Schlagzeilen geflöht und daraus ein Stand-Up gebastelt, das korrekterweise ein Sit-Down ist. Denn den Schreibtisch im Arbeitszimmer verlässt er praktisch nicht, bis mittags um halb eins das rote Kameralicht ausgeht. Zwei Meter Luftlinie weiter ist das erste Kinderzimmer respektive die Außenstelle der Grundschule von Pufpaffs Kindern. Wenn Papa sich mit Pomade und Dienstklamotte fertig für die Fernseharbeit macht, das hat er den kleinen Pufpaffs, sechs und neun Jahre alt, eingeimpft, gilt für die anderen im Haus: Ruhe! Internetsperre! Auch kein Lernprogramm ANTON! Die extra installierte 500-mBit-Leitung muss fürs HD-Bewegtbild Rhein auf nach Mainz zum ZDF frei sein.

Manchmal komme er sich vor wie einer dieser Straßenmusikanten in der Fußgängerzone: vorne die Gitarre, an den Lippen die Mundharmonika, auf dem Rücken die Trumm und den Fuß am Pedal fürs Tambourin, sagt Sebastian Pufpaff. „Alles allein zu machen, ist schon nicht unanstrengend.“ Gut, für Kamera, Ton und Regie ist fernab sein wichtigster Mitstreiter Marcel Behnke verantwortlich und fürs Geschäftliche sein Agent und Produktionspartner Ralf Remmel in Köln. Aber der Rest, Text, Präsentation, Requisite (und da insbesondere die kreative Zettelwirtschaft an der Wand hinter ihm), Haare, Makeup – das alles bleibt an jenem Mann hängen, der jetzt frisch geföhnt und eingecremt die glänzende Nase ganz nah zur Laptopkamera streckt und erschrickt, oh Gott, ob des ungepuderten Spiegelbilds. Ist nicht schlimm, kann man ihn trösten, wir machen ja hier bei DWDL kein Fernsehen.

Aus dem Corona-Wahnsinn täglich Humor zu schöpfen, ist eine Kunst, die „Le show, c’est moi“-Pufpaff bestens beherrscht. In seinen Worten hört sich sein Sendekonzept so an: „Was Kollegin Mai mit MaiLab so wunderbar und perfekt journalistisch aufbereitet, da bin ich die Sahne oben drauf, die das mit einem Lacher garniert.“ Bei Pufpaffs wird das Thema Corona indes auch ganz seriös und ernst verhandelt: Die Ehefrau arbeitet im Gesundheitsamt, und zwar in der Corona-Taskforce. Er ist also relativ nah dran am Verwaltungsort des Pandemiegeschehens. Die eine und die andere wahre Geschichte etwa über Quarantäne-Brecher lässt er dann schon mal in seine Sendung einfließen.

Wenn er sich sonst in der öffentlich-rechtlichen Landschaft umschaue, sehe er, und damit hat Sebastian Pufpaff leider völlig recht, „wenige Alternativen im Umgang mit Corona“: „Wenn wir nach 14 Monaten Pandemie nichts anderes parat haben als Talkshows, in denen immer wieder dieselben Politiker und dieselben Vertreter mit Seuchenkompetenz sitzen, dann, muss ich ehrlich sagen, finde ich das traurig.“ So gesehen ist es umso erstaunlicher, dass er selbst es geschafft hat, da etwas „umzukrempeln“. Plötzlich scheint es möglich, aus dem 30-60-90-Standardminutenraster auszubrechen, auch wenn man nicht das „Wort zum Sonntag“ spricht. Guckt mal, in sieben Minuten, da geht sehr wohl was.

"Sendeplätze sind häufig wie Intelligenz rar gesät"

Rechnet man die Sendezeit von vier Mal „Noch nicht Schicht“ zusammen, kommt man auf ungefähr eine „heute-show“, deren festes Ensemble-Mitglied Sebastian Pufpaff seit 2015 ist. Die Weißkittel-Nummer des impfüberforderten Hausarztes, die er dort am gestrigen Abend gab, hätte sehr gut auch zu „Noch nicht Schicht“ gepasst. In abgewandelter Form kam das Thema dort auch schon vor. Das tägliche Herausgefordertsein in der eigenen 3sat-Show, klar, das bedeute Druck, gerade an den Tagen, wo er denke, boah, mir fällt nichts ein. Aber diesen Druck empfindet Pufpaff als „erfrischend“: Er lege Kräfte frei, die er vorher so noch nicht kannte. „Ich habe einen neuen Pufpaff in mir entdeckt und kann meine Vielseitigkeit zeigen.“

Und die kommt vorzüglich zum Vorschein, wenn er sich zum Beispiel in den Harald-Schmidt-Gedächtnis-Glitzereinteiler zwängt, eine grüne Filzmütze mit Spikes aufsetzt und das erste Interview als „DJ Covid-19“ gibt: In dieser Sketchnummer hält das personifizierte Virus die „thumbs up“ an Chrissy Drosten. („Kennen se, sieht aus wie der dritte Bruder von den Oasis-Typen.“) und an „die geile Uschi“ Melanie Brinkmann. Und bevor das Gebrüll losgeht, klärt Sars-CoV-2 sofort auf, das sei natürlich nicht sexistisch gemeint: „Sexismus kann das Virus nicht. Es hat nicht mal einen Penis geschweige denn eine Mumi.“

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Speziell? Das ist Sebastian Pufpaffs Humor allemal – und unbedingt phänomenal. Die immer wieder gern geschwungene Sexismus-Keule schwingt er auch in seinem aktuellen Bühnenprogramm. Wenn er dort sagt, Freunde, ich verstehe diese Sexismus-Sache nicht, Frauen haben immer die Chance sich hochzubumsen, ich als Mann aber nicht, das ist doch keine Gleichberechtigung – dann hat jeder und jede die Wahl, sich selbst zu erkennen, ob als Sexist oder als Feminist. Auch wenn das für ihn schon oft verwendete Prädikat abgenutzt sei, sagt Pufpaff: „Ich bin da gerne Till Eulenspiegel, der der Gesellschaft den Spiegel vorhält.“

Was er aber nie sage, schon gar nicht mit erhobenem Zeigefinger, wie ihn manch anderer Kabarettkollege in die Höhe reckt: Seid sexistisch oder seid feministisch! So versteht Pufpaff seine Kunst nicht, sondern: „Ich biete ein Portfolio an Arschlochsein an, und jeder kann sich daraus bedienen und damit auseinandersetzen. Meine Form der Provokation ist, dass ich Denken provozieren will.“

So daneben liegt er mit dieser Masche jedenfalls nicht. Beim ZDF hält er nach eigenen Angaben einen Rekord: 96 Prozent der Kommentare auf Facebook und Youtube zu „Noch nicht Schicht“ seien positiv. Ein Candystorm sozusagen. Und das will in diesen dauerregten Zeiten schon was heißen.

Sebastian Pufpaff © ZDF/3sat/Marcel Behnke
Nun gehört Sebastian Pufpaff zu den glücklichen Live-Künstlern, die trotz der Viruskatastrophe weiter in ihrem Beruf arbeiten können. Und bevor man sich das Wort überhaupt auszusprechen traut, haut er den „Arsch“ fröhlich raus. Ja, definitiv, „Noch nicht Schicht“ habe ihm „den Arsch gerettet“, sonst wäre er „vielleicht Paketbote“ geworden. Man weiß es nicht. „Ich habe halt den Vorteil, eine Fernsehfresse zu sein.“ Das hält ihn, der sein Handwerk einst beim Teleshopping und als Kommunikationstrainer lernte, wiederum nicht davon ab, an die vielen Nicht-Fernsehfressen zu denken. Im Gegenteil. So nutzt er seine Sendung, ach was, jede Gelegenheit, um auf die Nöte der Kultur aufmerksam zu machen. Zur Not geht er auch zu „Maybrit Illner“ wie im vorigen Juni.

Mit seinem Besuch bei der ZDF-Talkshow-Queen (er war nur zugeschaltet) hadert er immer noch. Kanzleramtsminister Helge Braun habe ihm „offen ins Gesicht gelogen“: Herr Pufpaff, morgen kommt der große Wurf der Bundesregierung zur Rettung der Kulturszene. Und am nächsten Tag war: nichts. Gar nichts. Einfach nichts. Das war für ihn eine Zäsur. Wenn ihn jetzt einer frage, wie man den Kulturschaffenden helfen könne, dann antworte er: „Entsprechend wählen. Nicht das, was an der Macht ist. Und auf keinen Fall Blau.“

Inzwischen haben sich ja auch anderweitig „Kulturretter“ zu Wort gemeldet, Jan-Josef-Lief-da-was und Co. Ausgerechnet im Satirekleid! Was Pufpaff, der Experte vom Fach, davon hält? Zusammengefasst: Nichts. Gar nichts. Einfach nichts. Kontraproduktiv sei die Aktion #allesdichtmachen gewesen, weil sie den falschen Leuten in die Hände spielt. Stand-Upper aus Köln fährt für Hermes Pakete aus und soll aus der Künstlersozialkasse rausgeschmissen werden, weil er den meisten Lohn aus nicht-kreativer Tätigkeit bezieht – so was hätte er hören wollen und nicht jemanden in die Tüte atmen sehen, von dem er weiß, dass er Luxuswagen fährt.

„Satire sollen doch bitte die machen, die Satire können“, findet Sebastian Pufpaff, „und wenn man Satire unbedingt machen möchte, sich aber des Handwerks nicht so ganz bewusst ist, dann bitte nachfragen.“ Bei ihm etwa? „Nicht bei mir, um Gottes Willen.“ So wichtig will er sich gar nicht nehmen. Er will auch gar nicht komplett in Abrede stellen, dass sich hinter den #allesdichtmachen-Filmchen „hehre Ziele“ verbergen. Die gingen halt nur im Gesamtbild unter: „Sie können nicht im Bildband von Leni Riefenstahl einen jüdischen Künstler unterbringen, um dann zu behaupten, es war nicht alles schlecht.“

Wie schlägt man jetzt den Bogen zurück zu guter Satire? Und wo findet man die überhaupt noch, wenn Sebastian Pufpaff am 10. Juni das Licht von „Noch nicht Schicht“ ausmacht? Um seinen DJ Covid-19 zu zitieren: „Sendeplätze sind häufig wie Intelligenz rar gesät.“ Dreimal musste er schon darum kämpfen, dass es weitergeht. Und jetzt, wo sich sein Corona-Daily eigentlich schon zum von der Seuche losgelösten Format mit an guten Tagen um die eine Million Zuschauer entwickelt hat?

„Wir sind leider viel zu erfolgreich, um abgesetzt zu werden“, antwortet er in typischer Pufpaff’scher Unbescheidenheit. Trotzdem ziehe man selbst den Stöpsel in der Hoffnung: „Wenn irgendwo eine Tür zugeht, geht woanders eine auf.“ Und um die Sache noch erratischer zu gestalten, schiebt er noch den Satz hinterher, er sei „ein strenger Verfechter des Aufhörens, wenn es am schönsten ist“.

Übersetzt heißt das: Schaun mer mal, dann sehn mer scho.

(Widerruf: Die Autorin war an der Grimme-Preis-Findung beteiligt.)