Jan Hofer zog die Krawatte aus, Linda Zervakis trank Ouzo. Und was hat Petra Gerster in ihrer allerletzten "heute"-Sendung am Mittwoch getan? Das Zitat eines "Fußballphilosophen" ausgepackt. "Ausnahmsweise", wie die scheidende Moderatorin der ZDF-Hauptnachrichten betonte. Bis dato hatte sie in der Tat keine besondere Liebe zum Fußball erkennen lassen. Aber dann babbelte sie im schönsten Hessisch-Serbisch-Kauderwelsch jene Dreierwortkette, die Eintrachts Trainer-Ikone Dragoslav "Stepi" Stepanović nach dem Rostock-Desaster 1992 bildete: "Lebbe geht weider."

Fußball, Stepi und Petra Gerster – wie passt das bitte schön zusammen?

Eigentlich ziemlich gut, wie man am Morgen danach erfährt. Das Telefon daheim in Mainz steht kaum still. Freunde, Bekannte, Kollegen, alle wollen alles Gute für das weitere "Lebbe" wünschen. Auch das SWR-Radio hat sich in die Warteschleife eingereiht. Dabei ist die Anchorwoman a.D. emotional und hörbar immer noch geplättet.

Piccolo im Strohhalm gab’s am Abend zuvor – mehr Frivolität ließ der strenge Pandemiestab des ZDF zu Gersters Lerchenberg-Abschied nicht zu. Auf der Riesenleinwand im "Fernsehgarten", wo sonst Andrea "Kiwi" Kiewel waltet, schauten sie alle im Corona-konformen Abstand die 21-Minuten-Fassung jenes Films an, von dem das Fernsehpublikum in der "heute" zuvor zwei Minuten zu sehen bekommen hatte: Stationen aus 32 Berufsjahren beim ZDF, 23 davon am Nachrichtenpult, wo sie exakt 3361 Mal um 19 Uhr begrüßte "Guten Abend und herzlich willkommen zu den ,heute‘-Nachrichten". Nun zieht sie sich zurück. Warum noch mal mit Stepi?

Wieso gerade ein Stepi-Zitat?

Na, weil sie ihre Redaktion verblüffen wollte, sagt Petra Gerster, die halte sie nämlich in Sachen Fußball für "eher desinteressiert". Ein Bekannter hatte einmal Stepis Worte zitiert, und da dachte sie, guter Spruch, den kann man mal einsetzen. Erst im Nachhinein habe sie erfahren, dass Stepi vor Jahrzehnten sogar in Worms, ihrer Heimatstadt, gespielt habe – "eine schöne Beziehung zu mir".

Stimmt. Und damit sie künftig mit weiterem Fußballwissen glänzen kann, ein weiteres Bonmot an dieser Stelle: Auf die Frage eines Reporters, was die kommende Woche bringe, antwortete Stepi einmal: "Montag, Dienstag, Mittwoch, Donnerstag . . ."

Petra Gerster © ZDF/Jana Kay
Der 15. August 1998 war ein Samstag, Stepi weit weg in Athen und Kohl nicht mehr lang Kanzler, als Petra Gerster ihren "heute"-Dienst antrat und sich fest einschnüren ließ in das Korsett einer Nachrichtenredaktion. Einengend empfand sie es allerdings "niemals", sagt sie, "ein Korsett gibt auch Halt." Die "heute"-Sendung samt den "wirklich sehr feinen Menschen" in der Redaktion, mit denen sie über die wichtigen Dinge, die in der Welt passieren, diskutieren konnte, sei ein "Stabilitätsanker" in ihrem Leben gewesen – so wie sie vice versa der Anker war für das mit ihr alternde ZDF-Publikum. Was, 66 ist sie schon?! Gerster-Fans können es kaum glauben.

Ende 2020 wollte sie sich eigentlich schon in den Ruhestand verabschiedet haben. Sie blieb aber auf Bitten ihres Senders bis eben zu diesem Frühjahr. Im "Fragebogen" eines Fachmagazins gab sie unlängst als ihre Stärke an, "nicht ohne Courage" zu sein, "wenn es darum geht, sich bei Oberen in die Nesseln zu setzen". Das lässt auf eine gewisse Bockigkeit schließen.

"Absolut", antwortet Petra Gerster, "bockig ist das richtige Wort." Sie sei halt jemand, der mit seiner Meinung nicht hinterm Berg halte, auch nicht gegenüber Vorgesetzten. "Ich neige nicht dazu, meine Worte anzupassen, um möglichst elegant ein Problem zu umschiffen." Damit ecke sie natürlich an. Und verbaue sich ab und zu eine Chance. Etwa die Chance zu Höherberufenem? Eine Laufbahn in der Senderhierarchie hätte sich "auch deswegen nicht gut vertragen", sagt sie. Abgesehen davon findet sie: "Ich selbst bin kein Hierarchie-Typ."

Wie das jetzt nun zusammenpasst bei einer Frau, die als große Streiterin für Frauenthemen und Gleichberechtigung bekannt ist? Die vor der "heute"-Ära ein Jahrzehnt das frauenkämpferische ZDF-Magazin "ML Mona Lisa" moderierte – jedenfalls war es das, bis der Markenkern mit Royal-Gossip verwässert wurde und die Mona Lisen 2017 aus dem Programm verschwunden sind? Die sagt, dass Frauen in den Machtpositionen hinter dem Schirm "ebenso eklatant fehlen wie als Expertinnen in den Talkshows"?

 

"Ich neige nicht dazu, meine Worte anzupassen, um möglichst elegant ein Problem zu umschiffen."
Petra Gerster

 

Das sei "vielleicht leider etwas frauentypisch", das gibt Gerster gerne zu: "der mangelnde Ehrgeiz, sich in eine Machtposition hochzukämpfen". Ihr Weg, zumindest damals mit Familie, wäre es nicht gewesen. Hochgekämpft hat sich an ihrer Stelle die Moderationskollegin Bettina Schausten. Die inzwischen stellvertretende Chefredakteurin des ZDF ist die erste Chefin, die in Gersters Leben trat. "Schade, dass sie so spät kam." Nicht, dass ihre vorherigen männlichen Chefs sie nicht "großartig gefördert" hätten. Was aber bei weiblichen Vorgesetzten oft anders sei: "Sie legen weniger Wert auf die äußere Demonstration von Macht." Sie sind, glaubt Gerster, "größere Teamplayer. Aber da gibt es sicher auch Gegenbeispiele".

Das Gegenbeispiel zum bis heute gängigen Lebensmodell, das lebte Petra Gerster dafür privat. Kurz: Sie ging schaffen, ihr Mann, Christian Nürnberger und Journalist wie sie, blieb daheim und zog die beiden Kinder groß. Als Ehemann einer "Fernsehtussi" – genauso sagte er es in einem Interview!– verkehre er "in Kreisen, die mit der wirklichen Welt nichts mehr zu tun haben". Also versuchte er, nach 22 Jahren Heimarbeit auszubüxen. 2013 gab Nürnberger ein Gastspiel in der Politik als Bundestagskandidat der SPD für den Wahlkreis Roth und (sic!) Nürnberger Land. Ein PR-Gag war das nicht. Der gebürtige Franke und Langzeit-Sozi hätte seine Frau gerne in seinen Wahlkampf gespannt wie Obama seine Michelle, wohlwissend, dass Gersters Job das nicht zuließ.

Politik machen in der Familie nur die anderen

Mit dem Einzug in den Bundestag klappte es jedenfalls nicht. Froh darüber ist Petra Gerster im Nachhinein durchaus, und sie glaubt, ihr Mann inzwischen auch. Sie hätte es ihm "von Herzen gegönnt, aber es hätte unser Leben völlig auseinandergerissen". Er als Bundestagsabgeordneter in Franken und in Berlin, sie in Mainz, Ehe nur am Wochenende – "ich weiß nicht, ob uns das gutgetan hätte", sagt sie. Zumal sie aus nächster Nähe sehr gut weiß, wie das so läuft in der Politik.

Die Eltern im Wormser Stadtrat für die FDP aktiv, der Onkel im Bundestag stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Union, der Bruder SPD-Landesminister im Kabinett Scharping – die schwarz-rot-gelbe Koalition in einer Familie versammelt, das muss abschreckend wirken und tat es auch nachhaltig. Eigene politische Ambitionen hegt Petra Gerster jedenfalls nicht, obwohl es in der Vergangenheit durchaus Anfragen gab: "Für mich ist das keine Option, dafür braucht man stählerne Nerven. Da muss man anders gestrickt sein." Nein, für sie sei der Journalismus ideal, weil sie sich mit allem beschäftigen könne, wofür sie sich interessiere.

Dass sie sich um den Jahreswechsel 2003/04 plötzlich für die Schlagzeilen über ihren Bruder interessieren musste, nun ja, einfach war das für sie nicht. Florian Gerster, damals Leiter der Bundesagentur für Arbeit, war in eine PR-Affäre geraten und Gersters damaliger Chefredakteur, Nikolaus Brender, bot ihr an, die Moderation an jenem Tag abzugeben. Aber ihr Ehrgeiz war zu zeigen, "dass ich Profi genug bin, um das hinzukriegen. Und das gelang auch. Man muss Beruf und Privates trennen können. Und generell die nötige professionelle Distanz aufbauen, um bei den Nachrichten objektiv und neutral bleiben zu können, auch bei den Unglücken".

Petra Gerster © ZDF/Jana Kay
Seilbahn-Katastrophe am Lago Maggiore, Tropensturm in Indien, der belarussische Diktator in Rage – man hätte Petra Gerster erfreulichere Nachrichten an ihrem letzten Arbeitstag gewünscht. Von Juli an übernimmt für sie auf dem 19-Uhr-Platz Jana Pareigis. Sie selbst macht sich ans Bücherschreiben ran. Gemeinsam mit ihrem Mann, wie in den Jahren zuvor.

So eine Schreibgemeinschaft, dann auch noch unter Eheleuten, das hört sich, sagen wir, herausfordernd an und ist es auch. Inzwischen seien sie zwar "ein bewährtes Team", sagt die weibliche Autorenhälfte mit Examen in Literatur und Slawistik, "wir denken und diskutieren gemeinsam, schreiben aber getrennt." Streit kann’s geben, wenn sie es wage, an den "natürlich vollkommenen Texten" ihres Mannes irgendwas zu ändern. Früher musste deshalb schon mal der Lektor anreisen, um zu schlichten. Zum Beispiel beim ersten Doppelaufschlag, "Der Erziehungsnotstand" von 2001. Das Paar gab darin Einblick in die grassierende Daddelsucht im Hause Gerster-Nürnberger. Es krachte in der Ehe ("Super Mario oder ich!"), auch wegen des Buchs darüber. Meistens habe sich der Lektor auf ihre Seite geschlagen, lacht Gerster triumphierend, "aus reinem Opportunismus, wie mein Mann behauptet. Heute klappt es auch ohne Lektor*in".

Das nächste Gemeinschaftswerk ist schon angekündigt und qua Titel "Vermintes Gelände", weil es ein Thema behandelt, über das Petra Gerster an diesem Morgen am liebsten nicht sprechen würde. Sie habe doch schon so viel dazu gesagt. Aber noch nicht hier!

Die "Genderterroristin" mit klarer Haltung

Also bitte noch mal Stellung beziehen zum "Genderdeutsch", das sie auf dem ZDF-Schirm noch konsequenter sprach als Kollege Claus Kleber im "heute-journal". Gerade nach einer Woche, in der die Debatte um das geschriebene wie das gesprochene Asterisk wieder Fahrt aufgenommen hat, stramm Richtung Bundestagswahl: Der CDU-Chef in Hamburg würde es am liebsten Behörden verbieten. Zwei Drittel der Deutschen lehnen es laut neuster Umfrage ab. Und die Twitter-Radikalen unter ihnen? Haben Petra Gerster zum "heute"-Abschied den Hashtag #Genderterroristin vermacht.

Kurz durchgeschnaubt, sammelt sie sich: Leute, die sie als "Genderterroristin" bezeichneten, entlarvten sich selbst. "Das sind Ausfälle von rechts, die ich gar nicht zur Kenntnis nehme." Dass die Mehrheit der Menschen gegen das Gendern ist? Dafür habe sie ein gewisses Verständnis. Andererseits: Alle gesellschaftlichen Errungenschaften und Neuerungen seien immer gegen den Willen einer Mehrheit durchgesetzt worden. "Meinen Sie, die Mehrheit hätte vor 30 Jahren dafür gestimmt, Frauen vollkommen gleich zu behandeln und frauenfeindliche Gesetze abzuschaffen? Natürlich nicht", gibt Gerster selbst die Antwort. "Es musste alles hart und gegen den Widerstand einer Mehrheit auch von Politikern erkämpft werden."

Ob sich das Gendersternchen letztlich durchsetzt oder nicht, ist nicht ausgemacht, sagt Gerster noch, "aber man kann ihm ja mal eine Chance geben und es ausprobieren". In ihrem Kopf war es bislang mit dem Beruf verbunden. Noch. "Mal schauen, wie sich das im Privatleben gestaltet. Vielleicht werde ich die Gender-Sprechpause auch privat öfter einstreuen. Jedenfalls: Je wütender die Reaktionen sind, desto entschiedener werde ich."

An dieser Schlussstelle deshalb: Obacht, lieber Stepi! Mit dem "Fußballphilosophen" hat Petra Gerster nach ihrer Abschlusssendung telefoniert. Er habe sich "sehr gefreut", dass sie ihn zitiert habe, sagt sie. "Und demnächst treffen wir uns bei der Eintracht!"

An einem Montag, Dienstag, Mittwoch, Donnerstag? Egal. Das Lebbe wird schön.