Hodl-o-uu-dii! Der Berg ruft. ProSieben hat ihn erhört, schon wieder. Wie im Sommer 2004 und 2011 schicken die Münchner TV-Spezis von Donnerstag an zehn Heidis und Almöhis aus der Stadt auf eine abgeschiedene Berghütte in Südtirol, auf dass die Wanderer zwischen den Welten demütig urbanem Komfort entsagen und die Zuschauer mit dem abgefilmten Leben in all seiner Strom-losen und Plumpsklo-haften Ursprünglichkeit entertainen. „Grandioses Bergpanorama. Ein Leben im Einklang mit der Natur. Herrliche Ruhe“, säuselt die Sender-PR und zitiert den weiblichen Teil des Moderatoren-Duos, Collien Ulmen-Fernandes, mit dem Satz: „Vermutlich klopfen wir“ – mitgemeint ist ihr Co-Moderator Christian Düren – „nach drei Tagen an und wollen mit einziehen.“

Klopf, klopf: Really?

Für eine Flachlandtirolerin wie sie – Collien Ulmen-Fernandes wurde in Hamburg geboren und lebt in Potsdam – bedeutet der Almauftrieb natürlich einen gewaltigen Niveausprung, rein topografisch: Auf 1680 Höhenmetern über Normalnull liegt der Laseiderhof in Villnöß, da ist die Luft schon dünner als an Elbe und Havel. Möglicherweise auch beruflich.

Collien links © Anatol Kotte
Die beiden vorherigen Staffeln von „Die Alm – Promischweiß & Edelweiß“ erinnerten doch sehr an eine geronnene Mischung aus „Schwarzwaldhaus“ (ARD), Busch-Lager (RTL) und Paris Hiltons Stiletto-Stakserei in „Simple Life“ (ProSieben), und es sieht nicht danach aus, dass für die Neuauflage anno 2021 das Grundkonzept der Gaudi großartig geändert wurde. Was treibt also die Moderatorin und Schauspielerin Ulmen-Fernandes, die übrigens an Ostern zum ersten Mal als TV-Ärztin Dr. Jessica Delgado Premium-Dialoge auf dem ZDF-„Traumschiff“ sprechen durfte (vor der Traumkulisse der vom Absaufen bedrohten Malediven!), in die Niederungen des Reality-Fernsehens?

Vor zwei Tagen ist sie vom Dreh in der Südtiroler Bergwelt zurückgekehrt in ihren gemeinsam mit Ehemann und „Tatort“-Kommissar Christian Ulmen bewohnten Potsdamer Komfort, als man sich zum Zoomen trifft. Mit fünfminütiger Verspätung ihrerseits, was eher ungewöhnlich für sie ist. Lautet ihr zweiter, inoffizieller Doppelnachname nicht Fleiß-Pünktlichkeit? Es gab aber wirklich Wichtigeres zu tun: ein entflohenes Häschen einfangen. Jetzt ist wieder Ruhe im Stall. Und Mami kann arbeiten.

Gefragte Expertise zu Gender und Erziehung

Dass Collien Ulmen-Fernandes Mutter ist, muss als biografisches Detail hier unbedingt erwähnt werden, hat sich doch ihr berufliches Schaffen seit der Geburt der Tochter vor neun Jahren auffällig in eine neue Richtung entwickelt. Aus der einstigen VIVA-Göre, die mit 15 aus dem Elternhaus zog, um eigentlich Tänzerin zu werden und dann vor der Musikfernsehkamera landete, ist nämlich eine glühende Aktivistin für Geschlechtergerechtigkeit geworden mit viel gefragter Expertise zu Gender und Erziehung.

In der „Süddeutschen Zeitung“ kann man nun schon im sechsten Jahr jeden Samstag ihren Elternrat lesen, ob sich zehnjährige Mädchen schon schminken sollen („Spieß umdrehen: tragen SIE prolliges Make-up auf“) oder wie man 13-Jährige für ein Hobby außer Chillen begeistert („gegen die Bocklosigkeit von Teenagern ist kein Kraut gewachsen“). Ihrem Bestseller „Ich bin dann mal Mama“ folgten die Kinderbücher „Lotti & Otto I+II“ mit Geschichten „über Jungssachen und Mädchenkram“, die sich ebenso bestens verkaufen. Und als der „Stern“ im vorigen November zur Kampagne „Ich bin eine Quotenfrau“ blies, fackelte Collien Ulmen-Fernandes nicht lang, um dieses offenherzige Statement abzugeben: „Ich könnte kotzen, was mir so alles an Filmrollen angeboten wird!“ Applaus!

Die insgesamt 40 „Quotenfrauen“, das gehört ebenso zu dieser aktivistischen Episode, erfuhren aber auch viel Gegenwind: Von „peinlicher Aktion“ war zu lesen und von Frauen, „die es doch geschafft haben“, warum dann überhaupt noch die Quote? Na, weil die Quote „doch genau der Grund ist, warum wir es überhaupt nach oben schaffen konnten“, antwortet die Kampagnen-Teilnehmerin in Potsdam sehr bestimmt und führt dann ihr eigenes Beispiel an.

Für die Social-Factual-Doku „No more Boys and Girls”, die von Geschlechterklischees in der frühkindlichen Erziehung handelt, hatte ZDFneo bereits einen männlichen Moderator angefragt. Aber dann kehrte auf Produktionsseite die Einsicht ein: Moment, könnte das nicht auch eine Frau machen? Gerade bei diesem Thema? „Ich bekam den Job – aber nicht einfach nur, weil ich eine Frau war, sondern weil ich aus eigenem Interesse jede erdenkliche Gender-Studie gelesen hatte. Ich kannte mich in dem Thema bestens aus.“

Fand auch ZDFneo. Respektive die Produzentinnen Michaela Hummel (Doclights) und Ina Eck (Fabiola), die übereinstimmend zum Urteil kamen: Die Collien kann Doku. Gemeinsam machten sie sich 2018 auf den Weg, den Gedankengang „Doku? Mann!“ zu durchbrechen. In diesem Mai lief die inzwischen fünfte Doku mit Ulmen-Fernandes als „Moderateus*in“ (eine von ihr geprägte Wortschöpfung), diesmal zum Thema „Rabenmütter oder Super Moms?“.

Es läge nun nahe zu fragen, zu welcher Spezies sie sich selbst zählt. Machen wir aber nicht. Konfrontieren wir sie lieber mit der These: Ein Kind zu kriegen, war das Beste, was Collien Ulmen-Fernandes auch beruflich passieren konnte. D’accord?

„Überhaupt nicht!“, widerspricht die working mom mit einer Vehemenz, wie sie zuweilen auch in ihrem Instagram-Feed zum Vorschein tritt, wenn Mann ihr blöd kommt, Frauen gehörten an den Herd. Dann schreibt sie zurück, dann diskutiert sie das aus, wenn nötig bis drei in der Früh. „So etwas wühlt mich immer sehr auf. Mit Ungerechtigkeit komme ich grundsätzlich nicht gut klar“, sagt sie. Aber wie schaut’s aus mit dem Muttersein als Karrierekick? Es war ihr zufolge eher ein Knick.

Als ihre Tochter anderthalb war, habe ihr ein Kollege gesagt, du, wir hätten dich beim Format XY gerne als Moderatorin angefragt, haben wir aber nicht, du bist ja jetzt Mutter. Das hat Collien Ulmen-Fernandes „umgehauen“. Aus vielen Gesprächen weiß sie, es geht nicht nur ihr so: „Schauspielkolleginnen erzählten mir, für Produzenten – meist sind es die männlichen – bist du erstmal vier Jahre lang schwanger, bis sie überhaupt wieder an dich denken.“

Bei ihr selbst dauerte es tatsächlich ungefähr vier Jahre vom Kreißsaal an, bis RTLzwei es wagte, sie auf Reportage nach Kambodscha zu schicken, um die unwirtlichen Zustände in der Textilwirtschaft zu dokumentieren. Über diese ersten Doku-Schritte, „Hoher Preis für billige Kleidung“, seien viele Leute „sehr überrascht“ gewesen, „weil sie so etwas gar nicht von mir erwartet hätten“. Ulmen-Fernandes glaubt grundsätzlich, dass sie jemand sei, „der tendenziell gewissen Stereotypen ausgesetzt ist“. Deswegen seien ihr in der Medienbranche „jahrelang nur Püppchen-Jobs“ angeboten worden.

Rückblick ins Jahr 2008, vier Jahre vor Beginn der Mutterschaft, mitten hinein in die Phase der, ähem, Verpuppung.

Mit VIVA-Kollegin Gülcan Kamps machte Collien, die damals noch den Platz-sparenden Nachnamen Fernandes trug, ein „Praktikum“ auf einem Chiemgauer Bauernhof. Melken, Putzen, Mähen, das volle Programm, für 17 Euro Lohn die Woche und mit stattlichem Filmteam im Schlepptau. „Gülcan und Collien ziehen aufs Land“ hieß diese Doku-Soap und war die deutsche Variante des bereits oben erwähnten amerikanischen „The Simple Life“. Der „Spiegel“ fand den von ProSieben inszenierten Culture Clash von Glamour-Girls auf „geländeuntauglichen Stilettos“ mit kackenden Kühen „nicht originell, aber durchaus unterhaltsam“. Das Urteil der dunkelhaarigen Ex-Praktikantin fällt in der Rückschau indes nicht ganz so milde aus: Sie sei schlicht „verarscht“ worden.

Collien Ulmen-Fernandes © Anatol Kotte
Im Nachhinein sei „so tendenziös geschnitten“ geworden, „dass am Ende oft genau das Gegenteil von dem herauskam, was eigentlich passierte“, echauffiert sich Collien Ulmen-Fernandes. Hätte sie das vorher gewusst, sie hätte nicht mitgemacht.

Was sie ursprünglich lockte? „Honorar“ sagt sie, die sich in der Mai-Ausgabe des Hochglanzmagazins der „Stuttgarter Zeitung“ als Selfmade-Millionärin outete, natürlich nicht, sondern: dass der damals schon ziemlich berühmte Joko Winterscheidt auf MTV ein ähnliches Format machte. Okay, warum nicht auch ich, dachte sie. „Doch im Unterschied zu mir wurde Joko nie als ,It-Boy‘ bezeichnet, während die Bezeichnung ,It-Girl‘ an mir klebte.“ Und nicht nur das.

Die Presse habe ihr sogar angedichtet, sie stöckele mit High Heels über den Bauernhof. „Wie bitte?!“, spricht sich die für ihre bequemen und mit Doktortitel vermarkteten Treter bekannte Ulmen-Fernandes in Rage, „ich trug in dieser Sendung nicht ein einziges Mal High Heels, warum steht das da?“ Da habe sie sehr deutlich gespürt, „wie fest bestimmte Männlichkeits- und Weiblichkeitsbilder in den Köpfen sitzen und dass auf mich Dinge projiziert wurden, die gar nicht stattfanden.“

Dreizehn Jahr später und wenige Wochen vor ihrem 40. Geburtstag, den sie just am Tag der Bundestagswahl feiern wird, sieht sich Collien Ulmen-Fernandes auf einem, sagen wir, erwachsenen Karrierelevel: „Altern hilft Frauen im Fernsehen dabei, in dieser Branche ernst genommen zu werden.“ Jedenfalls hätten sie es leichter als junge Mädchen. „Ich merke an mir, dass ich nicht mehr verarscht werde.“ Wenn man ihr heute verspreche, ein Format geht in diese und jene Richtung, „dann ist das tatsächlich so“.

Jetzt wäre ein guter Überleitungspunkt, um die TV-„Alm“ zu besteigen. Aber tauchen wir schnell noch ab in die Tiefen des Hamburger Hafenbeckens, mit dem sowjetischen U-Boot U-434 und rein in eine Ausgabe der Late-Night-Show „Käpt’ns Dinner“ des NDR.

Reines Promifutter

Es war dort unter Wasser ungefähr so kalt wie im Mai auf dem Laseiderhof und Collien Ulmen-Fernandes in Wärme-Pads am ganzen Körper eingepackt, als sie dem Gastgeber der Show, Michel Abdollahi, Antwort gab auf die Frage, was sie denn heute im Fernsehen nicht mehr machen würde. Ganz vieles, sagte sie, „so oberflächliche Gaga-Sendungen“, wie sie RTL und Sat.1 zeigten und „wo du nur Promifutter bist“. Im selben Atemzug nahm sie explizit „Die Alm“ heraus.

In Sendungen, „wo es eigentlich völlig egal ist, wer da sitzt“, in denen man (da ist es wieder, dieses Wort) „reines Promifutter“ ist, fühle sie sich nicht mehr wohl“, erklärt sie auf Nachfrage. „Die Alm“ sei für sie „genau das Gegenteil“ davon: „Hier lernt man die Menschen wirklich kennen, blickt hinter die Fassade.“ Aber will man das überhaupt? Will man zum Beispiel von „Hollywood Matze“, bürgerlich Matthias Schneider und so schön stark, mehr sehen, als wie er Holz hackt? Und reicht es nicht, wenn die „Erotik Queen“ Vivian Schmitt jeden Morgen um fünf einfach nur die Euter der Milchkühe präpariert? Reicht im Reality-TV meist natürlich nicht.

Die Alm 2021 © ProSieben / Benjamin Kis Zusammen mit Christian Düren moderiert Collien Ulmen-Fernandes die kommende Staffel von "Die Alm".

Wer Collien Ulmen-Fernandes mit dem Vergleich zum inzwischen berühmt-berüchtigten „Promis unter Palmen“ auf Sat.1 kommt, kann nicht lang mit ihr diskutieren. Sie habe die inzwischen eingestellte Reality-Show schlicht nicht mitbekommen und deshalb bei der Moderationsanfrage die Aussage von ProSieben, „Die Alm“ ist anders als „PuP“, nicht verstanden: Was meinen die denn? „Zum Glück habe ich mit Christian Düren mein Reality-TV-Wikipedia an meiner Seite. Er klärte mich auf.“ Das reichte ihr dann offenbar auch für die Zusage, zu der sie ein weiteres, erfrischend ehrliches Motiv bewegte: „Ich wollte endlich einmal wieder ein bisschen albern sein dürfen.“

Dass es auf der Alm „koa Sünd“ geben wird, dafür will Collien Ulmen-Fernandes höchstselbst gesorgt haben; die Dreharbeiten sind ja bereits abgeschlossen. „Das Gute an unserem Format ist“, erklärt sie, „es wird moderiert. Sollte es Ausfälle geben – die es bei uns nicht gab – hätten Christian und ich einschreiten und Leute rausnehmen können.“ Und weil sie grundsätzlich keine Moderatorin mehr sein will, „die ihr Gesicht in die Kamera hält und fremde Texte abliest“, nahm sie, wie sie sagt, das Texten selbst in die Hand. Man habe ihr da „kompletten Freiraum“ gelassen. „Ich konnte machen und sagen, was ich wollte. Ich konnte sogar anziehen, was ich wollte. Das war für mich total befreiend.“

Ein letztes Mal klopf, klopf: Würde Sie denn auch mal als Kandidatin bei so was mitmachen?

Statt mit einem bestimmten Ja oder Nein antwortet Collien Ulmen-Fernandes mit einer Lagerfeuer-Episode: Neulich beim Dreh saß sie noch abends mit Schauspielkollegen am offenen Feuer beisammen, alles Leute, „die man in die A-Promi-Kategorie packen würde“, und sie sagten, wir hätten so Lust, mal bei so einem Reality-Format mitzumachen. Da sagte sie: Wenn ihr alle dabei seid, dann mache ich das auch.

Darauf ein herzhaftes Loriot’sches „Holleri du dödl di, diri diri dudl dö“!