„Goldmedaille! Keine Frage!“ Da war sich die Netzgemeinde ausnahmsweise einmal einig. Und teilte tausendfach den hunderttausendfach aufgerufenen Clip, in dem ein Reporter, blond, mit Brille und wechselndem Mikrofon, zur Eröffnung der Olympischen Sommerspiele in Tokio einen medaillenwürdigen „Zirkusakt“ aufführt: Nahezu akzentfrei jongliert er mit Worten und Buchstaben in sechs Sprachen auf sechs TV-Kanälen. Wechselt spielerisch, in dieser Reihenfolge, von Luxemburgisch zu Deutsch zu Spanisch zu Portugiesisch zu Französisch zu Englisch. Eine internationale Reporterberühmtheit ist dieser Philip Crowther geworden, keine Frage.

Atmen wir mit ihm für einen Moment den Duft der weiten Welt ein. Schalten wir nach Washington.

Am Vorabend ist Philip Crowther aus New York in die US-Kapitale zurückgekehrt, wo er mit Frau und Tochter lebt. Für ihn ist es später Morgen, während man sich in Köln nach dem zweiten After-Lunch-Espresso sehnt. Der zweite Gesprächsanlauf for this German tv industry magazine called DWDL, er glückt, hip hip hooray! Tags zuvor, beim Auftakt der UN-Vollversammlung, war für Crowther doch mehr Action als gedacht. Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn gewährte ihm ein Radio-Interview ein paar Blocks entfernt von der „Presse-Insel“ am Hauptsitz der Vereinten Nationen. Luxemburg ist ein kleines Land. Man kennt sich, man trifft sich, auch 6000 Kilometer weit weg von der Heimat. Man spricht Luxemburgisch. Crowther kann es perfekt. Es ist eine seiner drei Muttersprachen.

Crowther links © Philip Crowther
Der Vater Brite, die Mutter Deutsche (aus Wissen an der Sieg), aber geboren wurde Philip Crowther 1981 in einem Dorf nahe Luxemburgs Hauptstadt. In Mamer wuchs er auf, zog zum Hispanistik-Studium nach London. Mit Spanisch und Portugiesisch im Gepäck ging es zur Tageszeitung „El Pais“ in Uruguay als Sportreporter. Nach der Ausbildung zum Radio- und Fernsehjournalisten back in London der erste TV-Job in Paris für den Auslandssender France 24 nun mit Fokus auf internationale Politik. 2011 Umzug in die USA als White House Correspondent für die Franzosen. 2018 dann der Wechsel zu einer der größten Nachrichtenagenturen der Welt: als „International Affiliate Reporter“ bei Associated Press.

By the way, wie übersetzt man das ins Deutsche? Der polyglotte Profi muss es doch wissen. Diese „gute Frage“ bringt Crowther kurz ins Stutzen. Das richtige Wort in der anderen Sprache finden – es ist die Problematik seines Jobs, you know? „,Internationaler Reporter‘ ist eigentlich okay.“ Okay!

Mit Obama in Ghana, im Kugelhagel in Libyen, beim NATO-Gipfel in Polen, auf den Bahamas wegen Dorian (dem Hurrikan), bei Olympia in Tokio – es sind solche Weltereignisse, die Crowther immer wieder zu olympischen Höchstleistungen antreiben. Wobei der Mann nicht nur sprachlich, sondern auch thematisch so breit aufgestellt ist, dass man nur staunen kann.

Er wolle ja „nicht allzu prätentiös“ klingen, aber: „So jemand wie ich dürfte kaum zu finden sein.“ Natürlich gebe es auch andere Reporter, die mehrere Sprachen sprechen. „Aber wer kann schon luxemburgisch?“ Seine Rolle in der AP-Abteilung Global Media Services, dem Produktionsarm der 175 Jahre alten Nachrichtenagentur mit Sitz in New York, gab es zuvor nicht. AP und Crowther haben sie erfunden: die des um die Welt rasenden Reporters in sechs Sprachen. Für ihn ist es die perfekte Mischung aus seinen Studien und Interessen: Journalismus plus Sprachen plus Reisen. Für AP wiederum dürfte das Prinzip „einer statt sechs“ ökonomisch sehr reizvoll sein.

Ja, sicher, nickt Crowther, so war das Modell auch gedacht, aber er würde jetzt in aller Bescheidenheit nicht behaupten, dass er die Arbeit von sechs Korrespondenten ersetzt. Teil vom Deal ist, dass er die Sender, die ihn über AP beauftragen, on Air repräsentiert. Deshalb ist der Popschutz, diese bunte Schaumstoffhaube überm Mikrofon, essenziell. Sie weist ihn als Sendergesicht aus. Ohne Extra-Tasche voller Popschutze verlässt Crowther nie das Haus. Doch wie viel Individualität erlaubt ihm sein Job darüber hinaus? Wie sehr kann und muss er auf nationale Kundenwünsche eingehen? Oder bekommt jeder das Gleiche in grün nur in anderer Fremdvokabel?

Genau dieselbe Schalte auf mehreren Sendern – das würde nicht gehen, erklärt Crowther. Allein schon wegen der unterschiedlichen Längen, die verlangt werden. (Die Belgier bei RTBF zum Beispiel tanzen mit ihren 1’15-Schalten aus der Reihe des in Deutschland üblichen 1’30-Standards.) Außerdem: „Verschiedene Sender sind an verschiedenen Inhalten interessiert. Meine Live-Schalten muss ich entsprechend an die nationalen Interessen anpassen.“

So war es auch bei seinem Reportereinsatz bei der UNO. Ein vergleichsweise ruhiger Tag für ihn, denn die meisten internationalen TV- und Radiostationen hatten ihre eigenen Korrespondenten vor Ort. Von den fast 40 Sendern weltweit, mit denen der AP-Reporter regelmäßig in Kontakt steht – darunter in Deutschland und Österreich die Mediengruppe RTL, Deutsche Welle, Euronews, Servus TV und Puls 4 – buchten ihn diesmal nur das nigerianische Arise News und Luxemburgs Radio 100,7. Die Nigerianer waren besonders daran interessiert, was Joe Biden zur weltweiten Impfstoffverteilung sagt. Die Luxemburger wiederum wollten wissen, wie Frankreich auf den amerikanisch-australischen U-Boot-Deal reagiert.

Philip Crowther Nahaufnahme © Philip Crowther
Ein Großereignis wie die UN-Vollversammlung mit globalem Breaking-News-Potenzial aus einer anderen Perspektive zu betrachten als der amerikanischen oder der europäischen, das gefällt Crowther an seinem Job. Er schaue weltweit, welche Themen und Events ihn und AP interessieren könnten. Und dann bietet er sich den Kunden an. Besonders attraktiv sind für ihn Sender mit verschiedenen Sprachenabteilungen wie Voice of America oder Euronews, für die er gleich in vier, fünf Sprachen schalten kann. Und dann legt er los. „Mich findet man meist an Orten, wo sonst kaum ein Korrespondent ist oder hinreist.“

Wäre es nach ihm gegangen, hätte er im August über das Afghanistan-Desaster live aus Kabul berichtet, so wie Clarissa Ward für CNN. Doch die Lage erschien zu riskant. Crowther blieb in Islamabad. Die lokale Bürochefin wurde aus Afghanistan evakuiert, kehrte aber nach einigen Tagen zurück. „Im Nachhinein war Kabul vielleicht weniger gefährlich, als man zuvor dachte“, sagt Crowther. Die Machtübernahme der Taliban aus einer Stadt zu beschreiben, die mindestens sechs Autostunden entfernt ist, war für ihn frustrierend. Trotzdem gab es für ihn viel zu berichten.

„Wie sagt man auf Deutsch coincidence?“ Glückliche Fügung, Philip. Genau, das sei es gewesen, dass auch sein kleines Heimatland Luxemburg an einer Evakuierungsmission beteiligt war. Luxemburgische Piloten flogen gemeinsam mit den Belgiern ihre Staatsbürger nach Islamabad aus. Breaking-News erster Güte für RTL Luxemburg und RTBF! Aber auch n-tv in Deutschland hatte Interesse an dieser Luftbrücke und schaltete zu Crowther nach Pakistan. Die meisten deutschen Korrespondenten wie Katrin Eigendorf vom ZDF berichteten aus Taschkent über die dortige Mission.

Korrespondenten-Power, wie sie die Öffentlich-Rechtlichen hierzulande haben, können sich viele andere Sender nicht leisten. Eine Marktlücke, die AP erkannt hat und mit seinem Reporter-Star Crowther füllt. Wo neuer Bedarf entsteht und wie sich die Senderlandschaft global entwickelt, gehört selbstverständlich zur Marktanalyse. Ob die finanziellen Möglichkeiten vorhanden sind, ihn zu buchen, ist eine andere Frage. „Wir machen ja Live-Schalten nicht übers iPhone“, sagt Crowther, „das kostet dann meistens doch ein bisschen mehr.“

Nicht mehr so oft, obwohl noch akkreditiert, ist Philip Crowther im Weißen Haus anzutreffen. Vier Jahre lang führte ihn der Weg fast täglich zu Trump. Natürlich sei da immer auch Nervosität im Spiel gewesen, erzählt er. „Aber wenn Trump tobte und einen beschimpfte, dann konnte man eigentlich stolz auf sich sein: Man hatte ihm die richtige Frage gestellt. Schade nur, dass man darauf keine gute Antwort bekam.“ Mit Biden sei es ruhiger geworden. „Aber irgendwie auch langweiliger.“

So viel Zugang wie bei Trump gab es bei Obama nicht

Trump habe die Presse zwar viel kritisiert, aber er mochte sie auch besonders gerne: „Bis zu dreimal am Tag holte er uns Korrespondenten ins Oval Office, damit wir dokumentieren, was er gerade unterschreibt oder wen er trifft. So viel Zugang gab es bei Obama nicht. Und bei Biden jetzt auch nicht.“ Das Weiße Haus sei jetzt wieder so diszipliniert, wie die Obama-Regierung es war. „Journalisten lieben aber doch eher das Chaos und die Überraschung.“ Yes, indeed!

Ganz verschwunden ist Trump aus Crowthers Kopf und dem vieler Amerikaner gleichwohl nicht. Bis zu sechs Pressemitteilungen am Tag bekommt der Reporter per E-Mail von ihm. Die meisten sehen aus wie seine berüchtigten Tweets. Die „Tendenzen“, Trump als Präsidenten zurückzuholen, beschäftigen Crowther ebenso wie die gesamte US-Medienlandschaft. Diese sei genauso tief gespalten wie die Gesellschaft. „Wahrscheinlich ist es noch schlimmer geworden.“

Crowthers oberste Vorgesetzte, Julie Pace, trat ihren Dienst in der New Yorker Zentrale just in diesem September an. Im Gespräch mit der „New York Times“ betonte sie, was banal klingt, aber offenbar weniger selbstverständlich ist: dass es sich bei AP um eine Organisation handele, die sich an die Fakten halte. Und: Es gebe Fakten, über die man nicht zu diskutieren brauche. Zum Beispiel: Die Impfstoffe gegen Covid seien sicher. Der Klimawandel sei real. Es habe bei den US-Präsidentschaftswahlen im November 2020 keinen weitreichenden Betrug gegeben.

Philip Crowther © Philip Crowther

Tatsächlich wird über jede dieser Aussagen in den USA diskutiert. Sie sind höchst politisch. Wie beeinflussen sie Crowthers Arbeit? Julie Paces klare Positionierung und damit auch Gegenposition zum  Prinzip der Ausgewogenheit, wie es zum Beispiel die BBC praktiziert (ein gängiges Bonmot lautet: Wenn jemand behauptet, Wasser sei nass, dann lässt die BBC jemanden zu Wort kommen, der die Ansicht vertritt, Wasser sei trocken) teilt Crowther uneingeschränkt: Fakten seien Fakten, und es gebe keine Not, beide Seiten abzubilden. Seine Arbeit sei schwieriger geworden, sagt er, aber auch wichtiger. Nicht zuletzt in Bezug auf Trump. Wenn man ihn als Ex-Präsident schon nicht ignorieren könne, dann müsse man aber seine Aussagen in einen Kontext setzen: „Es reicht nicht zu sagen, Trump lügt. Man muss es auch beweisen können.“

Stolz sei er, sagt Crowther noch, für eine Nachrichtenagentur zu arbeiten, „die seit Jahrzehnten ihre Arbeit auf Fakten stützt“. Das mache auch ihm das Leben einfacher. Bis auf Weiteres wird er das in Washington führen – obwohl er sich nach wie vor als Europäer identifiziert. Als Europäer mit übrigens drei Pässen und bald dem vierten, amerikanischen.

Die nächsten attraktiven Destinationen hat Crowther schon fest im Blick. Nach Peking möchte er reisen, wo im Februar die Olympischen Winterspielen ausgetragen werden. „Es gibt Druck auf mehrere Länder, die Spiele zu boykottieren wegen der Unterdrückung der Uiguren. Das wird politisch eine sehr interessante Geschichte.“ Auch aus anderem Grund.

Peking will wegen der Corona-Krise Besucher aus dem Ausland von Olympia aussperren. Spiele allenfalls für Einheimische – Crowther kennt das ja schon aus Tokio. Athletinnen und Athleten, vor allem ungeimpfte, werden bei den auch in Bezug auf das Virus gnadenlos harten Chinesen wohl noch strengere Vorschriften beachten müssen. Was das für die internationale Reporterschar bedeutet? Noch unklar. Aber wie heißt es auf Englisch? Stay tuned!

Die Übersetzung in die anderen Sprachen überlassen wir Philip Crowther.