Es ist eine eher zweifelhafte Ehre, wenn der „Stern“ für ein Interview in der Rubrik „Was macht eigentlich ...?“ auf der letzten Heftseite anfragt. Nicht, weil man diese Frage inzwischen durchaus auch der einstigen Hochglanzillustrierten aus dem Hause Gruner + Jahr selbst stellen könnte, seit sie im RTL-Reich zu diffundieren begonnen hat. Das so schlichte wie perfide „Was macht eigentlich“ impliziert, dass karrieremäßig tote Hose ist.

So jedenfalls mutmaßte es der „Stern“ bei Götz Alsmann im März vor zwei Jahren.

Das Aus von „Zimmer frei!“, dieser legendären Kindergeburtstagsshow am späten Sonntagabend im WDR-Dritten, die Götz Alsmann im Duo mit Christine Westermann über seine Heimatstadt Münster hinaus berühmt gemacht hat, lag zu dem Zeitpunkt schon eine halbe Fernsehewigkeit zurück. Im September 2016 schloss sich nach 20 Jahren TV-Spaß endgültig die Tür zur fiktiven WG. Fortan wurde es auf der Mattscheibe um den Moderator mit dem Retro-Faible ziemlich still.

„Keineswegs“ habe er dem Fernsehen entsagt, korrigierte ein trotzig klingender Götz Alsmann den „Stern“-Interviewer ein paar Jahre später, „aber es muss passen“. Bis auf Preisverleihungsmoderationen wie den „Jazz-Echo“ oder den Solo-Kurzausflug „Götz Alsmann Show“ (2017) passte im TV nach „Zimmer frei!“ tatsächlich nicht mehr viel bis gar nichts. Obendrein verhindert jetzt auch noch die Pandemie, dass sich das Bühnentier in ihm entfalten kann. Gemeinsame Auftritte mit der „Götz Alsmann Band“? Toi toi toi, dass es das Virus am 5. Februar im Städtischen Bühnenhaus Wesel zulässt! Denn in den vergangenen Monaten war es mit Band und Bandleader ebenso wenig gnädig wie mit der gesamten Kulturbranche.

Und doch lohnt jetzt ein erneutes „Was macht eigentlich Götz Alsmann?“-Nachhaken. Denn im zarten Alter von fast 65 (im Juli steht der nächste halbrunde Geburtstag an) startet der moderierende Musiker respektive musizierende Moderator, der vier Jahrzehnte TV- und Radioerfahrung, vorweisen kann, noch einmal durch in einem für ihn neuen Medium: Er ist unter die Podcaster gegangen.

Götz Alsmann © IMAGO / Future Image
Seit diesem Montag präsentiert er in „Der geheime Garten des Jazz“ Platten aus den 1950er bis 1960er Jahren. Also 15 kompakte Minuten betreutes Hören aus einer Epoche, zu der sich Götz Alsmann – übrigens einer der wenigen deutschen Jazzer mit Blue-Note-Vertrag! – musikalisch wie modisch hingezogen fühlt. Nur dürften selbst Jazz-Connaisseure von „Cool, Man, cool“ des Trompeters John Plonsky oder den Gesängen einer Zilla Mays, denen die ersten beiden Folgen gewidmet sind, bis dato noch nichts gehört haben. Denn die im Selbst- oder Kleinstverlag herausgebrachten LPs schafften es über die Bemusterung der Presse meist nicht hinaus.

Zu Unrecht, findet der Sammler und Jäger von Schellack und Vinyl, der zum Thema „Nichts als Krach: Die unabhängigen Schallplattenfirmen und die Entwicklung der amerikanischen populären Musik 1943-1963“ promoviert hat. Und zerrt nun alle zwei Wochen aus seinem Privatarchiv allerhand Abseitiges ans Tageslicht. Oder besser gesagt: auf den Plattenteller im WDR-Studio Münster. Dort wird „Der geheime Garten des Jazz“, von dem es auch eine „line extension“ im linearen WDR 3 gibt, noch genauso produziert, wie es beim Radio früher Sitte war: Fräse auf die Platte runtersinken lassen. Knister, knister.

Genau aus dieser Münsteraner Musik-Manufaktur meldet sich ein paar Tage vor der Podcast-Premiere die Eleganz in Person. Zoom sei Dank wird sichtbar, was Hörern verborgen bleibt und Fernsehzuschauern noch in Erinnerung sein dürfte: Vom manschettenbeknopften Hemd bis zur pomadierten Tolle, optisch alles wie gewohnt Retro bei Götz Alsmann. Am Ende des Gesprächs wird er sich formvollendet verabschieden. Es sei sein allererstes Interview per Video gewesen, von daher „hochinteressant“.

Nicht dass er sich dem technischen Fortschritt grundsätzlich verschließen würde. So war er einer der ersten, der sich ein portables Telefon beschaffte, um auf Tour stets Kontakt halten zu können mit Frau und Sohn daheim in Münster. Aber bei der Arbeit im Studio setzt Alsmann nach wie vor auf die Kunstfertigkeit seines vertrauten Tonmeisters, der für das „haptische Element beim Musikhören“ zuständig ist, wie er es nennt. Die absolute Körperlosigkeit von Musik im Zeitalter von Soundfiles – wen wundert es, dass Alsmann das „bedauerlich“ findet?

„Wer noch händisch eine Platte auflegt, ist mit niemandem auf der Welt verbunden. Niemand kann an der eigenen Playlist teilhaben.“ Es sei wie „nicht für Gäste kochen, sondern nur für sich selbst“, kommt er ins Schwärmen. Mit dem Sendungsbewusstsein eines Musik-Aficionados möchte er freilich schon so viele Menschen wie möglich an seinem Geschmack und seinen Entdeckungen teilhaben lassen. „Wenn der Köder lecker schmeckt, ist es gut.“

Seit Mitte der 1980er, als ihn der WDR erstmals ans Mikrofon ließ, genießt Alsmann die Freiheit, „Autoren-Radio“ zu machen, wie es außer ihm wohl nur einem exklusiven Kreis von Musikliebhabern gefällt. Er sei nun mal kein Unterhaltungsmoderator, der tagsüber alles wegmoderiert und Musik spielt, die andere ihm hinlegen, betont er: „Ich habe immer die spezialisierten Shows am Abend gemacht. Da gab es kaum Vorgaben. Außer dass ich mein Publikum unterhalten sollte.“

Nun ist „Der geheime Garten des Jazz“ Alsmanns erster Schritt als Moderator in die Podcast-Landschaft, die noch immer sprießt, wenn auch hörermäßig nicht mehr ganz so üppig. Laut einer aktuellen Analyse konnten sich im vergangenen Jahr 2021 drei Viertel der erwachsenen Onliner nicht für Podcasts begeistern. Und das restliche Viertel gilt als schon ziemlich satt und/oder vergeben, um sich für Neues zu öffnen. Wer hat schon Zeit und Muße, mehr als eine Handvoll Podcasts regelmäßig zu hören? Götz Alsmann selbst auch nicht. Nur als „gelegentlichen“ Podcast-Hörer bezeichnet er sich.

Nichtsdestotrotz hat der Radio-Veteran messerscharf erkannt: „Podcast ist ein interessantes Medium, vielleicht sogar die Zukunft des Rundfunks.“ Trotz seines „angeblich vorgerückten Alters“ sehe er keinen Grund, warum er nicht mitmachen sollte.

Über den WDR respektive die ARD-Audiothek, wo „Der geheime Garten des Jazz“ zum Download bereitsteht, verfügt der Podcast-Debütant über die beitragsfinanzierten Mittel, um den Erstling wachsen und gedeihen zu lassen. Geht es nach ihm, dann „solange die Gesundheit und der Gebührenzahler mitspielen“. Sein Sender hat da natürlich auch ein Wörtchen mitzureden.

Götz Alsmann © IMAGO / Future Image
Bislang meint es der WDR in Gestalt seiner Noch-Chefin Valerie Weber besonders gut mit Götz Alsmann. Gleich drei Musik-Sendungen auf WDR 3 und WDR 4 plus den Podcast darf er regelmäßig präsentieren. In einer Zeit, wo andere öffentlich-rechtliche Kulturradios darben müssen oder gar die Klassik ganz ins Digitale abgeschoben wird, wie beim Bayerischen Rundfunk geschehen, hat der WDR zumindest die tägliche Jazz-Schiene erheblich ausgeweitet. Teil dieser Ausweitung war, dass Alsmann von einer vierzehntägigen Sendung am späten Abend plötzlich auf die wöchentliche Zweistundensendung „WDR 3 persönlich“ zur Mittagsstunde geschoben wurde.

Natürlich sei er sich bewusst, dass der Samstagmittag ein dankbarerer Rundfunktermin sei als der Montag um 22 Uhr, sagt Alsmann: „Da muss man um jeden Hörer kämpfen, damit er sich gegen das Fernsehen entscheidet. Mittags um eins beim Auspacken der Markteinkäufe ist der Arm nicht so lang, um das Empfangsgerät auszuschalten, und schon hört man die gesamte Sendung.“

Eine „Bombenresonanz“ habe seine „Persönlich“-Sendung seither, lobt sich Alsmann, ohne diese genau beziffern zu können. Fakt ist aber auch, dass ihr eine umfassende Programmumstrukturierung vorausging mit internem Tumult, der sich speziell gegen Valerie Weber richtete. Noch bevor sie überhaupt in irgendein Fettnäpfchen treten konnte, hatte sich 2013 Protest gegen die vom bayerischen Privatradio kommende neue Hörfunkdirektorin formiert.

An diese stürmische Anfangsphase kann sich Götz Alsmann noch lebhaft erinnern. Doch nach reiflicher Überlegung in der Autorisierungsschleife für diese „Nahaufnahme“ hat er beschlossen, sich öffentlich nicht weiter zum Thema Valerie Weber und deren „Schönheitsveränderungen der Programmstruktur“ zu äußern. Nur so viel lässt er stehen: Er gehöre sicherlich zu denen, die der scheidenden Programmdirektorin etwas zu verdanken haben.

Was Webers kürzlich formulierte Prognose betrifft, dass nämlich die WDR-Wellen als einzelne Marken die digitale Transformation nicht überstehen werden, schwingt Götz Alsmann nicht unbedingt auf gleicher Wellenlänge mit: „Wenn sich Frank-Sinatra-Fans beim Streaming 98 Stunden lang mit Frank Sinatra bombardieren lassen, mögen sie das wie eine gigantische Rundfunksendung empfinden. Ich könnte mir aber vorstellen, dass man alle Stunde doch gerne irgendwo hinschaltet, wo es Nachrichten gibt.“

Trotzdem glaubt der Fachmann, der die Marke „Götz Alsmann“ erschaffen hat, dass es wichtig ist, „innerhalb der Marke eine Marke zu bilden“. Man sehe es ja an unserem Fernsehkonsum: „Wenn Sie den ,Tatort‘ nicht um Viertel nach acht sehen wollen, dann eben in der Mediathek zu einer anderen Zeit. Der ,Tatort‘ bleibt aber als Marke attraktiv.“ So sei es auch mit „Zimmer frei!“ passiert: Immer mehr Leute hätten die Mediatheken-Konserve der Original-Ausstrahlung vorzogen. Es habe dann aber „leider Äonen gebraucht, diese Zuschauer auch zur Quote zu zählen“.

Was zu der Abschlussfrage führt: Sollte man diese Kultsendung, der Götz Alsmann seinen größten Ruhm zu verdanken hat, unter diesen erfreulichen Umständen nicht wieder aufleben lassen?

Natürlich wurde er schon oft gefragt, ob er sich ein „Zimmer frei reloaded“ vorstellen könne, auch in besagter „Stern“-Ausgabe. Konnte er nicht. Und daran hat sich im Prinzip auch nichts geändert, auch wenn er inzwischen dem WDR das Recht zugesteht, „die Sendung jederzeit mit wem auch immer wieder zu produzieren“. Christine Westermanns bessere Hälfte glaubt aber, dass diese Sendung so heute kaum noch eine echte Chance hätte. Sie beide hätten damals „frisch, fröhlich und frei in jeden Pudding gehauen und die schrägsten Sachen gemacht, aber niemand war wirklich empört“. Und wenn, dann hat derjenige vielleicht einen Brief geschrieben. „Mittlerweile gibt es aber auf Social Media viel zu viel dauerbeleidigte, shitstormende Empörungsprofis, die solch einer Sendung keine Atemluft mehr ließen.“

Und bevor man nachfragen kann, wie er es denn persönlich mit den (a)sozialen Netzwerken hält, grätscht Götz Alsmann dazwischen: „Ich mache da gar nichts. Ich bin noch nicht einmal bei WhatsApp.“ Da bleibt er, cool, Man, cool, einfach Retro durch und durch.