Der Regionaljournalismus im RBB Fernsehen trägt Einstecktuch. Ob zart gemustert oder lila uni – praktisch keine Moderation des Nachrichtenflaggschiffs „Abendschau“, die Volker Wieprecht nicht mit diesem textilen Accessoire bisher aufgehübscht hätte. Es macht den 58-Jährigen in der Riege der übrigen (und jüngeren) Moderatorinnen und Moderatoren unverwechselbar. Das kleine Stück Stoff ist freilich nicht der maßgebende Grund, weshalb dieser très chic zurechtgemachte Mann nun zum neuen Talk-Aushängeschild des RBB avanciert.

Dienstagsspät um Viertel nach zehn, wo sonst Jörg Thadeusz mit Beobachtern die Weltlage bespricht oder Kurt Krömer zum Verhör nach Stasi-Art bittet, wird von kommender Woche an auch Volker Wieprecht ein festes Sendeplätzchen bekommen. Von seiner halbstündigen Talk-Sendung, die schlicht und schlank nur seinen Nachnamen trägt, gab es im vorigen Herbst bereits drei Ausgaben zum Üben und Zuschauergunst Testen. Intellektuell und emotional war das offenbar substanziell genug und quotenmäßig auch nicht so übel, sodass übers ganze Jahr 2022 weitergesendet wird.

Einmal, jeweils in der Mitte des Monats kommt also „Wieprecht“. Am kommenden Dienstag zum vierten Mal und kurioserweise moderiert von einem Mann, der in Berlin und Teilen Brandenburgs seit Jahrzehnten eine Radio-Berühmtheit ist, aber erst seit drei Jahren so richtig und regelmäßig Fernsehen macht.

Oder ist dieser Senkrechtstart im TV einfach nur „konsequent“, wie Wieprechts Programmdirektor auf Nachfrage ausrichten lässt?

Volker Wieprecht © RBB / Jim Rakete
Volker Wieprecht sei „schnell am Mikrofon und noch schneller im Kopf“, lobt Jan Schulte-Kellinghaus, „wir sind sehr froh, ihn als profilierten Journalisten bei uns im RBB zu haben.“ Der Weg von radioeins über die „Abendschau“ zum eigenen Hard Talk und „Wieprecht“ sei deshalb: „nur konsequent“.

Sieht der so gelobte Fernsehspätzünder das ebenso?

Seine Selbstbeschreibung im Web lässt jedenfalls keinen Zweifel daran aufkommen. Dort attestiert sich Wieprecht nicht nur „Neugierde und Sachverstand, Empathie, Humor, Biss und intellektuelle Brillanz“. Weiter heißt es, „seine Moderationen verbinden spielend Informations- und Unterhaltungswert und begeistern das Publikum“. Ganz schön dicke, wa?

Aber Überraschung! Im Gespräch für diese „Nahaufnahme“ lässt Wieprecht, der übrigens kein geborener Berliner ist, sondern 1963 die schwefelgelben Schwaden der Veba Chemie in Herne einatmete, bis ihn die geschiedene Mutter im gymnasialen Alter der berühmten Berliner Luft aussetzte (und damit vor dem Schlammrobben bei der Bundeswehr bewahrte), auch eine bescheidenere Saite anklingen. So wird er auf die Frage, warum er sich erst jenseits der 50 vor die Kamera wagte, antworten: Er habe festgestellt, dass man im Fernsehen vor allem dann gut arbeiten könne, „wenn man sich selber gut ansehen und ertragen kann“. Das habe bei ihm etwas länger gedauert als vielleicht bei anderen. „Mein Anspruch an mich selber war zu hoch. Inzwischen habe ich meinen Frieden mit mir gemacht.“

Der Oktober 2018 war für Volker Wieprecht insofern ein Friedensfest, als er zum Casting als Moderator für die „Abendschau“ eingeladen wurde. Er selbst wäre, „ehrlich gesagt“, nicht darauf gekommen, weil er dachte: Okay, es wäre besser, wenn du 20 Jahre jünger wärst, mehr Haare hättest und dein Teint nicht so blass wäre. Inzwischen wisse er: „Blässe kann man überschminken. Die Haare werden toleriert. Und mein Alter fällt bei meinem kindsköpfigen Humor manchmal auch nicht auf.“

Als Alter und Kindsköpfigkeit noch deckungsgleich waren, teilte eine Mauer Berlin und hieß der RBB noch SFB. Die Anstalt ließ den studierenden Germanisten und Altphilologen, der eigentlich Lateinlehrer werden wollte, erst zum Reporter, dann zum Radio-Moderator heranwachsen. Mit dem Sprechen, gerne in geschwollener Sprache, hörte er dort fortan nicht mehr auf. Und besonders gut klappte das im Duo mit Robert Skuppin, mit dem er vor etwa 20 Jahren sogar ein amüsantes "News-Quiz" bei ntv moderierte, produziert von Friedrich Küppersbusch.

Die jungen Wilden frotzelten sich erst bei der Jugendwelle Radio Fritz, dann ab 1997 beim neuen, erwachsenen radioeins ganz nach oben in der Beliebtheitsskala. Was sie im Radio gemacht hätten, sei „rasend schnelles Tennis“ gewesen, wie er es in der Intensität seither nicht mehr erlebt habe, sagt Wieprecht in der Rückschau. „Gewollt in Konflikte zu gehen, um andere zu unterhalten, das machen die wenigsten. Heute ist man konziliant und zugewandt. Man bremst Dinge ab. Aber Robert und ich haben uns bis auf die Knochen gestritten und versucht, dabei die ganze Zeit zu lächeln.“ Manchmal fiel ihnen das schwer. Manchmal gingen sie zum Weiterstreiten an die frische Luft. Es ging ja um die wichtigste Ware überhaupt: Wer hat Recht? Wieprecht ist sich sicher: „Wir waren härter und weniger getextet als Hauser & Kienzle im ZDF.“

Wieprecht & Skuppin waren indes nicht nur am Mikrofon ein kongeniales Gespann, auch geschäftlich verbanden sie sich über die gemeinsame Agentur „Der Apparat“. Die gibt es immer noch als Produktionsschmiede von Podcasts und Hörbüchern, nur ohne ihre Gründer. Erst stieg 2008 Wieprecht aus, weil er sich mehr journalistisch betätigen wollte und den Abrechnungsteil in der Chefrolle ohnehin „immer so semi geil“ fand. Als Skuppin dann 2011 Programmchef von radioeins wurde, gab auch dieser die Geschäftsführung ab sowie die Doppelmoderation mit Wieprecht auf. Der machte im Programm solo weiter. Mit Erfolg. 2013 krönte ihn die Jury des Deutschen Radiopreises zum „Besten Moderator“.

"Selbstmotivationsprobleme" überwunden

Zur Begründung hieß es: Volker Wieprecht sei „unverwechselbar“. Als Journalist, der sich mit unterschiedlichsten Themen „adäquat und intensiv auseinandersetzt“, und als Mensch, der „neugierig und offen ist, lustig und nachdenklich, kritisch und warmherzig“, stelle er im deutschen Hörfunk eine „einzigartige Kombination“ dar. Wow!

Wieprechts Ego bekam die ultimative Lobhudelei gar nicht gut, wie er 2015 in einem Interview eingestand. Die Phase der „Selbstmotivationsprobleme“ konnte er aber nachweislich wie nachhaltig überwinden. Halfen dem praktizierenden Buddhisten womöglich Meditationen aus der Bredouille? 2020 wagte er jedenfalls voller Chill und Elan sogar ein neues Doppel-Match am Mikrofon mit Robert Skuppin. Ihr gemeinsamer Podcast „Robi, Volli & viele neue Freunde“ brachte es auf 21 Folgen, bis er im vorigen Februar „auf unbestimmte Zeit“ in die Pause ging.

Für aller Nerven war das wohl die beste Entscheidung. Seit Corona hat Volker Wieprecht ohnehin Besseres zu tun.

Erst ließ das RBB Fernsehen den Neuzugang bei der „Abendschau“ einige „RBB Spezials“ moderieren, also die regionalen Pendants zum „ARD Extra“ im Ersten. Dann folgte die Erweiterung als „RBB Spezial – der Talk“. Schon da wurden Formatspezifika getestet, die nun „Wieprecht“ zu einer Auffälligkeit in der Talklandschaft machen.

Nicht nur, dass Wieprechts Gäste – es sind maximal drei – auf dem Fernsehschirm wie auf einem Altar kredenzt werden, was den Charme hat, dass der Zuschauende in der dreifaltigen (nicht dreifältigen!) Ansicht die unmittelbaren Reaktionen aller Talk-Teilnehmenden sieht. Eine Informationsleiste rechts im Bild, der so genannte Sidekick, serviert Fakten, Fotos und anderes Material, das mal begleitend, mal konterkarierend zur Diskussion eingeblendet wird.

Volker Wieprecht © RBB / Jim Rakete
„Uns ist klar, wir fordern die Zuschauer mit diesem doppelten Angebot durchaus heraus“, sagt Wieprecht, „man muss lesen oder zuhören. Manche schaffen auch beides. Altersbedingt ist der Zuspruch bei den Jüngeren größer als bei den Älteren.“ Die neue Talk-Machart à la RBB findet derweil bei anderen Talk-Machern offensichtlich Nachahmer. Doch Wieprecht würde nicht so weit gehen zu behaupten, dass sich etwa Bild Live das Split-Screen-Verfahren von ihnen abgeguckt hätte. „An der Erfindung der Glühbirne waren ja auch drei Leute gleichzeitig dran. Aber erster war der RBB hierzulande schon!“ Manches liege dennoch einfach in der Luft: „Als es mit der Pandemie losging, hingen wir alle in Video-Konferenzen mit geteilten Bildschirmen. Im Prinzip setzen wir das bei ,Wieprecht‘ um.“ Er hätte Teams-Aktien kaufen sollen, scherzt er, „hab‘ ich leider nicht gemacht“.

Abgesehen von diesen optischen Spielereien: Wieprecht will seine Sendung inhaltlich als „Impuls-Magazin“ verstanden wissen. Verschiedenste Themenkomplexe würden in einem Verbund von Leuten abgebildet, „und nach 30 Minuten sind alle mehr oder weniger gar“. Hinterher möchte der Gastgeber jedenfalls nicht noch eine Diskussionsrunde führen müssen. 30 Minuten, 3 Gäste – das ist ihm zufolge auch das ideale Maß, weil es einerseits nicht zu Wimmelbild-artig wird und andererseits genug Tiefe ermöglicht. „Gesprächspartner brauchen das Gefühl und die Ruhe, sich auch mal zurücknehmen zu können.“ Ein kurzes Abfragen von Positionen hat aus seiner Sicht „nichts mit einer Diskussionssendung zu tun“.

An „Diskussionssendungen“ ist der RBB nicht gerade arm. Beim MDR-Unterhaltungsdampfer „Riverboat“ hat die seit Januar den ARD-Vorsitz führende Anstalt neuerdings das Ruder mit übernommen. Und am Vorabend sendet seit Jahresbeginn täglich das „Studio 3 – Live aus Babelsberg“. Ob sich Volker Wieprecht vor diesem Tableau als essenzieller Bestandteil einer Talk-Offensive versteht?

In der ihm ureigenen Bescheidenheit lautet seine Antwort: ja. Aber die Talk-Bewegung innerhalb des RBB habe weder primär mit ihm zu tun, noch sei sie eine Mode-Erscheinung. „Ich glaube, es ist eine Zwangsläufigkeit von Entscheidungen, die man treffen muss. Mit dem Ziel: gut zu informieren. Und den Dialog zu fördern.“ Talk-Formate seien neben hart getakteten Magazinen eine „willkommene Art der Zuschauerbindung“, weil der Informationsfluss, so glaubt er, letztlich am besten über die Glaubwürdigkeit von Personen funktioniere.

Dass sein Rundfunkhaus ausgerechnet ihm diese Kraft der Glaubwürdigkeit gepaart mit Kamerapräsenz zutraut, erstaunt nicht zuletzt ihn selbst: „Ich weiß, es ist relativ ungewöhnlich, dass man in meinem Alter noch mal die Chance zum Wechsel bekommt.“ Kameraerfahrung hatte er ja bis zum Einstieg bei der „Abendschau“ im Februar 2019 nicht üppig vorzuweisen. Die ersten Gehversuche unternahm er mit einem „heute gänzlich in Verruf geratenen Kollegen“ (Wieprecht): Ken Jebsen.

Als Wieprechts damaliger Partner bei Radio Fritz noch nicht in die Schwurblerecke abgedriftet war, brachten die beiden eine Interviewreihe auf den Schirm, wo sie mit Berliner Promis im Bus durch die wiedervereinigte Stadt fuhren. Jebsen produzierte dieses TV-Kuriosum (hier ein hübsches Beispiel mit Rolf Zacher) und gab optisch den lässigen Hiphopper. Wieprecht spielte dagegen die Rolle des seriösen, aber leicht cholerischen Bankkaufmanns mit Anzug und Krawatte.

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Schlipslose Jahre im Radio folgten. Bis Wieprecht vor einigen Jahren eine Style-Beraterin zu Gast hatte. Im Samtkleid und mit Cape schlug diese Dame, die die Granden der Republik berät, bei ihm im Hörfunkstudio auf. Warum so schick, ist doch nur ein Podcast, fragte Wieprecht erstaunt und erhielt eine Antwort, die nicht sein Leben, aber seinen Kleidungsstil noch einmal änderte: „Ich möchte, dass Sie den maximalen Genuss beim Anblick meiner Person haben. Ich gebe alles, was ich kann, damit es Ihnen gut geht.“

So gesehen: Am Dienstag „Wieprecht“ gucken. Genießen! Und natürlich lauschen, was Norbert Röttgen, Gregor Gysi und Sabine Adler vom Deutschlandfunk zum Umgang mit Putin sagen.