Die ersten Moves und Shakes waren gestern Abend auf der Tanzfläche von „Let’s Dance“ gerade in blau-gelb mit einem Funken pink erstrahlt, da wurde auch Moderator Daniel Hartwich ein klein wenig politisch: Natürlich wollten auch sie nicht die Augen davor verschließen, was aktuell in Europa passiert. Schon gar nicht in einer Show, in der traditionell viele Menschen aus Russland und der Ukraine teilnähmen und wo einige von ihnen um ihre Verwandten in der Heimat bangten. „Unsere Gedanken sind genau da.“ Trotzdem, hastete Hartwich durch seine Ansprache, hätten sie sich überlegt, „dass wir Ihnen gerne Unterhaltung anbieten möchten – wenn Sie das wollen“.

1, 2, 3, Cha-cha. Es ist Krieg in der Ukraine, und RTL hatte sich also dafür entschieden, anders als die Karnevalshochburgen ARD und ZDF, all die Probleme einfach wegzutanzen und den Abend mit etwas Schönem zu füllen. Mit lachenden Gesichtern, bestrassten Leibern und aufgekratzter Stimmung.

Alles wie immer, oder?

Die blau-gelbe Gedenkschleife, die an Motsi Mabuses Brust prangte, war eine permanente Erinnerung daran, dass an Tag zwei des Unfassbaren eben nichts wie immer war. Die TV-Jurorin ist nicht nur seit 2011 die ausgleichende Kraft am Bewertungspult zwischen dem diesmal als kubanische Rapunzel verkleideten Jorge González und dem von Corona blitzgenesenen Dr. Streng, Joachim Llambi. Nicht zuletzt auch sie hatte Daniel Hartwich in seiner Kurzrede mit gemeint.

Denn Motsi Mabuse ist in zweiter Ehe mit dem ukrainischstämmigen Tänzer Evgenij Voznyuk verheiratet. Als wir für diese „Nahaufnahme“ sprechen, liegt bereits Krieg in der Luft. Am Abend zuvor hatte Russlands Präsident Putin die selbst ernannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk als unabhängige Staaten anerkannt. Nach einer zutiefst beunruhigenden Nacht meldet sich Motsi Mabuse mit den ersten Sonnenstrahlen des Tages aus dem Taunus, wo sie lebt. Ihr Mann, mit dem sie eine Tanzschule in Kelkheim betreibt, huscht im Hintergrund durchs Bild.

Motsi Mabuse © Vera Mont
Dass die beiden zu diesem Zeitpunkt schon in großer Sorge um Voznyuks Eltern sind, die in Charkiw festsitzen, lässt sie sich nicht anmerken. Die zweitgrößte Stadt der Ukraine liegt im Osten unweit der russischen Grenze. Motsi Mabuse wird später von den Bemühungen erzählen, die Schwiegereltern nach Deutschland zu holen. Schon voriges Wochenende hätten sie es probiert, leider erfolglos. Es gab Probleme wegen des unvollständigen Impfstatus von Voznyuks Eltern. Dann strich auch noch die Lufthansa alle Flüge. Zum Verzweifeln die Lage, doch Motsi Mabuse knipst ihre ansteckende Grundfröhlichkeit an, wie man sie aus dem Fernsehen von ihr kennt.

Es soll ja auch an diesem Morgen eigentlich um die schönen Seiten in ihrem Leben gehen. Insbesondere um jene RTL-Show, die seit voriger Woche wieder jeden Freitag von der Weltmisere ablenkt wie schon in den beiden Coronajahren zuvor und über die Motsi Mabuse sagt: „,Let’s Dance‘ hat mein Leben so bereichert und verändert, wie ich es mir nie hätte erträumen können, als ich Südafrika verließ.“

Das war kurz vor der Jahrtausendwende. Und als sie dann 2007 zum ersten Mal das Tanzparkett von „Let’s Dance“ stürmte, damals noch in der Rolle als Profitänzerin und leidgeprüfte Tanzpartnerin von Schlagerbarde Guildo Horn, hatte sie bereits einen langen Weg zurückgelegt und eine entscheidende Hürde genommen: Motsi Mabuse war eine der ersten, wenn nicht sogar die erste Frau mit schwarzer Hautfarbe, die im deutschen Fernsehen (wortwörtlich) Fuß fasste. Wie sie das schaffte, vom staubigen Kraalhoek über „Rumba in the Jungle“ bis in die Glitzerwelt des Show-Biz? Das beschreibt sie in ihrem Buch „Chili im Blut“, das 2014 erschien.

Liebeserklärung an den Tanz

Es ist eine 256-seitige Liebeserklärung an den Tanz, der zu ihrer Bestimmung wurde, obwohl der Vater, ein Anwalt, anderes mit ihr vorhatte. Peter Mabuse war schon in seinen jungen Jahren überzeugt, dass auch Schwarze in Südafrika Karriere machen konnten, selbst in Zeiten der Apartheid, in die seine älteste Tochter 1981 hineingeboren wurde. Ihm zuliebe begann sie in Pretoria ein Jura-Studium. Doch das Tanzen war da schon längst zu ihrer „Lebensuniversität“ geworden. Im Tanzsaal fühlte sie sich frei.

Motsi Mabuses Vorname, in der Langfassung Motshegetsi, bedeutet: „Jemand, bei dem man sich anlehnen kann“ – das passt, wie sie fand, ganz gut zu einer Paartänzerin, die sie werden wollte. Mit 18 ließ sie also Familie, Freunde und die Juristerei in der Heimat zurück, um in Deutschland zu tanzen, und zwar mit Timo Kulczak, der ihr erster Ehemann wurde. Bis an die Spitze der Weltrangliste schaffen es die beiden. Nebenbei unterrichtete sie Kinder in einer Tanzschule in Aschaffenburg. Genau dort tanzte Joachim Llambis Tochter. Der Chefjuror entdeckte sie für „Let’s Dance“. Und so begann die Fernsehkarriere der Motsi Mabuse.

So richtig begeistert war sie von diesem Ausflug in fremde Gefilde anfangs allerdings nicht. Fernsehen war eben kein Tanzturnier. Hier war die Show gefragt, und das war etwas ganz anderes als der Leistungssport, den sie betrieb. Auch mit ihrem ersten Jury-Einsatz beim RTL-„Supertalent“ 2011 fremdelte sie: „Ich freute mich auf jede Menge außergewöhnliche Talente, aber das Gegenteil war der Fall“, erinnert sie sich, „nur eine Handvoll der Auftritte waren wirklich gut, der Rest waren Bilder fürs Fernsehen.“ Das habe sie sehr getroffen. „Da steckte keine gute Energie für mich drin.“

Heute, in ihren Vierzigern, sei sie reifer. „Ich bin gewachsen, ich weiß mich zu wehren.“ Als sie im vorigen Jahr erneut angefragt und ihr mitgeteilt wurde, wir gehen beim „Supertalent“ mehr in Richtung Feel-good-Fernsehen nach Art von „Let’s Dance“, dachte sie sich: Okay, let’s go!

Allein, das Fernsehpublikum machte diese Pirouette nicht mit, und inzwischen steht fest, dass das „Supertalent“ in eine „kreative Pause“ geht – woraus man nun schließen könnte, es sei ein Fehler gewesen, auf die böse Energie eines Dieter Bohlen als Chefjuror zu verzichten. „War es ein Fehler oder nicht?“, fragt Motsi Mabuse zurück, „ich weiß nur: Wenn es besser werden soll, muss es anders werden. Die Zeiten haben sich verändert und somit ist es wichtig, sich persönlich weiterzuentwickeln.“ Die Frage, die sie sich stellt, ist: Braucht es wirklich noch die bad guys? „Selbst Joachim Llambi hat sich im Laufe der ,Let’s Dance‘-Staffeln verändert. Er ist nicht mehr so streng wie zu Beginn.“

Nach dem gestrigen „Let’s Dance“-Abend könnte man anderer Meinung sein, aber gut. Wo die richtige Balance zwischen herunterputzen und in den Himmel loben liegt? „Irgendwo dazwischen“, lacht Motsi Mabuse. „Unsere Promis steigen in eine Welt ein, die für sie in der Regel absolutes Neuland ist.“ Deshalb sei es wichtig, sie in der Live-Show zu motivieren. Nie würde sie loben, wenn eine Leistung einfach nicht gut war: „Mir ist wichtig, da ehrlich zu sein, es ist ein Wettbewerb. Aber nur kritisieren muss man halt auch nicht.“

Bis nach UK hat sich Motsi Mabuses Expertise herumgesprochen. Seit 2019 gehört sie dort zur Jury der „Let’s Dance“ Muttershow. Mit bis zu 12 Millionen Zuschauern bei der BBC ist „Strictly Come Dancing“ das, was man hierzulande einmal Straßenfeger nannte. Ihre Prominenz auf der britischen Insel brachte die ehemalige Tanzsportweltmeisterin aus Germany auf das Sofa der populären „Graham Norton Show“, direkt neben Tom Hanks.

Kurzer Rückblick: Besagter Hollywood-Star wurde einmal von Markus Lanz bei „Wetten, dass…?“ zum Sackhüpfen mit einer Katzenmütze auf dem Kopf genötigt, worauf er tags drauf lästerte, „wenn das nicht Qualitätsfernsehen ist“. Ein, ähem, historischer TV-Moment.

Ihr erster Gedanke, als sie aus Südafrika kommend den Fernseher einschaltete? „Schon sehr speziell“, drückt sich Motsi Mabuse diplomatisch aus. Mit „Familien-Duell“ und ja, auch Gottschalks „Wetten, dass . . .?“ lernte sie einst die deutsche Sprache. Aber all diese Faschingssendungen, traraa traraa, alle lachen, und dann die Thriller . . . – „das war eine Kultur, die ich so nicht kannte“, lacht sie.

Wenn sie ins Ausland schaue, erlebe sie, wie viel Mühe sich die Leute dort geben. Ein einfaches Beispiel sei das Styling: „Das hat für mich mit Respekt gegenüber dem Format, dem Event zu tun.“ In Turnschuhen auf die Bühne? Oh no! Es müsse funkeln, so wie bei „Let’s Dance“: „Manche Leute mögen vielleicht denken, mein Gott, wie sehen denn Jorge und Motsi schon wieder aus. Aber wir schaffen den Raum für Spaß, für etwas, das nicht in die Norm passt.“ Sie wünsche sich deshalb „mehr Glitzer und Glamour! Mehr Freude, mehr Farbe!“.

Motsi Mabuse © Vera Mont
Ob es etwas gibt, was sie persönlich im deutschen Fernsehen unbedingt noch erreichen möchte? Lang muss Motsi Mabuse da nicht überlegen: „I want to kick more doors, sagt sie in ihrem unnachahmlichen Kauderwelsch, sie will noch mehr Türen öffnen und zeigen, „wie weit eine schwarze Frau im deutschen Fernsehen kommt“. Deshalb laute ihr Appell an die deutschen Fernsehschaffenden: „Wie weit seid ihr bereit, die Tür zu öffnen? Macht Schluss mit dem Schubladendenken!“ Sie selbst habe da „viele Ideen“.

In „Chili im Blut“ beschreibt sie, was sie als Nicht-Weiße in den Anfangsjahren in Deutschland erlebte. Niemand schien zu interessieren, dass sie schwarz war – bis in einem Aufzug in Bad Kissingen ein älteres Pärchen sie anstarrte und sich zuflüsterte, „boah, die ist aber schwarz“. Zu dieser Zeit konnte sie schon ganz gut Deutsch und antwortete schlagfertig: „Omi, ich bin nicht schwarz, ich bin braun. Braun wie schöne Schokolade.“ Aus Südafrika kannte sie „ganz andere, sehr brutale Reaktionen“.

Sie reißt das Thema Rassismus im Buch nur sporadisch an, aber man merkt schon da, dass es sie bewegt. Dass es ein Lebensthema ist, bei dem hierzulande in der Mehrheit das Mit-Erleben über das Nur-mit-Fühlen nicht hinausgeht. Und heute?

Als sie nach Deutschland kam, erzählt sie, sei sie komplett in ihrer Tanz-Blase gewesen: „Ich lebte fürs Tanzen und spürte keine Verantwortung.“ Seit sie sich aber mehr im TV-Business bewege und erst recht, seit sie Mutter sei, habe sich ihre Sicht verändert: „Ich lebe zwar noch immer in einer Blase. Ich bin die ,Frau Mabuse‘, ich bin ein wenig geschützt. Aber ich sehe und höre mehr, was viele Menschen mit schwarzer Hautfarbe im Alltag erleben. Und das geht mir sehr nah.“

Leute rieten ihr, Motsi, rede nicht über Rassismus, rede nicht über Politik. Du bist im Showbusiness. „Aber das Problem ist: Ich kann nicht so tun, als ob es mir gut geht und mir alles andere egal ist.“ Ihr sei es wichtig, dass andere Stimmen gehört werden. „Wenn ich über Fremdenfeindlichkeit rede, dann wird zu viel über meine Person gesprochen und nicht über das Problem an sich. Mein Kind wächst hier auf. Wir leben und arbeiten hier. Ich kann nicht weiterhin nur die Frau Mabuse sein.“

Wer ihr auf Instagram folgt, erlebt dort eine Motsi Mabuse, die sich immer öfter klar positioniert und nicht nur zu Black Lives Matter: „Hey, wir erleben gerade einen Krieg, im Jahr 2022! Da kannst du doch nicht nur deine Pizza-Bilder posten“, sagte sie noch an jenem Dienstagmorgen, „times have changed. Entweder gehst du mit oder du bleibst zurück.“

Ihre dezente Gedenkschleife für die Ukraine gestern Abend bei „Let’s Dance“ mag eine stille, kleine Geste gewesen sein. Die Wirkung war groß.