Als am Dienstag in Stockholm die Physik-Nobelpreisträger bekannt gegeben wurden, tanzten in einem TV-Studio in München-Unterföhring die Photonen und Elektronen vor Freude Samba. „Boah, der Zeilinger! Das ist ja nicht zu fassen“, übermannten Harald Lesch die Emotionen. Für die Bekanntgabe per Live-Stream unterbrach der ZDF-Moderator eigens die Dreharbeiten für seine Sendung „Leschs Kosmos“ und fachsimpelte auf YouTube mit seinem Assistenten Marco Smolla über die Bedeutung der Preisvergabe, der das „irre Phänomen der Verschränkung“ zugrunde liegt.

Harald Lesch © Johanna Brinckman
Was genau dieser von Lesch so verehrte Anton Zeilinger mit den beiden anderen „Quanten-Päpsten“ geleistet hat, mag sich den allermeisten Nicht-Physikern (inklusive meiner Wenigkeit) in seiner vollständigen Dimension nicht erschließen; es muss – wirklich ganz, ganz grob gesagt – irgendwas mit Teleportation nach „Star Trek“-Art zu tun haben. Aber egal. Deutschlands wohl berühmtesten Fernsehprofessor so freudig erregt in seinem Element zu erleben – einfach erfrischend.

Diese Erklärmagie des Harald Lesch weiß wohl niemand mehr zu schätzen als sein Sender. Das ZDF setzt den doppeltstudierten Astrophysiker und Naturphilosophen multifunktional für alles ein, was die Weiten des Wissenschafts- und Technikuniversums kreuzt. Angefangen von besagtem Magazin „Leschs Kosmos“ über diverse Ableger von „Terra X“ inklusive der von Johannes B. Kerner moderierten „Terra X Show“ bis zum vierzehntägigen Podcast „Maschinenraum Deutschland“. Auch eine „Terra X“-Jubiläumsfolge über Afrika wird er bald präsentieren.

Und braucht es wissenschaftliche Expertise in einer Talkrunde, dann steigt der „Astrophysiker mit fatalem Hang zum Temperament“ (Markus Lanz) wie zuletzt im August in den Zug nach Hamburg und fetzt sich nach einem großen Schluck alkoholfreien (!) Biers so heftig mit Agnes Strack-Zimmermann von der FDP über „unanständige Kapitalisten“ in der Erdöl-Industrie, dass es scheppert.

Leschs dort bei Lanz ab Min. 37 sehr schön zu beobachtendes italienisches Reden gepaart mit der Gabe, komplexe Zusammenhänge so anschaulich zu erklären, dass sie (fast) jede und jeder verstehen kann, kommt insbesondere dort gut an, wo sich das ZDF-ferne, eher junge Publikum aufhält. So betreibt der unter anderem mit Deutschem und Bayerischen Fernsehpreis ausgezeichnete Wissenschaftserklärer auf YouTube inzwischen im achten Jahr den Kanal „Terra X Lesch & Co.“ und das mit erstaunlichem Erfolg für jemanden, der sich selbst als „digitaler Eremit“ bezeichnet und einen mobilen Telefonknochen besitzt, der „nicht einmal fotografieren kann“.

Harald Lesch bei Lanz © Screenshot ZDF Harald Lesch bei "Markus Lanz" (ZDF).

Dass der Lesch-Kanal noch einmal 100.000 mehr Abonnenten aufweist als das schlicht „Terra X“ genannte YouTube-Angebot, dürfte sein Intendant Norbert Himmler wohlwollend zur Kenntnis nehmen. Dieser präsentierte erst kürzlich dem ZDF-Fernsehrat die Erfolgsmeldung, dass insgesamt die Wissenschaftsangebote des Senders online immer stärker nachgefragt würden und dass gerade die jüngeren Zielgruppen zwischen Ukrainekrieg, Klimakrise und Pandemie dort nach vertrauenswürdigen Hintergründen und Informationen suchten.

Was denkt Harald Lesch mit seinen 62 Lebensjahren, welchen Anteil er daran hat?

Um eine Antwort auf diese Frage zu bekommen, ist Geduld angebracht. Das verabredete Gespräch mit ihm verzögert sich um etwas mehr als die akademische Viertelstunde. Seine umfangreiche Fernseh- und Internetpräsenz lässt schnell vergessen, dass er im Hauptberuf Lehrer ist. Er unterrichtet mehr, als dass er moderiert. Achtzig Prozent seiner Arbeit findet an der Ludwig-Maximilians-Universität bzw. der Hochschule für Philosophie in München statt. Und deshalb hat der Herr Professor an diesem Morgen an seiner Alma Mater noch Wichtigeres zu Ende zu bringen.

Das Wintersemester muss vorbereitet und eine Situation antizipiert werden, die auf alle öffentlich-rechtlichen Institutionen zukommt: Was tun, wenn das Gas ausgeht? Die großen Hörsäle sind thermodynamisch natürlich ein Graus. Und wer wüsste das besser als Harald Lesch, der seit 1995 an der LMU Astrophysik lehrt u.a. mit dem Schwerpunkt kohärente Strahlungsprozesse in kosmischen Systemen. Sorgen auf Mutter Erde, dass Lehrende und Studierende im Auditorium frieren werden müssen, kann er nicht zerstreuen. Die Heizungen sind schon heruntergedreht. „Die Leute haben Strickjacken an“, sagt Lesch. Er übrigens auch. „Ich bin der klassische Strickjackenträger.“

Blickt man in die Historie seiner Fakultät, weist sie eine Reihe von Physik-Nobelpreisträgern auf, von Wilhelm Conrad Röntgen bis Theodor Hänsch. Den Ehrgeiz, die Liste der großen Namen fortzusetzen, habe er selbst indes nie entwickelt. „Um Gottes Willen!“, wiegelt Lesch ab, „der Nobelpreis ist eine Auszeichnung für herausragende wissenschaftliche Auszeichnungen. Und in die Klasse habe ich mich überhaupt niemals vorgewagt.“ Hänsch oder auch Reinhard Genzel, Leschs Kollege vom Max-Planck-Institut in Garching und Physik-Nobelpreisträger von 2020, hätten ihr gesamtes Dasein in den Dienst der Wissenschaft gestellt. „Dazu bin ich nie bereit gewesen.“

Die meisten Wissenschaftler strebten keine Nobelpreise an, sondern eine Dauerstelle, die ihre Familie ernährt und ihnen die Freiheit zum Forschen schenkt. Das werde ihnen leider verwehrt durch ein System, das auf die Selbstausbeutung der Idealisten setzt und sie von einem Zeitvertrag zum nächsten jagt. Leschs eigener Idealismus hätte nur bis zum 35. Lebensjahr gereicht: Entweder habe ich bis dahin eine Dauerstelle oder ich bin raus, schwor er sich. Wäre ein Kollege, für den die Stelle an der LMU vorgesehen war, nicht nach Basel gegangen, dann würde er heute „vielleicht den Fachbereich für Naturwissenschaften und Philosophie an der Volkshochschule Siegburg leiten“.

Gut, dass es anders kam. Noch besser, dass ihn ein Freund 2008 überredete, den „Rolls Royce der Wissenschaftssendungen“ zu übernehmen.

Der mit dem gewissen „Knoff-Hoff“ ausgestattete Joachim Bublath musste mit 65 in ZDF-Pension gehen, und so übernahm der damals 48-jährige Harald Lesch die Moderation von „Abenteuer Forschung“. Schon Bublath hatte das Wissenschaftsmagazin mit selbstgeschnittenen Hochglanzbildern aus der Nerd-Ecke herausgeholt. Sein Nachfolger als Moderator entstaubte es noch ein Stück mehr und verpasste ihm den heutigen, also seinen eigenen Namen: „Leschs Kosmos“.

Wissenschaft mit „Professor Lesch“ machte plötzlich sehr viel Spaß. Das lag nicht nur an seiner Lockerheit vor der Kamera, die er das Jahrzehnt zuvor bei BR-alpha nebenberuflich geübt hatte und die nicht jedem Wissenschaftler gegeben ist (auch nicht Leschs eigener Ehefrau, der Astrophysikerin Cecilia Scorza, mit der er auf YouTube Live-Schulstunden zum Thema Klimawandel abhielt).

Entscheidender war, dass Harald Lesch jenen Typus Moderator verkörpert, den das ZDF nach den Popularisierungsexperimenten mit Maximilian Schell & Co. auch für seine „Terra X“-Formate suchte: also „den Mann oder die Frau mit Fachkompetenz, mit Autorität qua Sachverstand“ und „mit Authentizität“, was in der heutigen Medienwelt, in der Präsentatoren eines Programms in ihrer Rolle viel stärker hinterfragt würden als früher, „ein hohes Gut darstellt“.

So formuliert es Peter Arens, Leiter der Hauptredaktion Geschichte und Wissenschaft im ZDF, in einer Begleitschrift zum Jubiläum 40 Jahre „Terra X“, das vom 16. Oktober an mit dem Sechsteiler „Unsere Kontinente“ gefeiert wird. Lesch präsentiert, wie gesagt, die erste Folge über Afrika. Nicht, dass er sich für einen ausgewiesenen Afrika-Experten hielte; er sei nur der Moderator. Den „Wahnsinnskontinent“ hat er selbst auch nie bereist, obwohl sein Großvater im ehemaligen Deutsch-Südwestafrika geboren wurde. Das ZDF fragte ihn halt an, und er entschied, Harry, da musst du ran.

Autorität und Authentzität

Wie die gesamte Marke „Terra X“ hat sich also auch der Physiker Harald Lesch vor der Kamera in alle Wissensrichtungen und Darbietungsformen diversifiziert. Das jeweilige Spezialwissen schafft er sich ran, indem er die „intellektuellen Landschaften“ abgrast, also sein Netzwerk an den großen Universitäten nutzt, „wo man für jedes Thema garantiert jemanden findet, der richtig Bescheid weiß“. Denn „unbeleckt ins Studio gehen und sich irgendwelche Zettel in die Hand drücken lassen, das musst du jetzt sagen“, das macht er nicht.

Die Entscheidung, schon recht früh, 2016, mit seinem Erklärtalent ins Internet zu gehen, traf er erst nach einigem Zureden. Ein YouTube-Kanal, seid ihr wahnsinnig, ich bin ein alter weißer Mann, ich habe mit dem Medium überhaupt nichts zu tun, entgegnete er der Redaktion. Und ließ sich dann doch darauf ein. Mit einem jungen Team zusammenzuarbeiten, das noch mal einen anderen Blick auf Wissenschaftsvermittlung hat und das ihn „durch den YouTube-Dschungel“ führt, bereitet dem Professor „großes Vergnügen“.

Harald Lesch © Johanna Brinckman
Ja, er habe seinen Anteil am digitalen Erfolg der ZDF-Wissenschaftsangebote, aber er könne ihn nicht einschätzen. Mit der „Metaebene von Wissenschaftskommunikation“ beschäftige er sich nicht. Er achte darauf, dass seine Sendungen inhaltlich „absolut wasserdicht und stoßfest“ sind. „Welche Wirkung sie haben? Als Philosophie-Professor würde ich sagen: Meine ethische Verantwortung hört beim Schädelknochen des Gegenübers auf. Das heißt: Ich kann so gut es geht kommunizieren, aber was dann in den Hirnen der Leute passiert, dafür bin ich ethisch nicht zuständig.“

Mit seiner ZDF-Kollegin Mai Thi Nguyen-Kim teilt er den Eindruck, dass in der Gesellschaft inzwischen angekommen ist: Man braucht ziemlich viele wissenschaftliche Kenntnisse, um die Welt von heute einigermaßen zu verstehen. Verzweiflung hört man allerdings heraus, wenn Lesch über sein Lieblingsthema spricht: „Seit über 50 Jahren warnt die Klimaforschung. Im Grunde wiederholen wir immer die gleichen Geschichten mit immer mehr Daten. Das Bild wird immer vollständiger, immer dramatischer, die Entwicklungen immer schneller . . .“

Und schon ist der „Citoyen, der Bürger mit politischem Engagement“, als der ihn sein Abteilungsleiter Peter Arens einmal bezeichnete, in seinem Redefluss kaum mehr zu stoppen. Spricht davon, dass er „keinen Bock mehr“ habe, „irgendwelche klimawandelskeptischen Bemerkungen“ in seinen Sendungen zu präsentieren. „Dazu weiß ich zu viel über Isotopenanalysen von Kohlenstoff in der Atmosphäre. Und die beweisen eindeutig, dass der Treibhauseffekt in den letzten 200 Jahren von uns deutlich erhöht worden ist.“

Mit dem biblischen Diktum, dass man als Wissenschaftsjournalist (als der er 2019 mit dem Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis ausgezeichnet wurde) möglichst weit entfernt sein muss von dem Inhalt, den man behandelt, kann Harald Lesch also nichts anfangen. Er sei „Wissenschaftler mit Leib und Seele“; die Wissenschaftskommunikation gehöre zu seinem Lehrersein dazu. Es gebe praktisch kein Thema, wozu er nicht Position beziehe und diese auch wissenschaftlich zu begründen versuche. Und gerade beim Klimaschutz, wo es schließlich um unsere Lebensgrundlage gehe, da dürfe er „keine Distanz aufbauen‘“.

Ginge es übrigens nach ihm, müsste im Fernsehen noch viel mehr über Wissenschaft geredet werden. Zum Beispiel in einer Talkrunde nach Art des „Presseclubs“ im Ersten. Mit dieser Formatidee war er beim damaligen ARD-Programmdirektor Volker Herres zwar gescheitert. Aber sie treibt ihn noch immer um. Sollte er mal Norbert Himmler treffen, werde er sie ihm vorschlagen.

Aber im Moment, wir sagten es bereits, hat Harald Lesch in der Doppelfunktion als Professor im Fernsehen und an der Uni genug zu tun. Insofern denke er immer dran: „stabile Seitenlage, Puls 60, kein Blutverlust, erstmal abwarten, eins nach dem anderen.“