Nimmt man zum Maßstab, dass eine Fernsehsendung nur so gut ist wie ihre Bilder, dann war die „Let’s Dance“-Ausgabe gestern Abend bei RTL eine Wucht. Pyro sprühte, Nebel waberte, das Bühnentor leuchtete. Und wurden bei den Protagonisten die Augen feucht, was sehrsehrsehrsehrsehrsehr oft passierte, selbst beim sonst emotionsstabilen Joachim Llambi, dann fing irgendeine der elf Kameras diesen magic moment verlässlich ein. Es passierte also genau das, was Mark Achterberg meint, wenn er beschreiben soll, was einen guten Show-Regisseur auszeichnet:

„Er weiß, wie man aus den Komponenten Inhalt, Choreografie, Licht, Kamera und Schnitt das stimmigste und beeindruckendste Bild zusammenstellt, sodass der Zuschauer im besten Fall eine Gänsehaut bekommt.“

Geht Mark Achterberg eine Show selbst unter die Haut, dann weiß er, das ist gut, das kommt an. Und nur damit das schon mal klar ist: Dieser Mann gehört zu den Guten seines Fachs. Seit bald 30 Jahren führt er Regie. Er ist spezialisiert auf Live-Shows. Deshalb haben wir auch geduldig gewartet, bis er einen freien Termin für dieses Gespräch fand. Zwischen der „Giovanni Zarrella Show“ in Berlin und dem ProSieben-Magazin „Zervakis und Opdenhövel“ in München haben wir ihn in seiner Heimat Köln erwischt.

Die drei kleinsten Kinder sind an diesem Morgen schon aus dem Haus, in die Kita und Grundschule. Dafür dröhnen eine Etage über ihm Handwerker mit schwerem Gerät. Der Regisseur im Homeoffice rückt mit dem Ohr näher an Mikrofon und Lautsprecher ran. Den Kollegen, mit denen er das Finale von „Germany’s Next Topmodel“ am 15. Juni stemmen wird, hat er im Meeting zuvor gesagt, er müsse pünktlich raus, wichtiger Termin mit DWDL.de. Das sind Prioritäten, die wir natürlich sehr schätzen.

Und Action!

Wie wird man Show-Regisseur, Herr Achterberg? In einer Stadt wie Köln, wo unzählige TV-Shows produziert werden, scheint ja der Weg zum Fernsehen programmiert zu sein. Für ihn war er, wie er erzählt, buchstäblich sehr, sehr kurz.

Mark Achterberg © C. Meyer
Von Junkersdorf tief im Westen Kölns, wo er 1971 geboren wurde, war es nur ein Katzensprung zu diesem neuartigen TV-Sender RTL plus, der 1988 aus Luxemburg hierhergezogen war. Und so lief der Junkersdorfer Jung‘ eines Tages einfach hinüber, ob er sich neben der Schule was dazu verdienen könne. Es gefiel ihm, es machte Spaß. Er blieb. Nach dem Abi machte er bei RTL und der Magic Media Company (MMC) eine Ausbildung zum Kamera-Assistenten und Kameramann. Ein Jahr arbeitete er fest angestellt. 1996 machte sich Achterberg selbstständig. Er wollte als Freiberufler selbstbestimmt arbeiten, sowohl an der Kamera als auch am Regie-Pult. (Kleiner Fun-Fact: Zehn Jahre betrieb Achterberg nebenbei die Bar Haifisch-Club in der Kölner Südstadt.)

Erste Regie-Anfragen kamen rein, kleine Sachen, der Daily Talk von Bärbel Schäfer zum Beispiel. Dass er ein ganz gutes Gefühl dafür hat, wie man auch mit weniger Mitteln etwas groß inszenieren kann, sprach sich rum. Die Projekte wurden groß und größer. Nach dem Ausflug ins Reality-Fernsehen mit „Big Brother“ folgten Musikshows wie das „Popstars“-Finale und „Deutschland sucht den Superstar“. 2006 gingen die Langlaufshow „Let’s Dance“ und der erste Live-Showdown von „Germany’s Next Topmodel“ über die Bühne, die Achterberg seither ins rechte Licht rückt. Auch bei den anderen Flaggschiffen, bei „The Voice of Germany“, „The Masked Singer“ oder der „Giovanni Zarrella Show“ hat der Experte für Live-Shows die Regiefinger im Spiel.

„Ich liebe Live-Fernsehen“, sagt Achterberg, „noch mehr als Aufzeichnungen.“ Zwar habe er kein Problem damit, wenn an seinen vorproduzierten Werken im Nachhinein herumgeschnippelt wird, solange es sinnvoll passiert, was nach seiner eigenen Erfahrung meist der Fall ist. Aber was direkt rausgeht, das hat diesen besonderen Kick, diesen „Live-Crisp“, den nicht nur das Publikum schätzt, weil es sieht, was genau in diesem Moment passiert. Er als Regisseur stehe unter dem Druck, dass möglichst nichts schiefgehen soll und wenn, „dann ist es auch nicht schlimm“. Egal ob live, live on tape oder Aufzeichnung, seine Herangehensweise sei immer dieselbe: „Ich versuche jedes Mal, die perfekte Variante einer Sendung abzuliefern, sodass sie ohne Schnitt direkt gesendet werden kann.“

Achterbergs Perfektionswille ist der Deutschen Fernsehpreis-Jury nicht verborgen geblieben. 2018 zeichnete sie ihn für die „Beste gestalterische Leistung Unterhaltung“ aus, 2020 würdigte sie sein „untrügliches Gespür für Glamour“ bei „The Masked Singer“ und „Let’s Dance“ mit einer Nominierung. Hört man sich zur Gesprächsvorbereitung in seinem professionellen Umfeld um, fallen die Worte nicht weniger enthusiastisch aus: Er sei „unfassbar angenehm“ im Umgang, habe ein „gutes Gefühl für Leute“, arbeite „penibel“ und „total detailverliebt“. Es mache halt was aus, wenn er sich in die kleinste Kleinigkeit hineinversetzt und jede Einstellung bespricht.

Nur welchen Gestaltungsspielraum hat Mark Achterberg tatsächlich in einer langlaufenden Show wie zum Beispiel „Let’s Dance“, die ja auch in der 16. Staffel optisch klar erkennbar sein muss wie am ersten Tag? Und kann der Laie erkennen, wenn ausnahmsweise mal nicht er Regie führt, sondern der Altmeister Volker Weicker?

Auf der Suche nach magischen Momenten

Mark Achterberg tut sich schwer mit dieser Frage. Die „Let’s Dance“ Folge, die der von ihm „sehr geschätzte Kollege Weicker“ vorigen Freitag inszenierte, konnte er noch nicht sehen. Mit Blick auf die Quote sei sie „sehr gut gelungen“. Jeder habe seine eigene Herangehensweise, formuliert Achterberg vorsichtig und man merkt: Nie käme es dem Jüngeren von den beiden in den Sinn, sich zu vergleichen oder gar das in der Branche kursierende Etikett „der junge Weicker“ anzupappen. Lieber spricht er darüber, wie er es macht. Wie er donnerstags zur Probe dazustößt, nachdem sich die Redaktion über die Woche Gedanken gemacht hat, welche Tänze und Choreografien man wie kreativ umsetzen kann. „Mein Job ist, diese redaktionelle Vorarbeit mit meinem Team auf die große Bühne zu bringen, sodass magische Momente entstehen.“

Regie führen, fährt Achterberg fort, fühle sich für ihn nicht wie Arbeit an. Er sage immer: Das Leben ist ein Fluss. Man hat private Momente und man hat Momente, wo man Geld verdient. Letztere verbringt er mit einem festen Team aus Regieassistenten, Aufnahmeleitern und Kameraleuten, die ihn überallhin begleiten. Es ist im Grunde eine Berufsfamilie. Sie kennen sich seit Jahren, sie vertrauen sich, alle denken mit, jeder bringt sich ein, was man noch besser machen könnte. Er müsse nicht immer alles neu erklären, weil alle genau wüssten, was meint er jetzt?

Das Vertrauen auf diese „Schwarmkreativität“, wie Achterberg sie nennt, mache seine Arbeit leichter. Die am Theater lange üblichen Regie-Genies, die ihre Mitarbeiter zu Höchstleistungen knechten und nie nach ihrer Meinung fragen, soll es auch im Fernsehen gegeben haben. Mark Achterberg könnte von diesem Rollenbild nicht weiter weg sein. Er sei kein Zirkusdirektor, der alle herumkommandiert. „Regie ist immer gemeinschaftliche Arbeit“, lautet sein Mantra. Jeder müsse auch mal in der Hektik eine Entscheidung treffen können, sodass alle mit einem guten Gefühl nach Hause gehen. „Gute Laune ist die Grundvoraussetzung, weil sie sich immer auf das Produkt überträgt. Das ist der Schlüssel zum Erfolg.“ Was er am meisten an seinem Job liebe: die Zusammenarbeit mit den Kollegen. Als Team etwas kreieren. Umso schöner, wenn die eigene Schwester dazugehört.

Die nur ein Jahr jüngere Andrea Achterberg stieg mehr oder weniger im Gleichschritt mit dem Bruder in die Fernsehwelt ein. Als er seine Ausbildung begann, folgte sie ihm ein Jahr später zur MMC, aber Richtung Bildmischung. Da lag es nahe, die Schwester bei den ersten Regie-Projekten einzuspannen. Über viele Jahre mischte sie für ihn die Bilder bei Live-Shows. Inzwischen arbeitet sie selbst als Regisseurin und das kaum weniger erfolgreich. So waren 2020 beide Achterbergs in derselben Fernsehpreis-Kategorie nominiert. Die Trophäe holte sie nach Haus (u.a. für „Schlag den Star“).

Mark Achterberg © C. Meyer
Wer „Rivalen der Regie“ in diese außergewöhnliche Geschwisterkonstellation hineininterpretiert, erntet umgehend ein Dementi von Mark Achterberg. Rivalität gebe es zwischen ihnen „überhaupt nicht“, es sei „ein schönes Miteinander“, sie ergänzten sich gut. Schon als Kinder und Heranwachsende hätten sie sich immer gut verstanden. „Das ist bis heute so. Andrea hat ihre Projekte und ich meine.“ Manchmal teilen sie sich sie sogar. So darf Andrea Achterberg bei „The Masked Singer“ ran, wenn der große Bruder nicht kann.

Die Promi-Maskerade gehört übrigens zu jenen Entertainment-Formaten, bei denen der umsatzschwächelnde Medienkonzern ProSiebenSat.1 gerade testet, ob sie sich auch mit weniger Lichtzauber produzieren lassen. Strom ist teuer geworden. Die Kosten sprengen Produktionsbudgets. Um sie dennoch im Rahmen zu halten, wurde testweise auf ein Drittel der Beleuchtung verzichtet. Der Unterschied ist P7S1-Vorstand Wolfgang Link zufolge „fast nicht wahrnehmbar“ (hier im DWDL.de-Interview nachzulesen). Regisseur Achterberg kann das bestätigen.

Mit weniger Licht auszukommen, funktioniere tatsächlich gut, sagt er, dank der genialen Konzeption der Licht-Designer. Sie wüssten genau, wo man die Lampen am besten aufhängt, „dass es trotzdem super aussieht“. So ganz wohl fühlt sich Achterberg mit dieser Sparmaßnahme allerdings nicht. Natürlich wollten Kreative wie er den bisherigen Standard erhalten. Andererseits müsse sich jeder Gedanken machen, auf was man bei einer Show-Produktion verzichten möchte. Denn letztlich muss „die ganze Party“ bezahlt werden. Seine eigenen Kamerakonzepte seien immer genau auf das jeweilige Format und die Location abgestimmt. Ob er acht, zehn, zwölf oder fünfzehn Kameras brauche, sei situationsabhängig. „Ich empfehle jedenfalls nicht einfach so drei Kameras mehr. Nimmt man eine weg, würde was fehlen in der Show.“

Hach, was waren das noch für Zeiten, als Mark Achterberg mal so richtig klotzen statt kleckern durfte. 2015 war das, bei einem PR-Auftrag in den USA. Der Lichteinsatz bei der Präsentation von Daimlers erstem autonom fahrenden Freightliner würde deutschen Stromkunden im Jahr 2023 die Tränen in die Augen treiben.

Für die Jungfernfahrt des Mega-Trucks wählte die Kölner Agentur OSK, mit der Achterberg bei Projekten für Industrie und Messe eng zusammenarbeitet, eine Mega-Location, den Hoover-Damm bei Las Vegas: 39.000 Quadratmeter Beton, mehr als 200 Meter hoch, höher als der Kölner Dom. 60 Hochleistungsbeamer warfen Bilder an die Staumauer, Kameras aus dem Hubschrauber filmten die Szenerie. 1,17 Millionen Lumen Gesamtlichtleistung kamen auf „der größten befahrbaren Bühne der Welt“ zusammen. Weltrekord! Eintrag ins Guinness Buch! Es muss wirklich outstanding gewesen sein, was der deutsche Show-Regisseur da in der Wüste Nevadas inszenierte.

Und es kam noch besser.

Als alle Journalisten abgereist waren, kamen Achterberg und Agenturchef Oliver Schrott, beide glühende 1. FC Köln-Fans, auf die Idee: Bevor wir abbauen, könnten wir doch, so aus Spaß, noch schnell den Hennes drauflegen. Und so prangte für drei, vier Minuten der Kölner Geißbock in XXXL auf dem Hoover-Damm. So was können die Bayern nicht toppen.

Mit dem FC leidet Mark Achterberg an jedem Wochenende mit, seit er in seiner Jugend selbst am Geißbockheim in Junkersdorf kickte. Das Leid hält sich momentan glücklicherweise in Grenzen, nach dem 1:3 in Hoffenheim vorigen Samstag. Wenn die Kölner heute Nachmittag Freiburg empfangen, wird der Dauerkartenbesitzer zu seinem Leidwesen den Verein nicht im Stadion anfeuern können. Im Coloneum fällt am Abend wieder eine Maske. Der Moment, wo Mark Achterberg Geld verdient, hat Priorität.