Als Jan Köppen im Januar zum ersten Mal die Dschungelshow moderierte, witzelte er, er habe versprechen müssen, länger im Amt zu bleiben als ein RTL-Geschäftsführer. Dieser Brüller beschreibt ganz gut, in welchen Rumble in the Jungle Deutschlands größter Privatsender geraten war, seit Anke Schäferkordt nach stabilen 13 Dienstjahren die Boxhandschuhe abgeben musste. Ihr Nachfolger Bernd Reichart trat 2019 an und war weg nach zweieinhalb Jahren. Stephan Schäfer und Matthias Dang hielten sich als Doppelspitze nur ein Jahr. Seit dem 17. November 2022 ist er nun Programm-Geschäftsführer von RTL Deutschland.

Et voilà, er ist immer noch da. Seit exakt 219 Tagen. Anzeichen dafür, dass nach diesem Sommer keine weiteren dazukommen, gibt es momentan nicht. Und so muss die Frage gestellt werden: Wird jetzt ausgerechnet ein Radio-Fuzzi dafür sorgen, dass beim Riesenfernsehladen RTL endlich dauerhaft Ruhe einkehrt?

Das mit dem Radio-Fuzzi darf man über Stephan Schmitter schon so sagen. Er hat damit kein Problem, wenn andere genau das in ihm sehen, wie er vor ein paar Tagen gut gelaunt im „Nahaufnahme“-Gespräch erklärt: „Ich habe dem Radio unglaublich viel zu verdanken und das auch mit viel Liebe und Leidenschaft gemacht. Außerdem habe ich dort eine Menge gelernt, was mir zwischen all den ,TV-Dinos‘ vielleicht den ein oder anderen Überraschungsmoment beschert.“

Überraschend war in der Tat, dass Thomas Rabe, Triple Threat bei Bertelsmann, RTL Group und RTL Deutschland, den langjährigen Radiomanager Schmitter zu sich in die Geschäftsführung holte und ihn mit einer „Traumaufgabe“ betraute. Plötzlich war dieser nicht mehr nur Radio-Chef, Audio-Chef und News-Chef im RTL-Reich, sondern trug Verantwortung für sämtliche Inhalte und Marken auf allen Kanälen und Plattformen, also auch für Shows, Serien und Sport - und das Gedruckte nicht zu vergessen. Ein rasanter Aufstieg für jemanden, der fast sein ganzes Leben lang nichts anderes als Radio im Kopf hatte.

Jedes Klischee hat der 1974 in München geborene Stephan Schmitter erfüllt. Als Teenager hörte er nachts unter der Bettdecke heimlich Egners „Hits mit Fritz“ oder Thomas Gottschalks „Pop nach acht“ auf Bayern 3. Er nahm sich auf Kassette auf, wie er Stephan Lehmanns flockiges „Guten Morgen Bayern“ auf Antenne Bayern zu kopieren versuchte. Und wenn er nach Art der ARD-Radio-Bundesligakonferenz bei einem Tor wieder einmal zu laut schrie, drohte die Mutter, ihm das Tipp-Kick-Spiel wegzunehmen.

Kind des Privatfernsehens

Beim Schauen war er „überwiegend ein Kind des Privatfernsehens“, erzählt Schmitter weiter. Zehn war er, als RTL als fünfter Knopf (nach Sat.1) auf der Fernbedienung auftauchte, und Abiturient, als er das allererste Engagement bei seinem späteren Arbeitgeber hatte. In der RTL-Serie „Unsere Schule ist die beste“ stand er, oha, mit Elmar Wepper und Michaela May vor der Kamera. Nachhaltig beeindruckt hat ihn das Fernsehmachen geschweige denn die Schauspielerei indes nicht.

Stephan Schmitter © RTL / Paul Karrenstein
Noch heute wird er „manchmal etwas ungeduldig“, weil beim Fernsehen die Vorläufe sehr viel länger und komplexer sind als beim Radio. Sekunden vor dem Rotlicht noch darauf reagieren, was die Menschen im Sendegebiet gerade in diesem Moment beschäftigt, Mikro auf und los – das kann nur Radio. Die News und Magazine im TV kommen in Sachen Aktualität da schon sehr nah dran. Aber bei Serien, Filmen, Reality-Formaten oder großen Primetime Shows müsse er schon im Sommer 2023 antizipieren, was die Zuschauerinnen und Zuschauer an Ostern 2024 wohl am liebsten sehen möchten. Das werde dann mitunter zu einer Fifty-Fifty-Nummer, bei der mutige Entscheidungsfreude und ein verlässliches Bauchgefühl gefragt sind. „Meine Radio-Erfahrung hilft mir da sehr“, ist Schmitter überzeugt.

Auf das Medium Fernsehen schaute er früher immer mit dem Gedanken, wow, was können die beim Fernsehen alles auf die Beine stellen! Beim Radio dagegen hängen an jeder Kalkulation des Budgets immer ein paar Nullen weniger dran, weshalb es zwangsläufig sehr viele kreative Ideen braucht, um mit beschränkten Mitteln jeden Tag eine Top-Performance zu bringen. All das lernte Schmitter von der Pike auf.

Der ein Jahr ältere Richard Gutjahr-Löser verschaffte dem Studenten der Kommunikations-, Theater- und Politikwissenschaften ein Praktikum bei Gong 96,3 in München, wo zu dem Zeitpunkt auch ein gewisser Bully Herbig und ein gewisser Rick Kavanian ihr Comedytalent ausprobierten. Der „Richy“ und der „Schmitti“ (diesen Kosenamen wird Schmitter in der Branche nie mehr los!) kannten sich bereits über eine Agentur, die Dienstleister für das BR-Jugendmagazin „Live aus dem Alabama“ war. Gutjahr, der den „Löser“ im Namen später ablegte, moderierte parallel im Radio die Sendung „Funhouse“ – und wurde von dem neuen Praktikanten alsbald links überholt:

Nahtloser Übergang ins Volontariat. Co-Host und Fachmann für den Sport in der mit seinem „großartigen Mentor“ Mike Thiel gemeinsam konzipierten und moderierten Morningshow. Redaktionsleiter. Chefredakteur. Programmdirektor, der Jüngste in Deutschland!

Dem Schorsch Dingler, damals Geschäftsführer von Radio Gong und heute ein Freund, ist Stephan Schmitter bis heute sehr dankbar, dass er ihm so viel Vertrauen schenkte und ihn viele, auch schräge Dinge ausprobieren ließ. Dieses Gefühl, das er damals erleben durfte und was ihn sehr geprägt habe, versuche er nun auch an seine Teams weiterzugeben: „Auf der Basis von kreativer Freiheit und persönlichem Vertrauen entstehen einfach bessere Ideen.“

Jemand, der ihn aus früheren Radiotagen gut kennt, sagt sehr viel Wertschätzendes über ihn. Dass er zum Beispiel keiner dieser schaumschlagenden Zampanos war, die es auf den oberen Chefetagen ja durchaus gibt, sondern immer ansprechbar und zugewandt, an der Sache und den Fakten orientiert. Dass er einen guten Blick für Synergien und das große Ganze hat. Dass er was vom Programmmachen versteht, also welcher Host zu welcher Sendung passt, wie Storytelling geht und was die Zielgruppe interessiert. Nur wenn es um Zukunftsthemen geht, da habe sich Schmitter nicht unbedingt als Visionär hervorgetan.

Es blieb halt im Daily Business nicht viel Zeit, um von Kongress zu Kongress zu eilen und das Neuste vom Neuen aufzusaugen. 2004 rief die Hauptstadt. Schmitter führte fortan das zu RTL gehörende Spreeradio und übernahm 2007 das gesamte RTL Audio Center. In der Hochphase der Pandemie eröffnete er am Kudamm das modernste Audio-Produktionszentrum Europas, das seither Heimat ist nicht nur für die vier Berliner RTL-Radioprogramme. Auch die RTL Audio Vermarktung findet dort statt plus Produktion diverser Podcasts.

Zum Zeitpunkt des Go live im Januar 2021 war Schmitter parallel schon Geschäftsführer der später in RTL NEWS umbenannten infoNetwork. Dem Berufspendler verpassten die Kölner den Titel „Chief Journalistic Content Officer“; er findet ihn selbst „echt schräg“. Die „taz“ in Berlin deutschte ihn ein in „oberster Journalismusoffizier“ und ätzte stellvertretend für viele andere staunenden Beobachter, der Mann mit der langjährigen Privatradioerfahrung habe „ganz gewiss viel auf dem Kasten“, aber warum es sich aufdrängt, dass er bei RTL nun dieses hohe Amt im Journalismus bekleidet, erschließe sich nicht unbedingt.

Stephan Schmitter © RTL / Paul Karrenstein
Aber der damalige RTL-Boss Reichart hat sich halt etwas dabei gedacht, als er an einem Septemberabend 2020 gemeinsam mit seinem Inhaltechef Stephan Schäfer (beide sind übrigens wie Schmitter Jahrgang 1974!) den Head of Audio in Berlin anrief. Bei Schmitters lief im Fernsehen zufälligerweise gerade „RTL Aktuell“ und die Anrufer meinten, sie hätten Probleme in der infoNetwork, also jener RTL-Tochter, die die Nachrichten und Magazine produziert. Kannst du helfen, fragten sie, wir wissen vom Radio, dass du verschiedene Shareholder, komplexe Strukturen und unterschiedliche Stimmungen managen kannst. Und du bist Journalist. Das brauchen wir jetzt hier in Köln.

Also saß Stephan Schmitter an dem einen Tag noch um 18.45 Uhr auf der Couch vor „RTL aktuell“ und dachte, hoppla, der Kloeppel ist einfach der Beste. Und zwei Tage später traf er den Anchor höchstpersönlich in Köln, hallo Peter, ich bin jetzt dein neuer Chef, wo zwickt der Schuh, wo kann ich helfen?

Und wie es zwickte! RTL stand kurz davor, sich den Verlag Gruner + Jahr einzuverleiben inkl. den journalistischen Top-Titeln „Stern“ und „GEO“. Schmitter schuf dafür eine Struktur, über die sich sein jetziger „Stern“-Chefredakteur Gregor Peter Schmitz erst neulich wieder öffentlich beklagte: Diese RTL-Matrix sei „nur so mäßig“ angekommen. Menschen mussten miteinander sprechen, die vorher gar keinen Kontakt hatten, ihn vielleicht auch nicht wollten vor lauter Dünkel, auf beiden Seiten wohlgemerkt. Dass das hochkomplex war und manches vielleicht zu sehr auf dem Papier gewollt, gibt Schmitter unumwunden zu. Es sei auch eine Fehleinschätzung gewesen, dass alle TV- und Printmarken auf Anhieb denselben positiven, inhaltlichen Zugang zueinander finden würden. Und so ist RTL dabei, die Struktur an die jüngsten Portfolioentscheidungen anzupassen.

Trotzdem sieht Schmitter in der Basismatrix nach wie vor einen wichtigen Impulsgeber, von dem sein Medienhaus nachhaltig profitiere. „Stern TV am Sonntag“ oder „Gala“ bei RTL gäbe es ohne sie nicht. Wobei letztere Sendung noch nicht da ist, wo sie sich der Boss quotenmäßig hin wünscht. Stabile 8,5 Prozent Marktanteil bei den 14- bis 59-Jährigen wären schön. Im ersten Sendejahr (bis 11. Juni) waren es im Schnitt nur 7,7 Prozent. Wie Schmitter bzw. das „Gala“-Team das Problem beheben wollen, dass die Sendung die meiste Zeit des Jahres gegen Fußball bei Sky und der ARD sendet, bleibt spannend.

Dass er auf dem von seinen Vorgängern eingeschlagenen Weg zu mehr „Public Value“ einen Rückzieher macht, schließt er, der bei RTL die „Tagesthemen“-Konkurrenzsendung „RTL direkt“ erfolgreich angeschoben hat, jedenfalls sehr klar und überzeugend aus. „Journalismus ist und bleibt das Rückgrat von RTL. Wir weichen nicht von unserem Kurs ab“, sagt Stephan Schmitter. Im Gegenteil, man investiere sowohl in den „Stern“ als auch in die RTL-News. Insbesondere in der Marke „Stern“ steckt noch sehr viel mehr drin, glaubt er. „Der Stern kann alles, von Rotlicht bis Blaulicht. Jetzt brauchen wir für diese Bandbreite die passenden TV-Gefäße.“

Seinem Chefredakteur Gregor Peter Schmitz rutschte Anfang Juni nach einem gemeinsamen Meeting im Überschwang heraus, dass die neue Einheit „Stern Investigativ“ in Planung sei. So richtig spruchreif war das da noch nicht. RTLs oberster Journalistenführer ist nach eigener Aussage „kein Freund des Hätte, Könnte, Würde oder Vielleicht“. Er versuche immer, sehr konkret zu sein. Aber gut, auch „Stern Reporter“ könnte so ein Gefäß sein, ist Schmitter zu entlocken. Die „hervorragenden Journalistinnen und Journalisten“ vom Magazin sollten nicht nur in ihrem Kämmerchen schreiben, sondern auch dringend vor die Kamera treten.

Wer da noch alles ins Scheinwerferlicht von RTL treten wird, insbesondere in der Fiktion und der Unterhaltung, hat Schmitters Programmgeschäftsführerin RTL und RTL+, Inga Leschek, kürzlich hier auf DWDL.de verraten. Wobei er sie in einem Punkt korrigiert: Dass von Leschek laut angedachte Comeback von Dieter Bohlen beim "Supertalent" möge man doch bitte „einfach mal in der großen sommerlichen Gerüchteküche parken“.

Dass es andererseits mit „Let’s Dance“ weitergeht, kursierte Backstage schon länger. Beim Finale im Mai soll sich Schmitter noch auf den MMC-Fluren das Go für die nächste Staffel abringen haben lassen. Wäre ja noch schöner gewesen, wenn nicht! Zuhause hat er nämlich zwei Tanzfrauen sitzen. Die Ehefrau ist professionelle Balletttänzerin, die Tochter tanzt im Jungen Ensemble des Friedrichstadtpalast. Freitags, wenn „Let’s Dance“ läuft, haben sie die Hoheit über die Fernbedienung und die Männer, also Ehemann und Sohn, staunen gerne mit.

Und was ist mit dem großen ganzen Rest? Was hat sich Stephan Schmitter fürs nächste Halbjahr vorgenommen?

Aufsteigen mit "Sport-Schmitti"

Ganz klar: weiterhin Stabilität, Vertrauen und Klarheit in den RTL-Laden bringen, auf dass es zum Erfolg führt, gerade jetzt, wo die Medien vor tiefgreifenden Veränderungen stehen und um uns herum alles ins Wanken gerät. Das setzt natürlich voraus, dass er dem Sender als Stabilisator erhalten bleibt. Personelle Unruhe, das weiß auch der Geschäftsführer Programm & Marken, ist für ein Unternehmen selten gut, weil dadurch sofort Unsicherheiten bei den Mitarbeitenden, den Partnern und Werbekunden entstehen. „Sport-Schmitti“ hat dafür einen anschaulichen Vergleich mit Personalwechseln im Fußball parat:

Der eine Trainer spielt voll auf Angriff, der nächste kommt und sagt, nee Jungs, wir spielen nur noch defensiv, und der übernächste will die halbe Mannschaft verkaufen? Am Ende sind die Spieler völlig verunsichert, rennen rum wie ein Hühnerhaufen und steigen ab.

Geht es nach Stephan Schmitter, dann steht seiner „Mannschaft“ der Aufstieg bevor. Das Ziel, das er vor Augen hat, ist klar, wenn auch gewagt: Am Silvesterabend darf es diesmal im Rückblick auf das Gesamtjahr „gerne etwas mehr Marktanteil“ sein bei den 14- bis 59-Jährigen als die 9,1 Prozent im vergangenen Jahr. Im besten Fall liege RTL dann vor dem ZDF und schaffe die Marktführerschaft in beiden Zielgruppen: 14-59 und 14-49. Und wenn dann auch noch der Werbemarkt im zweiten Halbjahr anspringt, der Start der NFL auf allen Kanälen gelingt und RTL+ seine Inhalte in viele Abos ummünzen konnte, dann würde Stephan Schmitter auf der RTL-Weihnachtsfeier mit seinem Team etwas lauter singen.

Aber am Ende ist es ja in diesem Job so: Man kann noch so gut planen und arbeiten, ein bisschen Glück gehört immer dazu. Das gilt im Übrigen auch für Jan Köppen. Ob er im Januar 2024 wieder an der Seite von Sonja Zietlow im australischen Dschungel stehen wird, ist noch nicht offiziell bestätigt, aber man kann wohl davon ausgehen. Und ob sein Oberboss dann noch immer Stephan Schmitter heißt? Mit einem in München geborenen Fußballgott gesprochen: Schaun mer mal, dann sehn mer scho.