Es geht wieder los, (auch) die „heute show“ im ZDF ist aus der Sommerpause zurück. Die überübernächste Ausgabe, also die am 29. September, sollte man sich unbedingt schon mal vormerken. Dann hat Valerie Niehaus wieder Dienst. Seit fünf Jahren gehört die Schauspielerin zum Ensemble von Oliver Welkes Nachrichtensatire. Nur fliegt sie dort, nun ja, ein bisschen unter dem Radar. Wenn sie sonntags im ZDF-„Herzkino“ der Liebe hinterherjagt, nehmen sie weit mehr Menschen wahr, als wenn sie sich in der „heute-show“ über Volker Wissing lustig macht.
Valerie Niehaus will das jetzt ändern. Als Künstlerin neue Wege gehen, sichtbarer werden, näher ans Publikum ran. Sie will: einen größeren Auftritt auf der Satirebühne. Oder wie sie sagt: „Ich habe begonnen, mein Ego an den Humor zu verkaufen.“
Ja, ist denn diese Frau von allen guten Geistern verlassen?
Comedy, Satire, in dieser Wahnsinnszeit, wo wirklich alles auf dem Prüfstand steht? Wo Veteranen des Humorfachs sich fragen, was sie Inkorrektes noch sagen können, ohne dass der Web-Mob schäumt? Wo der WDR Uralt-Witze von Otto und Harald Schmidt mit einer Triggerwarnung versieht und Sat.1 sich ein Comeback von „Was guckst du?!“ nicht traut? Wo TV-Satiriker Staatsbeamte zu Fall bringen und möglicherweise eine Ministerin gleich mit? Und überhaupt: Hat nicht erst im Juni Christine Prayon alias Birte Schneider mit markigen Worten ihren Ausstieg aus der „heute-show“ erklärt, weil sie die Vielfalt der Meinungen vermisse und nicht mehr „Stimmung gegen Andersdenkende“ machen wolle?
Schlecht geschlafen hat sie in der Nacht zuvor vor lauter „uh, morgen Gespräch mit DWDL.de“. Wedelt mit Zetteln, die sie schrieb, was sie wie formulieren will. Albern, nicht? Sie braucht sie nicht, denn sie hat das ohnehin im Kopf fest abgespeichert: ihre Idee von einer eigenen Show, die Satire nicht als Waffe, sondern als Mittel zum Perspektivwechsel begreift.
Und sagen wir so, bevor wir in die Details einsteigen: Ein bisschen frischer Wind respektive Berliner Luft in der Spaßlandschaft könnte nicht schaden, nimmt man Heinz Strunks böse, böse Worte ernst. Dem Nordlicht unter den Humorarbeitern kommt es so vor, sagte er gerade in einem Interview, „als sei diese deutsche Comedy ein ganzjährig verlängerter Arm des rheinischen Karnevals; in drei Kölner Fabriketagen denken sich Autoren die immer gleichen Witze für ihre Comedians aus“.
Nun ist Valerie Niehaus, 1974 in Emsdetten geboren, in Fulda und München aufgewachsen, in Berlin und der Schweiz wohnhaft, von Beruf Schauspielerin und nicht Comedy-Autorin. So vermessen ist sie nicht, als dass sie sich den Platz am AutorInnentisch selbst zutrauen würde. Es falle ihr schwer, das, was ihr durch Kopf und Herz geht, zu Papier zu bringen. „Meine Aufgabe ist es, als Schauspielerin die Haltung dahinter zu bedienen“, sagt sie, „dafür muss ich sehr viel über Menschen nachdenken und sie beobachten.“ Sie tue das „immer mit Liebe“.
Und kaum hat sie „Liebe“ ausgesprochen, schiebt sie erschrocken hinterher, „ich hoffe, das ist für Sie kein romantisch abgegriffener Begriff.“ Was sie damit sagen wolle: Sie schaue nicht von oben auf jemanden herab, weil sie es ja selbst nicht besser weiß. „Ich habe nicht die Lösung für die Probleme unserer Zeit. Aber ich kann dazu einladen, dass man in dieser kleinen Zwerchfellsituation vielleicht noch mal anders denkt und sich selbst nicht so wichtig nimmt.“ Dass man sogar über sich selbst lacht, so wie sie es tut. Und dass man die Vielfältigkeit an Ansichten und Meinungen aushält. Valerie Niehaus glaubt jedenfalls, und in diesem Punkt stimmt sie ihrer Ex-„heute-show“-Kollegin Christine Prayon zu, dass wir als Gesellschaft davon „viel mehr aushalten müssen, als wir gerne möchten – solange wir dies auf einer demokratischen Grundbasis tun“.
Man merkt, Valerie Niehaus hat viel nachgedacht über das heutige Humorgeschäft und ihre Rolle darin, in die sie sich bereits seit 2015 vortastet.
In „Sketch History“ (ZDF), diesem völlig überdrehten Parforceritt durch die Weltgeschichte, machte sie mit staunenden Augen die ersten Comedy-Erfahrungen. Während die anderen im Ensemble, also der auch aus der „heute-show“ bekannte Matthias Matschke oder der klauskinskieske Max Giermann („Du Sau, du, ich scheiß‘ auf deine Meinung“) schon witzig waren, sobald sie nur den Mund aufmachten, musste sie sich „erstmal etwas da reinleiden“, bis sie selbst witzig war. Dass man sie überhaupt ausgewählt hatte, kann sie heute noch nicht fassen. Bei ihrer Vergangenheit!
Von der Soap nach New York
In den 1990ern fieberten Abend für Abend Millionen Zuschauer am Bildschirm mit, wie es mit der Amour fou zwischen Julia von Anstetten und ihrem Zwillingsbruder Jan Brandner weitergehen würde. 523 Folgen ging das so in der ARD-Daily „Verbotene Liebe“, bis Valerie Niehaus, die Julia, den Serientod im Meer vor Lanzarote fand. Die Fan-Gemeinde trauerte. Und ihr blonder Star mit den stahlblauen Augen hatte fortan Müh‘ und Not, das Image der Soap-Darstellerin loszuwerden.
Caster sagten ihr, Soapies besetzen wir nicht. Von Produzenten bekam sie zu hören, du bist zu hübsch für gute Rollen . . . Sie kann sich noch gut an die mitleidigen, ja vorwurfsvollen Blicke bei der Verleihung des Telestar erinnern: Wie könnt Ihr so einen Müll machen?! Dass Valerie Niehaus Jahrzehnte später Jury-Mitglied des Telestar-Nachfolgers Deutscher Fernsehpreis geworden ist, tja, das ist ein später schöner Triumpf.
Den Minderwertigkeitskomplex aus der Soap-Zeit nahm sie 1997 mit nach New York ans Lee Strasberg Institute. Dort, wo einst Marilyn Monroe und Marlon Brando das Method Acting übten, machte sie die überraschende Erfahrung, dass man ihr nicht mit dem Vorurteil der „Kommerzschlampe“ begegnete. Im Gegenteil. Zum ersten Mal gab man ihr das Gefühl, dass das mit der „Verbotenen Liebe“ eine richtig tolle Sache war und sie das gut gelöst hatte, ohne dass ihr jemand gesagt hätte, wie das geht.
Zurück in Deutschland richtete sie sich, abgesehen von ein paar Krimi- und Historienfilmausreißern, in der Sparte Herz und Schmerz wohlig ein. Und sie ist, bitte nicht falsch verstehen, auch noch immer „voller Überzeugung“ dabei, weil sie glaubt, dass die Leute am Sonntagabend „nicht einfach die nächste Klatsche brauchen, sondern ein intensives Gefühl und eine Wiedererkennungsmöglichkeit, ein ,Ach, wie schön‘ berührt werden, was sie motiviert, am nächsten Morgen in die neue Arbeitswoche zu starten“. Das findet sie „absolut wertvoll“.
Beim (linearen) Publikum waren diese Widersprüche, das Absurde, der Irrsinn unserer Gesellschaft, wie sie in den „Meiers“ bloßgestellt werden, nicht ganz so erfolgreich wie gewünscht. Dabei kam das Format Valerie Niehaus‘ Definition von Satire schon recht nahe.
„Satire ist wie ein Trojanisches Pferd“, sagt sie, „sie bringt die Leute zum Lachen und plötzlich, huch, erkennen sie sich womöglich darin selbst.“ Das könne schmerzhaft sein, ja, weil man mit den eigenen Unzulänglichkeiten konfrontiert wird. „Wer hat schon Lust, sich damit auseinanderzusetzen, wie doof man selber ist oder wie wenig man nachgedacht hat? Wenn wir aber nicht lernen, uns und unsere eigene Begrenztheit auszuhalten, kommen wir nicht vorwärts. Dann empfinden wir jeden Witz als persönliche Verletzung.“
Natürlich ziehe auch sie als Satirikerin eine Grenze: Sie mache keine Witze über diejenigen, die sich nicht wehren können, sondern über das System, das dahintersteckt Etwa so: „Wir finden es nicht zumutbar, dass in Kinderbüchern das N-Wort gestrichen wird, lassen es aber zu, dass auf Flüchtlingsrouten Kinder über Wochen in gefängnisähnlichen Unterkünften festgehalten werden? Über diese perversen Doppeldeutigkeiten muss der Witz gemacht werden, nicht über die Kinder.“
Charme und Eleganz statt plumpes Beleidigen
Satire, fährt Niehaus fort (und es klingt wie eine Replik auf ihren ZDF-Satirekollegen Jan Böhmermann, nicht wahr?), müsse „Verantwortung für ihre Aussage übernehmen“, diese „prüfen und in verschiedene Richtungen durchdenken“. Sie persönlich glaube da „mehr an Charme und Eleganz als an plumpes Beleidigen als Ausdrucksmittel“. Von Geschmacklosigkeit wolle sie sich fernhalten. Was gefällt, ist allerdings, das weiß sie selbst, oft eine subjektive Ansicht. So ist nicht alles, was man ihr in der „heute-show“ zum Spielen vorlegt, ganz nach ihrem eigenen Geschmack.
Als Beispiel nennt sie diesen einen Sketch über den aktuellen Bundesverkehrsminister (ab Min. 17’50). Kernaussage ist, dass sich sein Ministerium bei der Verkehrswende, vorsichtig formuliert, nicht gerade überarbeitet. Als fiktive Mitarbeiterin mit dem echten Namen Valerie Niehaus trinkt sie sich mit der Pulle Rotwein in der Hand in lallende Rage. Dienst nach Vorschrift, quiet quitting, pfff, was sollen die Anwürfe? Man solle doch froh sein, dass die FDP endlich weg sei vom Leistungsprinzip. Sie halte sich an das Ministeriumsmotto: Early verpissing mit Volker Wissing.
Sprachlich findet Valerie Niehaus den Sketch nach wie vor „sehr gelungen“, nur ob der Minister persönlich als faul einzuschätzen sei, damit hadert sie im Nachhinein. Sie schieße grundsätzlich nicht gerne Leute direkt an. Anders als Christine Prayon habe sie allerdings „selten bis gar nicht den Eindruck, dass wir in der ,heute-show‘ zu weit gehen“.
Nichtsdestotrotz, es fällt nicht schwer sich vorzustellen, wie aufregend und zugleich unangenehm es für die Comedienne gewesen sein muss, als sie ein paar Wochen später bei Sandra Maischberger in der ARD saß – auch so ein Novum in ihrer Karriere! – um mit den Polit-Profis Nikolaus Blome und Tina Hassel über die FDP-Pläne zur Verschiebung der sektorübergreifenden Klimaziele zu diskutieren, und dann auch noch der „Autominister“ in die Sendung kam. Volker Wissing habe sich beim persönlichen Kennenlernen nichts anmerken lassen, sagt Niehaus fast erleichtert.
Vielleicht hat er ihren „Schuss“ in der „heute-show“ auch gar nicht wahrgenommen? Möglich aber auch, dass Wissing respektive wir alle demnächst öfter die Gelegenheit bekommen zu hören, wie Valerie Niehaus über Politik und Gesellschaft denkt und darüber Witze macht.
Am vorigen Donnerstag war sie in Köln, um sich mit den Machern der „heute-show“ zu einem Workshop zusammenzusetzen. Die Prime Productions und sie wollen gemeinsam etwas Neues entwickeln. Eine Show, die die satirischen Fähigkeiten der Schauspielerin in den Vordergrund stellt und sie „irgendwo zwischen meinem Schauspiel und einem gesellschaftspolitischen Ansatz abholt“.
Zugegeben, das ist noch alles sehr vage, Samenkornstadium. Aber allein, dass man ihre Ambitionen im lustigen Fach ernstnimmt und sie zum ersten Mal von Anfang an in die Projektentwicklung einbezogen wird, ist für Valerie Niehaus ein Erfolgserlebnis. „Bisher ist der Tisch immer gedeckt gewesen, wenn ich dazukam.“
Was aus dem „gewinnbringenden Gespräch“ tatsächlich wird, wird sich zeigen. Im zweitbesten Fall macht Valerie Niehaus‘ Vorstoß anderen Kreativen Mut: Es ist nie zu spät, sich zu verändern.