Es kommt wirklich nicht oft vor, dass bei Preisverleihungen für Qualitätsjournalismus auch ein Privatsender bedacht wird. Am vergangenen Mittwoch war so ein Ausnahmefall. Im Palais der Kulturbrauerei Berlin verlieh die Deutsche Bischofskonferenz ihre Katholischen Medienpreise, und zum ersten Mal in zwanzig Jahren Preisgeschichte durfte eine RTL-Reporterin eine Auszeichnung entgegennehmen, überreicht von der Laudatorin Ferda Ataman mit den Worten: „Liebe Sophia Maier, ich danke Ihnen für Ihren Mut!“

Mutig ist diese Sophia Maier in der Tat. Oder wie soll man es anders bezeichnen, wenn sie sich, wie in der prämierten Reportage „Wut auf der Straße – Ist unsere Demokratie in Gefahr?“, mit Perücke und versteckter Kamera in den inneren Kreis der AfD vorwagt und auf der Montagsdemo in Leipzig auch dann noch unerschrocken auf „Hier herrscht Pressefreiheit, könnt ihr euch mal beruhigen?“ pocht, als sie von Demonstranten eingekesselt und beschimpft wird?

Und zeugt es nicht von Furchtlosigkeit, wenn die Reporterin, die seit 2016 für das RTL-Magazin „Stern TV“ unterwegs ist, am Tag nach der russischen Invasion in die Ukraine aufbricht, um über die im Land gebliebenen Frauen und Kinder zu berichten? Wenn sie in der Türkei den per Haftbefehl gesuchten Corona-Schwurbler Attila Hildmann beim Gassigehen mit der Frage überfällt: Herr Hildmann, wieso verbreiten Sie weiter Hass im Internet? Oder wenn sie sich in Afghanistan unter die Taliban mischt und in Chemnitz unter rechte Pöbler?

Sophia Maier © Tanja Kernweiss
Langfassungen ihrer couragierten Filme sind seit Februar vorigen Jahres in der Reportagereihe „#WHY – Sophia Maier“ zu sehen. Fünf Folgen sind seither erschienen; darunter auch eine über die Folgen von Prostitution. Möglicherweise haben noch nicht so viele Menschen von Sophia Maiers RTL-Upgrade Notiz genommen. Denn für das Bekanntwerden ihres Formats, das ebenso wie das Mittwochs-„Stern TV“ von der i&u TV produziert wird, unternimmt der Sender erstaunlich wenig PR-Anstrengung, jedenfalls verglichen mit der Plakat- und Trailerdichte, die er der hauseigenen Produktion „Team Wallraff“ zuteilwerden lässt.

Und so nutzt halt Sophia Maier wie alle anderen RTL-Reporter diese bewährte und kostengünstige Werbebühne: Sie spricht bei „Stern TV“ mit „Stern TV“-Moderator Steffen Hallaschka über ihre Reportagen aus dem „Stern TV“-Kosmos, die tags drauf auf RTL ausgestrahlt werden. Am 22. November wird das wieder der Fall sein.

Dann reist Sophia Maier aus München an, wo sie lebt und nach Köln zuarbeitet, um erste Einblicke in die sechste „#WHY“-Ausgabe zu geben. Sie geht darin der Frage nach: „Woher kommt der Frauenhass?“ Prominente betroffene Frauen hat sie dafür vor die Kamera geholt, von Renate Künast (Grüne) über Julia Klöckner (CDU) und Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) bis Collien Ulmen-Fernandes (TV). Sie erzählen davon, was sie an digitalem Schmutz tagtäglich ertragen müssen. Und wer sich da an die mit dem Grimmepreis ausgezeichneten 15 Minuten „Männerwelten“ von Joko und Klaas erinnert fühlt, liegt nicht falsch.

Nur geht Sophia Maier an das Thema in Umfang und Stil noch einmal anders heran, so wie man es von ihr kennt: als Reporterin im On, die sagt, was sie denkt und fühlt. Diesmal spricht sie auch als selbst Betroffene.

Sie steckt mitten in der Produktion dieser Folge über Frauenhass und bearbeitet parallel schon die nächste (zum Thema unlautere Krebstherapien), als man Sophia Maier daheim in München erreicht. Was auffällt: So tough, so forsch, so zuweilen auch unangenehm schneidig sie als Reporterin vor der Kamera herüberkommt, so verunsichert wirkt sie in unserem Gespräch. Immer wieder streicht sie die glatt frisierten Haare noch glatter, redet, als rede sie um ihr Leben, kämpft sogar mit den eigenen Emotionen. Sie findet sich in einer ungewohnten Rolle wieder. Sonst ist ja sie es, die die Fragen stellt.

Ob sie den Dialog mit Rechten beim Aufmarsch in Gera am Tag der Deutschen Einheit sucht oder syrische Flüchtlingskinder im Libanon besucht: Stets treibt sie an, dass sie „die Welt ein bisschen besser verstehen will und sei es nur ein Prozent davon“, sagt die 1987 in München geborene Reporterin. Kaum ist ihr dieser Satz über die Lippen gegangen, erschrickt sie über das eigene Pathos, „aber es ist die ehrlichste Antwort“.

Mehr als einmal wird Sophia Maier betonen, in was für einer „unfassbar privilegierten Position“ sie sei, nicht nur weil sie die Freiheit habe, als Reporterin spontan zu reagieren, wenn irgendwo was passiert, um darüber zu berichten, was sie mit der i&u TV gut umsetzen könne: „Das ist nicht irgendeine Firma. Das ist mein Zuhause, meine Familie.“

Eine Plattform geben

Als Privileg empfindet sie es auch, dass ihr Menschen Vertrauen schenken und sie ihnen eine Plattform geben kann, auf der sie ihre Geschichte erzählen dürfen: „Punkt. Mehr tue ich nicht. Das ist für mich Journalismus“, sagt sie und grenzt sich damit von dem immer wieder aufkommenden Vorwurf ab, sie betreibe Aktivismus etwa mit ihrer Berichterstattung über Geflüchtete. Sie sei keine Aktivistin, stellt sie klar, „ich bin Journalistin und gleichzeitig Mensch“. Dass sie einem Menschen über den Fluss hilft, weil er sonst ertrinkt, oder einer Familie 50 Euro für lebensnotwendige Medikamente zusteckt, habe überhaupt nichts mit Aktivismus zu tun. „Das ist einfach nur Menschsein.“

Aus dieser Haltung heraus brach Sophia Maier vor sieben Jahren unvermittelt ihr Volontariat bei Burda ab, wo sie für die deutsche „Huffington Post“ und das Magazin „Focus“ arbeitete. Es fühlte sich einfach „nicht richtig“ an für sie. Für ihr Umfeld war es dagegen eine total bekloppte Entscheidung.

Alle, einschließlich der Eltern, sagten zu ihr, du spinnst doch, als die Ausbildungsabbrecherin ihnen auch noch eröffnete: So, jetzt habe ich auch meine Wohnung aufgelöst, meine Sachen eingelagert, Ciao und auf Wiedersehen, ich bin dann mal weg, ich gehe auf eigene Faust ins Flüchtlingslager nach Lesbos, um (wir erinnern uns) „die Welt ein bisschen besser zu verstehen und sei es nur…“

Geld verdiente sie in Griechenland zunächst mit Medienarbeit für verschiedene Hilfsorganisationen – bis sie an der Grenze zu Mazedonien im März 2016 auf Norbert Blüm traf. Der ehemalige, sozialliberale CDU-Politiker im Kabinett Kohl hatte sich entschieden, aus Solidarität mit den zu Tausenden in Idomeni gestrandeten Flüchtlingen eine Nacht im Zelt zu verbringen, statt seine sichere Rente daheim in Bonn zu genießen. Aufmerksamkeitswirksam wurde der Ex-Arbeitsminister von einem Team von „Stern TV“ begleitet. Die Begegnung wurde zu einem Schlüsselmoment in Sophia Maiers Leben und Norbert Blüm zu einer Art Mentor.

Norbert Blüm als Mentor

„Norbert hat mich auf meinem Weg immer bestärkt, mir zugesprochen, meinen Idealen zu folgen“, erinnert sich die Journalistin. Wenige Wochen vor seinem Tod im April 2020 habe er ihr auf der Mailbox eine Nachricht hinterlassen, die sie erst viel später abhörte, weil sie zu dem Zeitpunkt im Libanon unterwegs war. Die Voicemail endete mit: „Machen Sie es gut und bleiben Sie Ihren Ideen treu!“ Diese letzte Botschaft habe sie unfassbar berührt.

Über Norbert Blüm öffnete sich für Sophia Maier nicht zuletzt auch die Tür zu „Stern TV“.

War sie anfangs nur Protagonistin in den Reportagen von den europäischen Flüchtlingsrouten und Blüms Begleitung im Talk-Sessel bei Steffen Hallaschka, wurde sie plötzlich selbst Reporterin und sollte ihr erstes Reporterstück für „Stern TV“ machen – obwohl sie bis dahin keinerlei Kameraerfahrung hatte geschweige denn Ambitionen als Fernsehreporterin. Für den „Spiegel“ schreiben war eigentlich ihr Traum. „Das hat leider nicht geklappt“, lacht sie.

Sophia Maier © Tanja Kernweiss
Sie schleuste sich also im Mai 2016 undercover in das abgeriegelte Lager in Idomeni ein, als „Stern TV“ aus Köln anrief: Mach jetzt mal einen Aufsager. Sie legte auf und fragte den Kameramann: Was ist denn ein Aufsager? Sie wusste nicht, was sie tun sollte. Aber sie lernte fix. Learning by doing. Draufhalten, filmen, wild und schnell, zur Not nur mit dem eigenen iPhone ausgestattet – ganze Reportagen hat Sophia Maier auf diese Weise für „Stern TV“ gedreht. Anreisen im großen Team, mit mehreren Kameraleuten, Producer, Sicherheitsberater, das sei bis heute nicht ihre Sache, sagt sie.

Rechtsextremismus, die AfD, Geflüchtete, der Nahe Osten, europäische Migrationspolitik, Corona-Proteste – Maiers Themen seither reizen, treiben Emotionen hoch und unsere Gesellschaft auseinander. Doch sie selbst wird nicht müde, sie anzupacken, obwohl sie sich als Reporterin für viele Leute da draußen zur Projektionsfläche macht für Enttäuschung, Wut und Hass. Allein die Kommentare auf ihren Social-Media-Accounts, ach, wie übel, dieser Kübel.

Nur warum tut sie sich das an? Immer und immer wieder?

Zwei Gründe nennt Sophia Maier: Zum einen empfindet sie es als journalistische Pflicht, abzubilden, welche Akteure unsere Demokratie ganz massiv zersetzen wollen. Zum anderen habe sie die Erfahrung gemacht: „Es lohnt sich, immer wieder das Gespräch zu suchen, Menschen nicht per se abzuwerten, sondern ihnen auf Augenhöhe zu begegnen.“ Sie versuche immer, herauszufinden, was in ihren Köpfen vorgeht. Außerdem: „Ich bin nicht die Journalistin, die schnell wohin rennt, wenn es bum bäm bum macht, die Kamera draufhält und wieder geht. Ich komme wieder. Immer wieder.“

Trotzdem, all dieser Hass, so was macht ja was mit einem. Ende 2019 legte Sophia Maier die Karten neu. Wie schon ein paar Jahre zuvor bei Burda kündigte sie ihren Job bei der i&u TV und zog in ihr Herzensland Libanon, um Arabisch zu lernen. Es wurde ein kürzerer Aufenthalt als gedacht. Die Weltkatastrophe Corona ging los. Und 2022 war sie dann auch wieder zurück in der Festanstellung bei der i&u TV. Denn ihre beiden Chefs, Andreas Zaik und Vincenz Deckert, meinten zu ihr: Sophia, du musst jetzt mal hier vorankommen, du brauchst ein eigenes Format. Und so haben sie „#WHY“ für sie bei RTL eingetütet und bauen Sophia Maier als Marke auf.

 

Was andere wegschmeißen, ist bei #WHY Stil-Element. Sophia Maier

 

„#WHY“ ist laut Sophia Maier „eine logische Fortführung“ ihrer „Stern TV“-Dokus, nur in einem 60-minütigen Format. Sie könne sich weiterentwickeln, sowohl was den Stil angeht als auch ihre Rolle als Reporterin im On. Manchmal ziehe sie immer noch nur mit dem iPhone los, filme andere und sich selbst, super wilde Schwenks, Material, das rough ist. „Was andere wegschmeißen, ist bei #WHY Stil-Element.“

Weil sie stets im Bild ist, wie es bei dieser zuweilen ins Lächerliche kippenden Gattung Presenter-Reportage üblich ist, weiß Sophia Maier um die Tücken: „Es ist ehrlicherweise eine riesige Gratwanderung, sich nicht selbst zum Thema zu machen und mit der egozentrischen ,Hey, Leute, ich erzähle euch mal, wie es mir hier im Krieg geht‘-Attitüde vor die Kamera zu gehen. So was gibt es ja im Fernsehen auch.“ (Und man möchte ergänzen: sogar auf Sophia Maiers Haussender RTL!). Ihr Ansatz ist: „Als Presenterin sollte man nur der Rote Faden sein, der durch eine Geschichte führt.“

Aber wie gesagt, es ist ein schmaler Grat. Sie müsse sich selbst immer in Erinnerung rufen: Diese Menschen und ihre Geschichten stehen im Mittelpunkt. Du, Sophia, bist nur diejenige, die das alles transportiert. Mehr bist du nicht. Nimm dich an den richtigen Stellen zurück. „Ich würde sagen“, schiebt sie selbstbewusst hinterher, „es gelingt mir.“ Sie habe ein sehr gutes Gespür dafür entwickelt, den Menschen den Raum zu geben, der ihnen zusteht und den sie verdient haben.“

Als am 7. Oktober die nächste Weltkatastrophe über uns kam, unterbrach Sophia Maier übrigens die Feinarbeit an ihren aktuellen „#WHY“-Produktionen, um in den Libanon zu reisen. Da zu dem Zeitpunkt und auch jetzt völlig unklar ist, inwieweit der Konflikt weiter eskaliert, wollte sie die vielleicht letzte Chance nutzen, ihre Freunde vor Ort zu sehen und gemeinsame Zeit zu verbringen. Auf ihrer neuntägigen Reise war sie auch in den Palästinensercamps, um mit den Menschen zu sprechen, ihre Gedanken und Gefühle zu dem Konflikt zu hören.

Nun hofft sie sehr, dass sie im Anschluss an die Ausstrahlung von „#WHY – Frauenhass“ wieder in die Region reisen kann, um von dort zu berichten. Nicht vor Ort zu sein, nicht zu berichten, sagt Sophia Maier, das falle ihr gerade schwer.

Auf die Frage, ob ihr Umfeld, also auch ihr Arbeitgeber, damit rechnen müsse, dass sie unberechenbar bleibt, also wieder die Zelte abbrechen könnte wie schon zweimal zuvor, antwortet Sophia Maier lachend, aber bestimmt mit einem „Definitiv!“. Das sei, glaubt sie, jedem bewusst, der sie kenne.

Und dann erzählt sie zum Schluss, dass Andreas Zaik früher einmal zu ihr sagte: Du bist ein freier Vogel. „Komische Metapher“, findet sie, „aber sie stimmt in meinem Fall. Ich war schon immer so drauf.“ Medienpreise, das eigene RTL-Format, das sei alles geil und davon könne sie sich auch nicht frei machen. „Aber ganz ehrlich, die glücklichste Version meiner selbst bin ich, wenn ich irgendwo im Zelt mit Menschen sitze und die Welt spüre.“

„Stern TV Spezial: #WHY – Woher kommt der Frauenhass?“, am 23. November um 22:35 Uhr bei RTL und anschließend bei RTL+.