Welcher Deutsche kann von sich behaupten, Boss in Hollywood gewesen zu sein? Daniel Hetzer kann es. Bei 20th Century Fox Television Studios war der 1974 geborene Ostwestfale „Vice President of Programming and Co-Productions“. Vom CEO der Fox-Group, Peter Chernin, unter dessen Ägide die All-time-Kassenhits „Titanic“ und „Avatar“ entstanden, trennten ihn nur wenige Stufen. Eigentlich sprach nichts dagegen, dass der german guy nach Chernins Weggang im US-Konzern weiter hochklettert. Doch der Unternehmerdrang war stärker, das aufgebaute Netzwerk „sensationell". Und so arbeitet Hetzer seit 2011 als unabhängiger Filmproduzent mit Base in Köln statt L.A.

Seine, wie er sagt, „bisher größte und anspruchsvollste Produktion“ steht jetzt am Start: „Constellation“, ein „actiongeladenes Weltraumabenteuer“ in acht Teilen, kann ab 21. Februar bei Apple TV+ gestreamt werden (hier entlang zum Trailer).

Und really, it’s big.

„Constellation“ ist nicht nur bigger als das Niki-Lauda-Biopic „Rush – Alles für den Sieg“, das Daniel Hetzer 2012 als erstes Projekt in selbstständiger Rolle mit produzierte und das seinerzeit 38 Millionen US-Dollar verschlang (was heute eher 70 Millionen US-Dollar entspricht). Die Apple-Serie ist praktisch das erste German Original der Tech-Company. Auch wenn Briten und Franzosen mit beteiligt sind: Das meiste Geld und die meisten Drehtage gab’s in Deutschland.

Genau dort, in Köln, erreicht man Daniel Hetzer am Montagmorgen dieser Woche. Sein weißer Rasputin-Bart ist top gepflegt. Dass er in L.A. gelebt hat und überhaupt viel international verkehrt, hört man. Controlling Overseas, na, wie übersetzt man das noch mal, fragt er ratlos. Wenn man berufsbedingt fast ausschließlich Englisch spricht, fallen einem halt nicht immer die deutschen Vokabeln ein. Never mind. And Action!

Schaut man sich die track records an, könnte man davon ausgehen, dass Daniel Hetzer ein Faible für Action hat: „Alarm für Cobra 11“ (Autobahn-Action), „Defying Gravity“ (eine Art „Grey’s Anatomy“ mit Weltraum-Action), „Rush“ (Bolliden-Action), „Collide“ (Autobahn-Action und der erste in Köln gedrehte Hollywood-Film), jetzt „Constellation“ . . . Wobei, korrigiert der Produzent zurecht: Einige „anspruchsvolle historische Stücke“ sind auch dabei, die Robert-Harris-Romanverfilmung „Munich – The Edge of War“ zum Beispiel.

 

Wer Action produzieren kann, kann alles produzieren."

 

Was ihn an diesem Genre reizt: „Action lässt sich international hervorragend verkaufen, weil es den kleinsten kulturellen Discount hat. Ein fliegendes Auto ist halt ein fliegendes Auto in Deutschland genauso wie in China, Japan und Amerika. Das versteht jeder.“ Eine Liebesszene sei schwieriger und Humor fast nur regional möglich. Hinzukommt: Durch die Action-Formate komme er nicht nur in der ganzen Welt herum, lerne andere Kulturen kennen, baue neue Netzwerke auf. „Es steckt auch eine herausfordernde Logistik dahinter. Wer Action produzieren kann, kann alles produzieren.“

Wie er überhaupt ans Produzieren kam? „Aus Versehen“, sagt Daniel Hetzer. Und ja, actionreich war’s auch.

Daniel Hetzer © Tobias Schult
Nach dem Abitur in Salem studierte er VWL und BWL in Köln, als Regie- und Filmstudenten von der Kunsthochschule für Medien auf ihn zukamen: „Sag mal, Hetzer, du kennst dich mit Wirtschaft aus, hast du nicht Lust, mit uns eine Firma zu gründen und Filme zu machen?“ Mit sechs Teilhabern gründeten sie die Discofilm. Das war „sehr romantisch“, aber nur insofern erfolgreich, als dass es ihm die Tür in eine neue Welt öffnete: „Ich wollte schon immer Träume verkaufen.“

Leider brach das Business in sich zusammen. Der Geschäftszweig Musikvideos der Discofilm war „relativ schnell Essig“ (R.I.P., Viva) und deutsche Arthouse-Filme kein Geschäft, das sechs Partner ernähren konnte. Also zog Daniel Hetzer weiter, „um Sachen zu machen, die wirtschaftlich funktionieren und trotzdem einen kreativen Anspruch haben.“ Vorher bog er aber noch ab nach St. Gallen, um den MBA zu machen und anschließend in London für die Deutsche Morgan Grenfell als Investmentbanker auf dem Trading Floor zu arbeiten. „Wenn ich dort geblieben wäre, sähe es auf meinem Konto ganz anders aus“, sagt er mit einem Lachen.

Die nächsten Stationen im Schnelldurchlauf: Disney Deutschland, Action Concept, 20th Century Fox.

Hollywood passierte übrigens gerade mal acht Jahre nach der Discofilmgründung und so: Sony Pictures Television International wollte ihn beim Champion in Sachen fliegende Autos, also Action Concept in Köln-Hürth, abwerben. Er schlug das Angebot aus, er hatte ja eine gute Position bei „Alarm für Cobra 11“-Produzent Hermann Joha. Ein paar Wochen später schmiss dieser ihn raus. Der Job bei Sony war schon weg. Schön blöd. What next? Hetzers Sony-Kontakt, namentlich Fran McConnell, leitete seinen Lebenslauf an die Nummer 3 bei Rupert Murdoch’s News Corp. weiter. Vier Wochen später hatte er den Job.

Leider brach das Business in sich zusammen, schon wieder. Das neue Geschäftsmodell Serien-Koproduktionen, das Daniel Hetzer mit seinem Kollegen Diego Suarez in Peter Chernins Auftrag ausprobieren sollte, funktionierte nicht, wofür er nichts konnte. Die internationalen Partnersender wollten immer Anteile haben, US-Majors teilen aber nicht gerne. Wie gesagt, er hätte trotzdem den Rest seiner Karriere als Angestellter im News Corp.-Universum verbringen können, denn: „Bei einer amerikanischen Corporate ist die Decke sehr warm und irgendwann schlagen sie die nicht mehr weg.“

Doch der „durch und durch kreative Unternehmertyp“ (Selbstbeschreibung) zog weiter. Auch weil seine damalige Frau back to Germany wollte. Dort ging Daniel Hetzer zu besagtem Hermann Joha und schlug ihm vor: „Hier, Friedenspfeife, du hast einen enormen Produktionsapparat, kann ich den für internationale Projekte nutzen?“

Als erstes kam dann die britisch-deutsche Koproduktion „Rush“ – und damit eine bis heute andauernde Freundschaft mit dem mit involvierten Andrew Eaton. Der Brite, der ein paar Jahre später als Produzent mit „The Crown“ schwer beschäftigt sein sollte, gründete 2017 in UK die Turbine Studios Limited und 2019 die deutsche Schwester Turbine Studios GmbH. Mitgründer: Daniel Hetzer.

Über seine Gründerambition sagt dieser, Andrew und er hätten lange nach einem Weg gesucht, wie sie ihre Zusammenarbeit nicht nur auf Projektebene, sondern auch auf institutioneller Ebene verstetigen können. Beim Lunch im Facil auf der Berlinale 2020 – Jeremy Irons, Christian Schwochow, David Kosse von Netflix, Eaton und Hetzer in einem Raum – wurde besiegelt: Wir verfilmen Robert Harris’s Roman „Munich“. Noch während der Produktion in Berlin bahnte sich schon das „nächste große Ding“ an.

Eaton legte Hetzer das Buch mit dem Arbeitstitel „Cosmonauts“ auf den Tisch, das auf der Grundlage dieses einen Satzes entwickelt worden war: Eine Gruppe von Astronauten kehrt nach einem schweren Unfall auf der ISS zur Erde zurück und stellt fest, dass die Realität eine andere ist. Daraus wurde: „Constellation“ und ein Serienprojekt, das nach Umwegen über verschiedene Sender schließlich bei Morgan Wandell landete, Leiter Internationale Projekte bei Apple TV.

Daniel Hetzer, dieser sagenhafte Netzwerker, und der Amerikaner Wandell kannten sich natürlich schon, wobei sie diese Bekanntschaft erst beim Dreh von „Constellation“ in Babelsberg bemerkten. Gemeinsam hatten sie die (nicht ganz so erfolgreiche) US-Serie „Defying Gravity“ gestemmt, als der eine bei Fox Television war und der andere bei ABC. Nach einer Staffel war schon Schluss mit dem Weltraumspuk fürs TV (Partner in Deutschland war übrigens Pro Sieben). Trotzdem, Hetzer macht kein Geheimnis daraus, dass er eigentlich „immer ein Fan des klassischen Modells“ war. Sprich: Die Video-Streamer sind ihm suspekt.

Auch wenn er anerkennt, dass sich durch die neuen Player für deutsche Storyteller „eine Tür zur global audience aufgetan hat“: Plattformen wie Amazon oder Apple sind für sein Dafürhalten „eher Tech-Companies als kreative Studios“, die auf Grundlage ihrer Daten über Zuschauerbewegungen „viel rigoroser als Hollywood“ Entscheidungen träfen. Ihnen fehle einfach „die hundertjährige kreative DNA der Major Studios", die bereit seien, Ungewöhnliches zu ermöglichen. Ein Film wie „Poor Things“ hätte es heute bei den Tech-Companies schwer, glaubt er, weil er extrem ist, aber grandios (hey, 11 Oscar-Nominierungen!).

Experimentierfreude der Streamer ist vorbei

Hetzers nüchterne Bilanz: Die anfängliche Experimentierfreude der Streamer ist mehr oder weniger vorbei, die Budgets schrumpfen, die Inhalte verändern sich, was Komplexität und Anspruch betrifft. Allerdings: Tiefe Taschen und Topleute, um Außergewöhnliches zu schaffen, gäbe es immer noch.

Apple TV+, 2019 gegründet, war im Vorjahr in Deutschland der am stärksten wachsende Videostreamer. Wenn man den deutschen „Constellation“-Produzenten fragt, wie viel der Konzern springen ließ und ob sich der Apple-CEO himself einmischte, muss Daniel Hetzer lachen: „Tim Cook interessiert sich nicht so wirklich für das, was wir hier gemacht haben. Er wird sich’s aber bestimmt anschauen.“ Immerhin wurde ja, so Hetzer, „außerordentlich viel Geld“ investiert.

Bestimmte Vorgaben habe Apple nicht gemacht außer dieser: „Produziert es auf dem europäischen Weg. Heißt: Seid nicht so teuer wie die in Amerika. Das haben wir auch geschafft.“ Zur Lead-Regisseurin Michelle MacLaren habe Apple wiederum gesagt: „Make it epic.“

Tja, das muss man erstmal unter einen Hut bekommen.

Daniel Hetzer © Tobias Schult
Zur Summe X, die Apple für die Lizenz an die deutsche Turbine Studios und deren britische und französische Rechtepartner zahlte, kamen noch deutsche, französische, britische, marokkanische und finnische Fördermittel hinzu. Allein zehn Millionen Euro sicherten sie sich aus dem German Motion Picture Fund – „und die bekommt man nur, wenn man mindestens 42 Millionen Euro in Deutschland ausgibt und zwei Drittel der Dreharbeiten hier stattfinden.“

Und dann zitiert Daniel Hetzer den Oscar-dekorierten Regisseur Ron Howard, mit dem er bei den Dreharbeiten von „Rush“ am Nürburgring von einer Kuppe ins Tal schaute: „Weißt du, Daniel, egal welches Budget man hat, man hat nie genug. So ist es auch!“

(By the way: „Rush“ wurde auch in Bergisch Gladbach gedreht, so viel Lokalpatriotismus muss sein.)

Die besten Sachen, fährt Hetzer fort, hätten sie hinbekommen, weil sie eben Restriktionen im Budget hatten. „Die Koryphäen, mit denen wir zusammenarbeiten durften, mussten zeigen, was sie können. Und sie können sehr viel, kann ich Ihnen sagen.“ Der Produzent ist noch immer tief beeindruckt, mit welcher Passion und welchem Können Lösungen gefunden wurden für Situationen, die eigentlich nicht umsetzbar sind. Weil zum Beispiel die ESA in Köln-Porz keinen Zugang gewährte, wich der weltraumfilmerprobte Production Designer Andy Nicholson („Gravity“) nach Babelsberg aus, wo große Teile der Internationalen Raumstation ISS originalgetreu entstanden.

Daniel Hetzer, der ja um Superlative nicht verlegen ist, glaubt, mit dem Konzept, wie man Schwerelosigkeit im Studio drehen kann, hätten sie „Maßstäbe für die Zukunft gesetzt“. Ab dem 21. Februar wissen wir mehr.

Jedenfalls, und das soll das Happy End dieser Samstagsstory sein, schaut es nicht danach aus, dass das Business so bald in sich zusammenbricht, wie es Daniel Hetzer ja schon ein paar Mal erlebt hat. Mit der Turbine Studios Productions wurde ein Produktionsarm aufgezogen. Und am Horizont tut sich bereits das nächste Projekt auf, ein Action-Thriller für den Weltmarkt, dessen Inhalt sich auf diesen einen Satz zusammenschnurren lässt: James Bond meets Jason Bourne mit Indiana-Jones-Twist drin.