Na, das fing ja diese Woche super an bei Joyn (Ironie off). Einen „Stotterstart“ legte die 14. so genannte Normalo-Staffel von „Big Brother“ hin. Fast zwei Stunden mussten Fans der Realityshow auf die für den Dienstagabend angekündigte Tageszusammenfassung warten wegen eines nicht näher erläuterten „technischen Problems“. Dabei hat man an die Containerspiele nirgends so große Erwartungen geknüpft wie bei Joyn selbst. Anders als in den Jahren zuvor ist „Big Brother“ in voller Formatschönheit nämlich nur beim Streamingdienst von ProSiebenSat.1 zu sehen.

Auch wenn inzwischen so weit alles „normal“ läuft: Am wenigsten dürfte diese Anfangspanne Katharina Frömsdorf gefallen haben.

Seit 1. November ist sie die neue CEO von Joyn und damit Exekutantin der neuen Konzernstrategie, die ihr Oberboss Bert Habets gerade erst am Donnerstag bei der Verkündung der aktuellen Geschäftszahlen von ProSiebenSat.1 erneut bekräftigt hat: Alle Mann und Frau bereit stehen, volle Power in die Streamingtochter.

Katharina Frömsdorf fällt also die Aufgabe zu, das bislang Unmögliche möglich zu machen: Joyn nach siebenjährigem vor sich hin Dümpeln endlich richtig auf Kurs bringen, inhaltlich, ökonomisch, technisch optimiert, so wie es der Wettbewerber in Köln, RTL+, längst getan hat oder die Mediatheken von ARD und ZDF.

Nur warum gerade sie?

Bis zur „Big Brother“-Premiere sind es ein paar Tage hin, als ihr Gesicht bei Teams erscheint, vor der vereinbarten Zeit, sprich: um Punkt und nicht erst fünf Minuten nach 15 Uhr, wie es die Konzernregel gebietet. ProSiebenSat.1 gönnt seinen videokonferenzgehetzten Mitarbeitenden eine fünfminütige „Biopause“, um zwischen zwei Terminen halt die notwendigen Dinge zu erledigen. Zum Beispiel Tee zubereiten.

In Frömsdorfs Tasse ist Fastentee. Ihrem Mann zuliebe, der jedes Jahr fastet, verzichtet auch sie auf feste Nahrung, eine Woche lang. Es sei der zweite Tag, ihre Laune gut, versichert sie.

Vermutlich liegt es wirklich nicht am Tee, vermutlich neigt Katharina Frömsdorf, im ersten und zweiten Eindruck sehr straight, sehr klar, grundsätzlich nicht zum Plaudern. Interviews mit ihr sind selten. Und so war es überraschend, wie offen die 45-Jährige nur wenige Wochen nach ihrem Antritt bei Joyn in einem Podcast über Berufliches wie Privates plauderte.

Katharina Frömsdorf © ProSiebenSAT.1 Media SE / Amelie Niederbuchner.
Dass sie in Sydney geboren wurde und in Baden-Baden, Kronberg und Hongkong zur Schule ging, weil der Vater beruflich viel unterwegs war. Dass sie nach dem Abi als Aushilfe bei „ARD-Buffet“ jobbte. Dass sie VWL in Berlin studierte und nebenbei bei der SWR-Welle Das Ding Radio machte. Dass sie nach einem kurzen Umweg im Filmbereich 2005 bei Pro Sieben landete. Dass man ihr dort einen Rechner hinstellte, wir wollen ein Musiklabel aufbauen, hier ist ein Vertrag mit Warner, jetzt mach mal, dabei hatte sie von Musik nullkommanull Ahnung.

Dass aus diesem Starwatch mit Musikern von A-ha über Monrose bis Udo Lindenberg in kurzer Zeit die viertgrößte Plattenfirma Deutschlands wurde und sie nach sieben Jahren die Geschäftsführerin. Dass sie Lindenbergs allerersten Platz 1 in den Albumcharts im Hotel Atlantic bei Dosenbier und Kaviar feierte und ihre beiden Mädchen auswendig singen können: Hier war vorher mal 'ne andre Bar / Doch der Schnaps schmeckt noch genauso. Dass sie das Label ausbauen durfte und überhaupt große Freiheiten im Konzern hatte. Dass sie eine Firma nach der anderen kaufte oder gründete. Dass sie von Tag 1 an darüber nachdachte, wie man mit weiteren Geschäftsmodellen weitere Erlösquellen aufmacht. Dass sie damit das Fundament des Commerce and Ventures Geschäfts von ProSiebenSat.1 mit legte...

Tatsächlich dürfte niemand in Unterföhring besser Bescheid wissen, wie man eine Marke gewinnbringend ausbaut und noch mehr Kapital aus ihr herausschlägt, als Katharina Frömsdorf. Und da sind die Starwatch-Musiken in den Werbeleerzeiten von ProSieben und Sat.1 oder die „Baywatch Berlin“-Tiefkühlpizza nur zwei Beispiele von vielen.

Bei ProSiebenSat.1 kennt sie fast jeden Winkel

Es gibt zudem fast keinen Winkel bei Pro SiebenSat.1, den die Medienmanagerin in bald 20 Firmenjahren nicht kennengelernt hätte. Vor diesem Hintergrund war es dann doch irgendwie konsequent, dass Bert Habets sie ein Jahr nach seinem eigenen Konzerneinstieg in seine unerwartete Personalrochade mit einbezog. Er machte sie nicht nur zur CEO von Joyn, sondern auch zur „Chief Platforms & Growth Officer“ bei Seven.One Entertainment. Und führte damit zwei getrennte Geschäftsbereiche in einer Person zusammen, die viel miteinander zu tun haben.

Die Beförderung habe auch sie überrascht und gleichzeitig auch nicht, sagt Frömsdorf jetzt mit round about 100 Tagen Abstand. Ohne im Detail zu wissen, wie der Auswahlprozess genau ablief, sei ihr klargewesen: Sollte es eine interne Entscheidung geben (für die Nachfolge des unglücklich agierenden Joyn-Geschäftsführers Tassilo Raesig), dann wäre sie „nicht weit weg davon, weil ich Joyn in meiner vorherigen Funktion schon eng begleitet habe“.

So hatte Frömsdorf Erfahrung mit dem Aufbau digitaler Plattformen wie FYEO (Podcast-App), Smyle (Comedy-App) und JoynMe (Video-App). Digitale Firmen wie die Creator-Schmiede Studio71, die Influencer-Marketing-Agentur Buzzbird oder die gesamte Seven.One Audio lagen bereits in ihrem Verantwortungsbereich. Wie man als CEO führt, wusste sie auch schon. Und dass ihr Fokus zudem immer sehr stark auf Marketing und Vertrieb lag, sei bei Joyn „ja auch nicht ganz unwichtig“, merkt sie an. Stimmt. Ihre Expertise aus Starwatch ist da besonders von Vorteil.

Keine andere Branche hat so oft einen Schlag abbekommen und musste sich transformieren wie das Musikbusiness. „Jeder war mal tot geglaubt, die Majors, die großen Künstler, und irgendwie hat sich jeder gefangen“, sagt Frömsdorf richtigerweise, weshalb man direkt zurückfragen muss: Warum hat sie ihre Karriere in diesem untoten Geschäft nicht intensiviert, dort wo laut Bundesverband Musikindustrie mit Musikstreaming momentan viel Geld verdient wird und Rod Stewart seine Songrechte gerade für fast 100 Millionen Dollar verkauft hat?

„Für mich war immer klar, dass ich mich nicht auf die Musikindustrie fokussieren will und offen bin, um mich in eine andere Richtung zu entwickeln“, antwortet Katharina Frömsdorf, die übrigens „lieber die drei richtigen als 30 Konzerte im Jahr besucht“ (ihr letztes Event war Pink im vorigen Sommer). Die Zeit bei Starwatch habe ihr dennoch „riesig Spaß“ gemacht. Nicht nur wegen des Kontakts mit Künstlern wie Udo Lindenberg, über die sie lernte: „Die wirklich Erfolgreichen, und das zieht sich durch alle Branchen durch, sind nicht die Komplizierten. Mit ihnen habe ich am besten und liebsten zusammengearbeitet. Die, die ganz schnell hochkamen, waren oft schwierig.“

Anders als in der Film- und TV-Branche sei der Weg von der Idee bis zum fertigen Produkt im Musik-Biz halt einfach sehr viel kürzer. So ist die Shanty-Rockband Santiano an einem Konferenztisch in Unterföhring entstanden und nur wenige Monate später war das Debütalbum raus. „Man sieht schneller Erfolge, aber auch Misserfolge – wobei der Künstler immer Schuld hat am Erfolg und das Label am Misserfolg“, lacht sie.

Und im Ernst, was nimmt sie als Learning in ihre neue Position mit? „Exekution von A bis Z“, kommt es wie aus der Pistole geschossen zurück. „Man ist voll verantwortlich und muss die Flexibilität aufbringen, jeden Stein umzudrehen, wenn es nicht funktioniert.“ Und: Da niemand wisse, wo der Medienmarkt in drei, vier Jahren stehen wird, müsse man sich „bestmöglich vorbereiten und immer bereit sein, den Kurs zu korrigieren, wenn sich die Dinge in eine andere Richtung bewegen.“

Im Fall von Joyn liegt da besonders viel im Argen, weshalb Katharina Frömsdorf den aktuell schwierigsten Job im Konzern erwischt haben dürfte.

2017 als Joint-Venture mit Discovery unter dem Namen 7TV gegründet, läuft es einfach noch immer nicht rund und gut bei Joyn. Spektakuläre Streaming-Hits, Joyn-Originals als Must-See? Man muss da schon lange an „Jerks“ vorbei suchen. Auch in puncto Oberfläche und Bedienfreundlichkeit zogen Wettbewerber an Joyn vorbei. Woran es lag?

An den Abläufen damals war Katharina Frömsdorf freilich nicht beteiligt. Sie kann „nur aus der Ferne bewerten“, was sie aus anderen Konstellationen kennt, nämlich: „Wenn zwei gleichberechtigte Partner nicht immer einer Meinung sind, dann führt das nicht unbedingt dazu, dass man immer an einem Strang zieht und das Geschäft mit dem gleichen Tempo und dem gleichen Investment durchzieht.“

Seit Oktober 2022 gehört Joyn ProSiebenSat.1 allein. Nach der vollständigen Übernahme geht es nun darum, Joyn strukturell und kulturell zum wirklichen Zentrum des Konzerns zu machen. „Wir sind zum ersten Mal in der Lage, für den bestmöglichen Output arbeiten zu können. Alles, was wir tun, zahlt auf Joyn ein“, gibt sich die neue Chefin zuversichtlich.

Also auch „Big Brother“, oder?

Mit einem Joyn+-Abo können Hardcore-Fans seit Montagabend 24/7 verfolgen, wie Mateo, Frauke & Co. im „Big Brother“-Haus in Köln-Bocklemünd performen: chillen, lästern, zanken, heulen, essen, schlafen, duschen und das 100 Tage lang in der Hoffnung auf den 100.000-Euro-Jackpot. Back to the roots ist die Parole. Zurück ins Jahr 2000, als die damalige Formatrevolution mit den völlig unbekannten Normalos Zlatko, Jürgen & Co. für die einen ein süchtig machendes Medienereignis war, für die anderen der Untergang des Abendlandes.

Die 22-jährige VWL-Studentin Katharina Frömsdorf gehörte zu ersteren. Sie war bei Staffel eins „voll dabei“, hat „von Anfang bis Ende geguckt“ und „nicht so medienkritisch“: „Ich fand’s einfach unterhaltsam und ließ mich treiben von dieser Neuheit.“

23 Jahre später, da war sie keine drei Wochen auf dem Joyn-Posten, hatte sie es mit der 11. Staffel von „Promi Big Brother“ zu tun und einem ersten Test: Würden Fans des Formats über das kostenfreie Angebot hinaus bereit sein, für den 24/7-Live-Stream auf Joyn zu bezahlen? Offenbar waren es ausreichend viele. „Promi Big Brother“ sei über viele Wochen die klare Nummer eins im Joyn-Angebot gewesen und unter den Top-3-Reality-Formaten im Jahr 2023. Ergo: „Wir glauben fest daran, dass das nicht nur mit Promis geht, sondern auch mit ganz normalen Menschen.“

Nun ja, warten wir mal ab.

Auch wenn letztlich alles, was Katharina Frömsdorf bisher in dieser Firma gemacht hat, irgendwas mit Content zu tun hatte, sei es Musik, Podcast, Künstlermanagement oder YouTube – sie ist keine klassische Programmgeschäftsführerin im Sinne von Gespür fürs Kreative, so wie es ihre Vorvorgängerin Katja Hofem war. Ihre Stärke sind Vermarktung, Vertrieb, Rechteverwertung.

Veränderungen im Verborgenen

Das, was draußen gesehen wird, ist natürlich der Content. Dass in Joyn-Originals wie „Der Upir“ mit Fahri Yardim investiert wird, auch in weitere Reality-Shows, wurde bereits kommuniziert. Auch dass Joyn die wichtigste Verbreitungsplattform für die hauseigenen Sender werden soll und deren Leuchtturm-Formate wie „Wer stiehlt mir die Show?“ oder „Die Landarztpraxis“ bereits jetzt Reichweiten-Treiber sind.

Es gibt Katharina Frömsdorf zufolge aber auch „viele Veränderungen quasi im Verborgenen“. Das Marketing passiere heute aus einer Hand, was man daran sehen könne, dass inzwischen auf jedem Plakat das Logo von Joyn genauso groß prangt wie das von ProSieben oder Sat.1. Auch die PR-Kommunikation sei inzwischen ebenso miteinander verzahnt wie die Produkt- und Tech-Organisationen inklusive einer klaren Vermarktungsstrategie mit der Seven.One Media.

Was Katharina Frömsdorf gleichwohl nicht in der Hand hat: wie sich das Werbegeschäft entwickelt.

Katharina Frömsdorf © ProSiebenSAT.1 Media SE / Amelie Niederbuchner.
Joyn verfolgt ja von Anbeginn ein Hybrid-Modell aus werbefinanziertem Free-Bereich und Bezahlangebot. Dass nun just Prime Video vom Werbekuchen was wegnimmt, nähmen sie ernst, sagt die Streamingchefin. Amazon habe natürlich „eine enorme Schlagkraft“ und werde sich sicherlich „eine ordentliche Marktposition“ erarbeiten. „Aber das macht uns keine Angst“, sagt sie selbstbewusst, „der Markt ist so groß, dass wir unsere Wachstumsziele trotzdem erreichen werden.“

Auf die Frage, was nun auf ihrer unmittelbaren To-do-Liste steht, antwortet sie mit einem Ach, und es klingt fast wie ein Seufzer: „Die Liste ist ewig lang und würde den Rahmen der Nahaufnahme sprengen.“ Viele technische Themen (sic!) seien darunter. So soll die „User Experience“ bei Joyn verbessert werden. Zuschauerinnen (die männlichen sind selbstverständlich mit gemeint) sollen zur richtigen Zeit die richtigen Inhalte präsentiert bekommen. Dann muss es natürlich mit der Reichweite von Joyn („50-Prozent-Plus im Januar im Vergleich zum Vormonat“) weiter hochgehen.

Nicht zuletzt will Katharina Frömsdorf dafür sorgen, dass konzernweit „alle an einem Strang ziehen“. Das schließt die selbstbewussten Senderchefs, die bislang wohl eher kein großes Interesse daran hatten, ihre Eigenständigkeit einzuschränken und Joyn als Priorität zu begreifen, mit ein. Sie findet: „Das gelingt uns jeden Tag besser.“

Halten wir also fest: Katharina Frömsdorf hat sich in ihrem vorherigen Job nicht gelangweilt, und sie tut es jetzt erst recht nicht. Aber wie Roberto Blanco (nicht bei Starwatch) schon richtig sang: Ein bisschen Spaß muss (auch) sein, oder?

Deshalb hätten wir für die ProSiebenSat.1-Managerin, die am 15. März ihren 46. Geburtstag feiert, die perfekte Geschenkidee.

Die Jubilarin in spe war in Jugendtagen passionierte, wenn auch nicht turnierverdächtige Tennisspielerin. Die Spielpraxis ging über die Jahre etwas verloren, aber beruflich gab es durchaus immer wieder Berührungspunkte mit dem gelben Ball. Denn 2013 stieg Starwatch in die Kölner Veranstaltungs- und Vermarktungsagentur MMP ein und Katharina Frömsdorf wurde Ko-Geschäftsführerin neben Agenturgründer Michael Mronz. Die MMP veranstaltete damals nicht nur den CHIO in Aachen, sondern auch TV-Events wie Stefan Raabs Wok-WM auf Pro Sieben. 2014 kamen die BMW Open in München hinzu (neuerdings mit Vertragsverlängerung bis 2032).

Also, Advantage: Katharina Frömsdorf!

Wie wäre es, wenn sich bei den am 13. April startenden BMW Open Turnierstar Sascha Zverev, so zwischen zwei Schnitzeln, die Zeit für ein Doppel mit der Chefin des Sandplatzeventveranstalters nehmen würde? Mei, sie würde sich’s sicher zutrauen. Und wenn dann auch noch Joyn live streamt . . . Technisch dürfte das ja eigentlich kein Problem sein.