Gäbe es noch den Rateshow-Klassiker „Ich trage einen großen Namen“, wäre Jakob Menge ein idealer Gast. Schließlich ist er mit einer berühmten Person aus der Vergangenheit verwandt. Mit welcher, ist rein optisch kaum zu erraten, zu unterschiedlich sind (Haar-)Stil und Statur. Doch die Stichworte „Stahlnetz“, „Das Millionenspiel“, Ekel Alfred und „3 nach 9“ würden genügen, schon wäre klar: Wolfgang Menge ist’s!

Mit seinen Drehbüchern für Film und Fernsehen, mit seinen Moderationen von Talkshows und Konzepten für Sitcoms und Reality-TV war dieser obenrum blitzblanke Charakterkopf einer der produktivsten wie innovativsten Fernsehkreativen, als ausschließlich analog geschaut wurde. Am 10. April wäre Wolfgang Menge 100 Jahre alt geworden. 2012 ist er gestorben.

Eifrigster Bewahrer seines televisionären Erbes ist seither: sein Sohn Jakob.

Anlässlich des runden Jubiläums verbrachte Jakob Menge Stunden über Stunden allein damit, den Medienwissenschaftler Gundolf S. Freyermuth mit Material für die Wolfgang-Menge-Biografie „Wer war WM?“ zu versorgen, die im Juni bei Kadmos erscheinen soll. Er telefonierte überdies Sender ab, damit sie Vaters beste Werke wiederholen oder zumindest an ihn erinnern. Er organisierte eine Kinonacht im Babylon Berlin mit acht Stunden der WM-Kultserie „Ein Herz und eine Seele“ am Stück. Und er gab selbst Interviews über die „TV-Legende“ (wie hier oder hier).

Jakob Menge © Charlotte Weinreich
Was allenfalls im Nebensatz fiel: dass Jakob Menge selbst doch auch eine interessante Fernsehpersönlichkeit ist, wenn auch eine, die im Hintergrund wirkt, als Redaktionsleiter der ARD-Talk-Sendung von Sandra Maischberger. Und ist es nicht ebenso erwähnenswert, dass es zwischen seiner Chefin und dem Vater eine ebenso interessante Verbindungslinie gibt?

Nicht nur, dass Sandra Maischberger ihre Talk-Gäste backstage oft mit Wolfgang Menges Spruch begrüßt, dass eine Talkshow „nicht theoriefähig“ sei, sprich: immer etwas Unvorhergesehenes passieren könne. Sie sagte auch einmal über ihn, dass er ihr journalistisches Vorbild und ein Ratgeber gewesen sei, seit sie ihn 1994 für „Spiegel TV“ interviewte (wo dieser sich übrigens mächtig darüber aufregte, dass er in der Kantine von Gottschalks RTL-Late Night Show für zwei Debreziner 8,20 Mark aus eigener Tasche bezahlen musste, das habe er noch in keiner Talkshow erlebt. Na, so was!).

Wo war Jakob Menge 1994? Wie war das überhaupt, mit einem Vater aufzuwachsen, der als Schöpfer visionärer TV-Unterhaltung galt? Was bedeutete es für seine eigene Karriere und wie hat es seine Arbeit für den Maischberger-Talk geprägt?

Dass man sich im Wolfgang-Menge-Jubeltrubel explizit für ihn interessiert, findet der Sohn auf die erste Anfrage hin „schlimm genug“; ob es nur flockig-ironisch gemeint ist oder Unsicherheit kaschiert, wird nicht ganz klar. Aber Jakob Menge erweist sich dann doch als sprudelnder Geschichtenerzähler – eine Eigenschaft, die ja auch dem Vater nachgesagt wird.

So wird er zum Beispiel mit etlichen Abschweifungen erzählen, dass seine frühsten Erinnerungen an den „Fernsehriesen“ Wolfgang Menge in die späten 1970er reichen, als dieser die Talkshow „3 nach 9“ bei Radio Bremen moderierte. Ein, zwei Mal nahm ihn der Vater mit, ins mondäne Parkhotel und zum Delikatessengeschäft Grashoff, wo die Redaktionssitzungen stattfanden. Da habe er gemerkt, dass das „schon wichtig“ sei, was sein Vater da macht.

Und Jakob Menge wird auch erzählen, dass er sich manchmal „ein bisschen mehr Anarchie“ wünschte. Die Fernsehwelt sei leider „etwas langweiliger“ geworden, seit Christoph Schlingensief in „Talk 2000“ als letzter die Anarcho-Version von Talk bediente.

Aber stopp, damit kein Missverständnis aufkommt: So was Anarchisches wie einst sein Vater bei „3 nach 9“, als dieser sich von Beate Uhse ein Gestell zur Trocknung von Präservativen erklären ließ, würde der junge Menge „grundsätzlich“ schon machen, „aber nicht in unserem Format“, schränkt er lachend ein. Er sei aber schon jemand, der auch bei „Maischberger“ dafür plädiere, „immer mal wieder aus dem Schema auszubrechen“, sei es, dass sie eine nach Deutschland geflüchtete ukrainische Klasse aus Mariupol ins Studio holen oder dass sie Howard Carpendale zum US-Wahlkampf befragen.

Wolfgang und Jakob Menge © privat Wolfgang und Jakob Menge

Es brauche solche „originellen Angänge“, um die Zuschaueraufmerksamkeit zu halten. Denn wie sein Vater schon sagte: „Es bringt niemandem etwas, wenn es kein Mensch sieht.“ Wolfgang Menge habe immer auf die Quote geschaut und auch schwierige Sujets (wie Umweltverschmutzung 1973 im Öko-Thriller „Smog“) publikumswirksam umgesetzt. „Dem Diktum fühle auch ich mich verpflichtet.“

Auf die Quote schaut nicht zuletzt auch der für „Maischberger“ verantwortliche WDR. Und weil es da seit dem letzten Relaunch 2019 offenbar quotenmäßig sehr gut läuft, durfte die Redaktion im April gleich dreimal die Woche im Ersten ran, also auch montags anstelle von „hart aber fair“, das ja ebenso ein WDR-Talkshow-Produkt ist.

Die sogenannten „Maischberger-Drillinge“ sind geschafft. Jetzt sitzt Jakob Menge an einem Freitagmittag drüben in Berlin, wo er bei Maischbergers Vincent Productions GmbH kürzlich ein Einzelbüro bezogen hat. Nach nunmehr 19 Arbeitsjahren für die TV-Moderatorin hat der 54-Jährige erstmals ein Reich für sich allein, was er dekorieren kann, wie er will. So wartet das eingerahmte Poster auf der Kommode noch darauf, an die Wand gedübelt zu werden. Es zeigt das Ensemble von „Ein Herz und eine Seele“.

Ob es Parallelen zwischen der Hauptfigur, dem legendären Ekel Alfred, und ihrem Erfinder Wolfgang Menge gebe, wurde Jakob Menge unlängst gefragt. Bei den politischen Ansichten keineswegs, antwortete er, aber im Umgang mit anderen ein bisschen schon. Für einen guten Witz hätte der Alte auch mal einen Freund über die Klippe gehen lassen, oder er hätte sich wahrscheinlich auch aus Provokation die Fußnägel am Esstisch geschnitten. Trotzdem, sagte Jakob Menge an anderer Stelle: Er hatte „den besten Vater, den man sich vorstellen konnte“.

„Habe ich das wirklich so gesagt“, fragt er ungläubig zurück. Sein Vater sei auf jeden Fall „ziemlich anwesend und involviert“ gewesen: „Wenn ich aus der Schule kam, hatte er gekocht. Er war der große Kochkünstler in der Familie, der sich gerne zuarbeiten ließ. Machte man es nicht richtig und schnell genug, beschimpfte er einen aber auch.“

Drei Jungs sind es, die das Ehepaar Marlies und Wolfgang Menge in die Welt setzten. Jakob, 1970 in West-Berlin geboren, ist der jüngste und der einzige, der denselben Beruf ergriff wie die Eltern. Der Vater Journalist, die Mutter ebenfalls (sie war Ost-Berlin-Korrespondentin der „Zeit“) – eigentlich wäre das der beste Grund gewesen, selbst keiner zu werden.

Andererseits: Wer in einem Umfeld aufwuchs, wo man auf Sylt die Ferien verbrachte mit den Familien von Conny Ahlers („Spiegel“) und Peter Boenisch („Bild“) und wo bei Menges in Berlin Manfred Krug und Jurek Becker ein und aus gingen und sich auch Peter Ustinov und Arthur Miller vom Vater bekochen ließen, hat doch außerordentlich gute Startbedingungen für den Beruf „was mit Medien“, oder nicht?

Natürlich habe er darüber nachgedacht, etwas anderes zu machen, sagt Jakob Menge. Der mittlere Bruder wurde dezidiert Organist und Kantor. Auch er selbst habe Abstand gesucht, zunächst eher örtlich.

Beim „Generalanzeiger“ in Bonn machte er nach dem Abitur ein Praktikum und arbeitete anschließend für Reuters in Berlin parallel zum Geschichtsstudium an der Freien Universität. Die Mauer war gerade gefallen, eine aufregende Wendezeit begann auch für rasende Nachwuchsreporter wie Jakob Menge. Er war drauf und dran, sich vollends ins Journalistenleben zu stürzen, als ihn die Bürochefin der Nachrichtenagentur zur Seite nahm, er solle doch erstmal fertig studieren, das sei doch schöner fürs Leben.

Jakob Menge © Charlotte Weinreich
Also packte der Twen den bis dato einzigen Schein ein, den er an der FU gemacht hatte (und zwar im Seminar von Arnulf Baring, Sandra Maischbergers späterem Lieblingsgast), und wechselte an die renommierte St. Andrews University nach Schottland. Dem Vater gefiel das, schließlich zelebrierte er seit den eigenen Lehrjahren in London mit seiner Vorliebe für Tweed und Pfeife eine „Faux Britishness“ (Freyermuth), die britischer anmutete als die Briten. Und es gefiel ihm freilich noch mehr, dass nach damaliger Gesetzeslage keine tuition fees für den Spross anfielen.

Dieser probierte es im Studieneifer, der ihn 1993/94 für ein Semester auch nach Salamanca führte, sogar mit dem Doktor (Thema: Populäre Werbung in der Weimarer Republik). Außerdem versuchte er, im britischen Journalismus Fuß zu fassen. Auch wenn sein Englisch ausgezeichnet war, für Radio Classic FM in London reichte es nicht. Da ging er lieber zurück nach Deutschland.

Zurück also in das Land, wo der berühmte Name Wolfgang Menge „natürlich auch eine Last“ war, wie Jakob Menge sagt, weil: „Alle erwarten, dass du genauso lustig, geistreich und fleißig bist wie der Vater.“ Andererseits: Geholfen hat’s hin und wieder schon, der „Sohn von“ zu sein.

Hanns Joachim Friedrichs, best buddy seines Vaters und zugleich der eigene Patenonkel, öffnete dem Schottland-Rückkehrer 1995 die Tür zu den ARD-„Tagesthemen“. Dort jobbte er als Moderationsredakteur für Uli Wickert und Sabine Christiansen, in den schichtfreien Wochen schrieb er Lokales für die "Berliner Zeitung" auf. Da rückte die Promotion ganz schnell nach hinten. Als sich dann Sabine Christiansen 1998 aufmachte als Polit-Talk-Pionierin im Ersten (und damit gewissermaßen Wegbereiterin auch für Sandra Maischbergers ARD-Karriere wurde), ging Menge mit. Doch er blieb kaum ein Jahr.

Der Gegenwind, den „Sabine Christiansen“ abbekam, war ungeheuerlich. Die Presse überbot sich bis zuletzt in Vernichtungsfantasien („Priesterin eines traurigen Rituals“, „sonntägliche Liquidierung des politischen Gesprächs“ und so). Regelmäßig landeten Interna aus den Redaktionssitzungen in Manfred Bissingers linksliberaler „Woche“. Einer angenehmen Arbeitsatmosphäre war das alles sicher nicht förderlich.

„Das waren Sachen, die man offen im Team hätte besprechen müssen“, findet Jakob Menge rückblickend. Aus der Erfahrung habe er mitgenommen, „wie wichtig Transparenz und offen ausgetragene Kritik gerade in einer Medienredaktion sind“. Das versuche er heute bei „Maischberger“, in der Vincent productions GmbH umzusetzen. Die eigene Chefin spart er dabei nicht aus: „Ich sage Sandra direkt, wenn ich etwas misslungen fand. Klartext kann ich wie mein Vater.“

Bis er bei „Sandra“ im Jahr 2005 andockte, sammelte Jakob Menge allerdings Erfahrung noch bei einem anderen Arbeitgeber: Am 9. November 1998 fing er bei der „Welt“ an. Ausgerechnet!

Was hatte sich Wolfgang Menge seinerzeit beklagt, dass das blaue Blatt von Axel C. Springer, für das er in den 1950ern aus Tokio und Hongkong schrieb, seine Ostasienberichterstattung boykottierte! Seine Kritik am kommunistischen China wurde plötzlich nicht mehr gedruckt, Meinungen wurden wichtiger als Fakten (ein bis heute andauerndes Problem des Journalismus nicht nur bei der „Welt“). Für WM war damals kein Mitmachen: „Ich bin kein Meinungsjournalist, ich hasse das. Das deutsche System des Journalismus ist mir zutiefst zuwider“, zitiert ihn sein Biograf.

Was hat also Jakob Menge geritten, beruflich dort anzuknüpfen, wo sein Vater Jahrzehnte zuvor im Zorn kündigte?

Nun, er sagt, dass er von dieser Vorgeschichte gar nichts wusste. Der Vater habe grundsätzlich „immer nur nach vorne geschaut“ und nie über die Vergangenheit reden wollen. Zwar zeigte er Dias aus China, weil ihn das Land sehr faszinierte (und ihn auch in seiner Kochkunst inspirierte). Aber was WM dort genau gemacht hatte, erzählte er nie.

Und dann sei es ja so gewesen, fährt der Sohn fort, dass er es toll fand, am Morgen den eigenen Namen in der Zeitung zu lesen und dass ja mit Amtsantritt von Mathias Döpfner als „Welt“-Chefredakteur „plötzlich ein neuer, liberaler Geist wehte“. Menge Junior verantwortete die neue englischsprachige Seite „The New Berlin“, für die es „Budget ohne Ende“ gab. Er war Medienredakteur, auch Blattmacher für die Außenpolitik und „manchmal auch für die Seite 1 der Organisator, Kreative im Hintergrund“, was er jetzt bei „Maischberger“ auch irgendwie wieder sei.

Wie Jakob Menge dort landete? Kurz: Ihm wurde klar, dass er nicht so gut schreiben, nicht so fein ziseliert formulieren konnte wie der Vater. Außerdem zeichnete sich ab, dass die goldenen Zeiten im Print nicht mehr lange währen würden.

Als einfacher TV-Redakteur fing er bei einer Sendung an, die sich seit der Premiere in 2003 mehrfach gewandelt hat. Der inzwischen dreifache Familienvater ist stolz darauf, dass das aktuelle Konzept in gewisser Weise sein Baby ist und eigentlich schon uralt; er habe sich „ehrlich gesagt auch ein wenig aus dem Angelsächsischen inspirieren lassen“, so wie es früher der Vater bei seinen Formaterfindungen tat. Und: Wie es Wolfgang Menge zeitlebens praktizierte, quäle auch er seine Redaktion damit, „dass man die Extrameile gehen muss, dass man also Originalquellen studiert und Hintergrundgespräche führt, anstatt nur auf die Printpresse oder Wikipedia zurückzugreifen.“

In der zuständigen WDR-Redakteurin Elke Maar fand Jakob Menge eine „Sparringspartnerin“, die seine Idee mit den unterschiedlichen Gesprächseinheiten „von Anfang an auf allen Ebenen inhaltlich und kreativ unterstützt“ habe.

Was Maar und Menge von einer Fortsetzung der „Maischberger-Drillinge“ halten, ist leider nicht zu erfahren, wohl auch aus Rücksicht auf die Kollegen von „hart aber fair“. Die TV-Moderatorin selbst sprach in einem Podcast von einem „erfolgreichen Test“ – und dass sie sich eine dritte Dosis „Maischberger“ durchaus vorstellen könne.

Im Vorgespräch zu dieser „Nahaufnahme“, die nun endlich endet, sagte Jakob Menge übrigens, zwei Sendungen fühlten sich „wie Urlaub“ an.