Wer hätte noch vor ein paar Jahren darauf gewettet, dass der Deutsche Fernsehpreis in diesem Jahr, hip hip hooray, Silberhochzeit feiert? „Armselige, grottendumme Veranstaltung“, „stundenlanger Schwachsinn in hässlicher Kulisse“, „hirnlose Scheiße“ – es war ja wirklich nicht sehr aufbauend, was die Leistungsschau des Fernsehens in der Vergangenheit an Schmähkritik (in diesem Fall wortwörtlich von Elke Heidenreich) über sich ergehen lassen musste und nicht nur das.
Die Menschen draußen schalteten nicht ein. Die Sender wussten nicht, wohin damit. Selbst den Stars wurde der Preis lästig. Und so vegetierte die einst glamouröse Fernsehgala über Jahre als blasser Branchentreff im Internet – bis sich Stephan Neumann der Sache annahm.
Vorweg: Niemand hat den Fernsehproduzenten aus Köln, der seit 2022 gemeinsam mit Peter Schönrock die Geschäfte der Riverside Entertainment führt, zu dieser scheinbar undankbaren Aufgabe gezwungen. Als der Produktionsauftrag 2019 neu ausgeschrieben wurde, bewarb sich Stephan Neumann mit seinem Team. Freiwillig.
Warum bitte schön hat er sich das angetan? Warum ging er überhaupt in den Pitch für eine Preisverleihung, mit der zuletzt nicht nur kein Blumentopf zu gewinnen war, sondern die auch von den eigenen Kollegen in der Branche am schärfsten beäugt wird?
„Na ja, das macht es gerade spannend“, antwortet ein fröhlich gelaunter Stephan Neumann drüben in Hamburg, dem Stammsitz der Riverside. Eigentlich leitet der 45-Jährige die Dependance in Köln. Hin und her pendeln gehört zu seinem Job, seit er im Februar 2019 in das Unternehmen eintrat. Seine Fernsehpreis-Erfahrung datiert sogar noch ein bisschen länger zurück.
Eine Ehre: Der Deutsche Fernsehpreis
Im Sommer 2018 hatte sich der damalige Executive Producer nach Jahren der Festanstellung bei der Bavaria Entertainment und vormaligen First Entertainment gerade selbstständig gemacht, als der WDR bei ihm Beratung anfragte. Die Kölner waren turnusgemäß dran mit der Ausrichtung des Fernsehpreis (so wie in diesem Jahr wieder). Es handelte sich damals noch um eine Preisverleihung ohne TV-Ausstrahlung, ohne Strahlkraft und ohne Attraktivität im Vergleich zu früheren Jahren. Doch Neumann merkte: „Da steckt was drin. Den Deutschen Fernsehpreis zu produzieren ist eine Ehre und ein besonderer Auftrag.“
„Inzwischen ist die Begehrlichkeit, einen Deutschen Fernsehpreis zu gewinnen und als Gast vor Ort dabei zu sein, wieder gewachsen. Der Preis erlebt eine neue Blüte und wird als wichtiger Branchenevent und als Wertschätzung der Fernsehschaffenden wahrgenommen. Dies war und ist durch das gemeinsame Engagement der Stifter, der Beiräte, des Ständigen Sekretariats um Petra Müller und Riverside möglich.“
Schon klar, dass Stephan Neumann als mit verantwortlicher Fernsehpreis-Kopf hier lobhudeln muss. Dass er sich aber nichts schönredet, dass es sich nicht um seine rein subjektive Sicht handelt, wird immer wieder bestätigt, wenn man in die Branche hineinhorcht. Jetzt, wo die Nominierungen bekannt sind und die Einladungen rausgehen, beginnt das Geschacher, wer wen noch in den Saal hineinnehmen darf. Denn es gilt: Wer drin ist, ist in.
Und nicht zuletzt: Spricht es nicht für Stephan Neumann und seinen Laden, dass ihm nicht nur die Fernsehpreis-Veranstalter zutrauen, ein in die Jahre gekommenes Fest in die Zukunft zu führen, sondern auch die des Dresdner Semper-Opernballs und des Festkomitees Kölner Karneval?
Letzteres, also die Weiterentwicklung der alljährlich vom WDR ausgestrahlten Prinzenproklamation, ist allerdings nur ein Ehrenamt und mehr oder weniger Privatvergnügen, grätscht der Produzent korrigierend hinein. Seine Erfahrungen aus dem TV-Entertainment und Eventgeschäft mit einzubringen, sei ihm eine „Ehre“ und „dankbare Aufgabe“. Und: Man sei auf ihn zugekommen, obwohl er nicht Teil des organisierten Karnevals ist.
Na, so was! Blick in die Vita: Stephan Neumann ist nicht mal gebürtiger Kölner, sondern nur Immi! Das aber schon seit 20 Jahren. Ursprünglich stammt er aus dieser anderen so genannten Karnevalshochburg am Rhein, aus Mainz. Nachhaltiger auf seinen Lebensweg wirkten sich indes weniger die Helau-Rufe aus als die Nähe zum ZDF.
Schon zu Schulzeiten stand für den heranwachsenden Fernsehmacher fest: Er wollte nicht in die Bank, nicht zu Versicherungen, auch nicht in eine Anwaltskanzlei, sondern unterhalten. Und so landete er als freier Mitarbeiter beim ZDF, das mit Viva jenerzeit den Musikpreis Comet produzierte. Eine hoch interessante Zeit war das für ihn, weil sich die Anstalt vom Lerchenberg stärker für jüngere Prozesse zu öffnen begann.
An der Uni analysierte er Musikpreisverleihungen
Seine ersten Show-Erfahrungen brachte er an der Uni in Marburg wissenschaftlich zu Papier. Thema der Magisterarbeit in Medienwissenschaft: „Analyse von Musikpreisverleihungen im deutschen Fernsehen.“ Sein Prof, der legendäre Karl Prümm, hatte zwar selbst nicht viel Ahnung von den Niederungen der Fernsehunterhaltung, brachte aber dem Studenten Neumann Analyse-Techniken bei, die ihm heute noch helfen zu erkennen, wie man ein Format verändern kann.
2005 startete der Magister Artium in Köln als Executive Producer bei der First Entertainment (die spätere Bavaria Entertainment) durch. Er entwickelte und produzierte ARD-Shows wie „Meister des Alltags“, „Star Biathlon“ und „Die große Show der Naturwunder“, für Nitro die „Formel Eins"-Neuauflage und für RTLzwei die „Hitrekorde“. Für Phoenix machte er zwar auch was Journalistisches („Wie tickt Europa?“). Aber lauter schlägt sein Herz für Unterhaltung vor Publikum.
Mit geradezu mitreißender Inbrunst sagt Stephan Neumann: „Ich glaube, dass wir gerade in diesen Zeiten, wo wir viel über Video kommunizieren, bewusst Orte schaffen müssen, an denen wir uns versammeln, persönlich austauschen und als relevante Branche selbst wahrnehmen.“ Was den Fernsehpreis betrifft, komme hinzu, dass Fernsehen an sich „nicht mehr selbstverständlich“ sei; das sehe er am Medienmix seiner Kinder. „Am Ende geht es deshalb auch darum, das Genre der Langform für die Zuschauenden sichtbarer und Lust darauf zu machen.“
Hört, hört, dieser Mann hat eine Mission. Und nicht nur diese eine. Als er sich mit der Riverside um die Fernsehpreis-Produktion bewarb, stand das Thema Genregerechtigkeit ganz weit oben im eingereichten Konzept. Es sollte ein Preis werden, der die Macherinnen und Macher in ihrer Breite anspricht. Der beispielsweise nicht nur die Regisseurinnen und Regisseure in der Fiktion würdigt, sondern auch die in der Unterhaltung. Von diesem Gedanken war es nicht weit zu einer zweigliedrigen Veranstaltung, also der Aufteilung in eine Hauptgala mit Übertragung im TV und eine gestreamte „Nacht der Kreativen“, wie wir sie auch in diesem Jahr wieder sehen.
Auftrag 2024: Kürzer werden
„Unser Auftrag und Fokus ist in diesem Jahr, definitiv kürzer zu werden. Deshalb werden wir den Abend schon im Vorfeld und am Tag der Gala von Anfang an noch stärker strukturieren und die Preisträger intensiv bitten, daran zu denken, dass maximal eine Minute für die Dankesrede pro Kategorie vorgesehen ist.“
Die Ansage ist unmissverständlich, eigentlich: Sagt bitte alles, was euch wichtig ist, in der ersten Minute. Was darüber hinausgeht, wird für die zeitversetzte Ausstrahlung im Ersten herausgeschnitten, und wenn es der Wunsch nach dem Weltfrieden ist. Jetzt müssen sich nur noch alle daranhalten, okay?
Bislang war das ja leider nicht immer der Fall. Je mehr Kategorien, desto mehr Nominierte und Preisträger, die auf die Bühne dürfen, wenn auch nicht alle sprechen sollten – und desto länger die Veranstaltung. Da ist also von Neumanns Team Fingerspitzengefühl gefragt, in Einklang zu bringen, dass der Abend für das Publikum draußen und drinnen im Saal nicht zu lang wird, und andererseits möglichst jeder Preisträger seinen für sich besonderen Moment bekommt. Das sei, betont Neumann, gerade für die Kreativen hinter der Kamera, die meist freiberuflich arbeiten und in diesen angespannten Zeiten um Aufträge kämpfen müssen, immens wichtig.
Teil des neuen Konzepts ist, dass die Riverside jede Kategorie nicht nur mit einer eigenen Inszenierung angeht, einer kleinen visuellen Ergänzung, die die Danksagung „hoffentlich verkürzt“. Jeder und jede, die einen Preis bekommt, kann vor Ort direkt nach der Übergabe des Awards einen kurzen „Danke-Clip“ aufzeichnen, der dann zeitnah auf der Website des Deutschen Fernsehpreis veröffentlicht wird.
Neumann und sein Team betreiben also ganz schön viel neuen Aufwand. Mehr Geld bekommen sie dafür, trotz Jubiläumsjahr, nicht. Das Budget (mutmaßlich zwei Millionen Euro) habe sich nicht fundamental verändert, sagt er: „Wir bewegen uns in einem Spannungsfeld, wo es immense Preissteigerungen im Markt gibt und unsere Auftraggeber zugleich bei der aktuellen Situation über ihr Budget genau entscheiden müssen und damit auch darüber, wie viel sie für die beiden Veranstaltungen bereit sind auszugeben.“ Abgesehen davon: „Das Jubiläum wird nur am Rande thematisiert.“
Egal, wie viel man zur Verfügung hat: Stephan Neumann ist erfahren genug, um zu wissen, dass nicht alles perfekt gelingt. Man hat als Produzent nicht alles in der Hand. Mal kommt Corona, mal gerät ein Partner in Turbulenzen, so wie just in dieser Woche hier auf DWDL.de gemeldet: „Personeller Paukenschlag bei der MMC Group.“ (Auswirkungen auf die Ausrichtung der Gala im Coloneum sollte dies Neumann zufolge aber nicht haben.) Manche Dinge müsse man einfach ausprobieren, fährt Neumann fort. Und wenn sie nicht funktionieren, umsteuern.
So ein Ausprobieren war im vorigen Jahr, als bei der auf Sat.1 ausgestrahlten Fernsehpreis-Verleihung auf eine feste Moderation verzichtet wurde. Laudatorinnen und Laudatoren schafften stattdessen die Übergänge, aber leider auch Fremdschammomente. Es ist halt nicht jeder und jede zum Moderieren geboren, sodass es nicht nach Ablesen eines Schulaufsatzes klingt.
Es sei „sicher nicht der optimalste Weg“ gewesen, pflichtet der Produzent bei, und man habe daraus Schlüsse gezogen. Heißt: Die Moderationsgranate Barbara Schöneberger (das ist wirklich lieb gemeint!) ist wieder zurück auf der Fernsehpreis-Bühne, wo sie schon sechsmal stand und launigst durch den Abend führte. Frei nach Nina Ruge gilt die Parole: Mit „Babsi“ wird wieder alles gut.
Ohne ins Detail gehen zu wollen, sagt Stephan Neumann fast schon entschuldigend, dass es viele Gründe gebe, warum welche Entscheidungen getroffen werden. Man glaubt ihm sofort, dass es „durchaus nicht immer trivial“ ist, alle Wünsche unter einen Deckel zu bekommen. Andererseits findet er es auch gut, dass sich alle Preisstifter und Partner einbringen wollen, „weil es zeigt, dass ihnen der Preis wichtig ist“. Geht es allerdings um Detailfragen der Gestaltung, hat die Alle-reden-mit-Regel ihre Grenzen. Dann spricht die Riverside nur mit den jeweiligen Federführenden, die jährlich wechseln. Also in diesem Jahr mit dem WDR.
Das Taxi, das Stephan Neumann zum Ice nach Köln bringen soll, steht unten schon bereit. Für eine Frage bleibt noch Zeit: Wie groß ist der Druck, eine Veranstaltung auf die Beine zu stellen unter den Argusaugen der Wettbewerber?
„Nein wäre gelogen, Ja zu viel gesagt“, lacht der Produzent, „also, ich finde es nicht intensiv belastend.“ Im eigentlichen Doing hätten er und seine helfenden Riverside-Kollegen rum um Uwe Cornelissen und Kristin Ortz sowie Regisseur Mark Achterberg auch gar keine Zeit, ständig darüber nachzudenken. „Natürlich spüren wir die Verantwortung und den Druck, es gut zu machen. Aber den hat man ja eigentlich immer.“
Dass allen alles gefällt, sei es zu Hause oder im Saal, werde auf jeden Fall "sehr schwer". Mit Blick auf die doch recht mauen Quoten in der Vergangenheit sagt Stephan Neumann noch, man dürfe sich nicht der Illusion hingeben: "Die Verleihung des Deutschen Fernsehpreis wird nie ein absoluter Straßenfeger. Aber wir tun alles dafür, die Branche im Saal und die Menschen zu Hause möglichst gut zu unterhalten und nicht zuletzt für unser Metier zu werben."
Dann kann ja nichts schiefgehen, nicht wahr?