Frau Aigner-Drews, fast jedes amerikanische Medienhaus steht gerade nach Übernahme oder Fusion vor großen Veränderungen. Hilft die Tatsache, dass bei Discovery Ruhe herrscht?

Wir haben eine andere Art von Veränderung dank neuer Themen und Genres, die seit der Übernahme von Scripps Networks vor anderthalb Jahren, bei uns auf den Tisch kamen. Discovery ist damit zum Weltmarktführer im Bereich Factual Entertainment geworden, was uns natürlich ganz enorm beschäftigt hat und in Deutschland zum Launch des Senders Home & Garden TV geführt hat. Aber es gibt auch Marken wie z.B. Food Network oder ein Discovery-eigenes Thema wie MotorTrend, das als digitales Produkt sowie im Rahmen eines Branded Blocks auf DMAX nach Deutschland kommt. Bei DMAX führen wir die große Programmoffensive fort. Natürlich beschäftigt uns auch die gesamte Marktsituation aufgrund veränderter Nutzungsgewohnheiten – auch aus diesem Grund haben wir vor gut einer Woche Joyn gestartet, unser Joint Venture mit ProSiebenSat.1. Es ist also viel los bei uns - ohne, dass wir von jemandem übernommen werden.



Auf all diese Themen gehen wir ein, lassen Sie uns aber anfangen mit einer Nachfrage zu HGTV. Im Jahr 2019 einen linearen Sender zu launchen, wirkt ungewöhnlich. Der Markt für lineare Programme sei gesättigt, heißt es oft.

Viele Gründe sprachen dafür. Es ist richtig, dass es in Zukunft nicht mehr allzu viele lineare Senderstarts geben wird. Das wäre meine Prognose mit Betrachtung des Gesamtmarkts, bei dem in der Tat eine ziemliche Sättigung vorherrscht. Wir haben es uns daher sehr genau überlegt. Wir glauben, dass die lineare Nutzung im Free-to-air immer noch extrem wichtig für den Aufbau einer neuen Marke ist - und wir betrachten HGTV als solche und nicht nur als linearen Sender - im größten Medienmarkt Europas. Über Joyn wird es die Programme natürlich auch on-demand geben und Social Media wird ebenso bespielt, so dass wir all die berühmten Touchpoints bedienen. In den USA gibt es den Sender schon seit 25 Jahren. Er ist einer der Top10-Sender. Wir treten also ein großes Erbe an.

Und in den USA hat man die Hände überm Kopf zusammengeschlagen, weil Sie schon wieder einen Free-TV-Sender starten wollen?

(lacht) Free-to-air war für uns und auch Discovery insgesamt ein ziemlicher No-Brainer. Wir haben hier in Deutschland vor fast 13 Jahren mit DMAX den ersten Free-to-air-Sender von Discovery weltweit gestartet, mittlerweile sind noch einige dazu gekommen. Italien, Spanien, Großbritannien, Naher Osten… um nur einige Märkte zu nennen. Wir sind also kein Einzelfall mehr. Discovery ist zwar ein globaler Konzern, trifft aber in solchen Fällen lokale Entscheidungen. Die thematische Nische von HGTV, und es ist eine Nische, hat eine sehr konkrete Zielgruppen-Ansprache auch für interessierte Werbekunden. Der Werbemarkt im Bereich Do-it-Yourself ist enorm. Das Thema des Senders ist einerseits eng gefasst aber in der Vielfalt, die wir beim Markenkern „Wir leben das Zuhause“ vermitteln können, unglaublich breit.

Der Sender ist mit seiner Positionierung in jedem Fall weniger erklärungsbedürftig als damals der Start von TLC…

Wenn man HGTV in Werten beschreiben würde, dann ist es stilvoll, optimistisch, unbeschwert, familiär, kreativ gestaltend - also lauter Werte, die sehr positiv sind und sich gut in den Werbemarkt und unserem Publikum vermitteln lassen.

Wie sieht es denn im Werbemarkt aus? Discovery vermarktet sich selbst. Wie sehen Sie die Entwicklung des Werbemarkts?

Wenn Sie sich insgesamt die Brutto-Werbemarkt-Entwicklung anschauen, werden Sie sehen, dass wir eine der Gruppen sind, die wachsen. Das liegt allein an der Senderentwicklung. TLC hat innerhalb eines Jahres seine Reichweite fast verdoppelt, was vom Werbemarkt auch goutiert wird. Wir sind sehr zufrieden mit der Entwicklung und erwarten einen weiteren positiven Effekt durch HGTV, wo von Stunde eins Werbepartner dabei waren. Lidl war unser allererster Kunde, über den wir uns sehr gefreut haben. HGTV bietet ein positives Gefühl, das ist Wohlfühlfernsehen. Und wenn Sie mal am Kiosk nach Zeitschriften zum Thema Wohnen, Renovieren, Garten, Vorher-Nachher oder Do-it-Yourself Ausschau halten, dann gibt es eine enorme Vielzahl von gedruckten Medien. Im Fernsehen gibt es jedoch wenig dazu. Deswegen besetzen wir jetzt diese Nische. Darin sind wir gut, wie wir mit DMAX und TLC bewiesen haben, denn auch TLC hat sich nach fünf Jahren super etabliert. Wir liegen dort jetzt bei 0,8 Prozent Marktanteil.

Discovery

TLC hat mit einer Vielzahl von amerikanischen True Crime-Formaten dann in die Erfolgsspur gefunden. Wie wichtig sind Eigenproduktionen für den Sender?

Die nächste große deutsche Eigenproduktion bei TLC startet am 10. Oktober und heißt „Haustyrann“. True Crime feiert bei TLC große Erfolge, daher haben wir uns bei der nächsten Eigenproduktion für dieses Genre entschieden. Es geht um Mord und Totschlag in den eigenen vier Wänden, nicht in den USA sondern eben Deutschland. Das sind echte Fälle, die von der bekanntesten deutschen Gerichtsreporterin Gisela Friedrichsen erzählt und durch aufwendiges Reenactment dargestellt werden. Wir setzendas Rehosting fort, also prominente deutsche Gesichter, die durch einzelne Produktionen führen. Hier arbeiten wirseit Jahren zum Beispiel schon gut mit Sky Du Mont zusammen. Desiree Nick macht für uns aktuell „Trautes Heim, Mord allein“. Aber weil wir bei TLC in der Tat gut versorgt sind durch unseren Output-Deal mit den US-Kollegen, konzentrieren wir uns bei den Eigenproduktionen vor allem auf DMAX und zukünftig auch HGTV.

Das ist bei HGTV vielleicht auch deshalb sinnvoll ist, weil sich Geschmack und Wohnsituationen in Deutschland ja durchaus auch von denen in den USA unterscheiden. Sind also auch beim neuen Sender lokale Produktionen geplant?

Wir sind jetzt gestartet mit Formaten aus dem Output-Deal mit den amerikanischen Kollegen und der ist sehr umfangreich. HGTV produziert in den USA im Jahr etwa 7000 Stunden neuen Content, wovon wir profitieren. Nichtsdestotrotz wissen wir, dass wir dem Sender einen lokalen Geschmack geben wollen.  Wir sind jetzt in den Vorbereitungen, haben etliche Ideen von Produktionsfirmen gepitcht bekommen und werden dann in 2020 mit deutschen Produktionen on air gehen.

Ist der spätere Start von deutschen Eigenproduktionen ein Learning aus den bisherigen Senderstarts? Hin und wieder wurde bei neuen Sendern, nicht nur bei Ihnen, ja auch viel zu früh mit Kanonen auf Spatzen geschossen…

Man kann einen Senderstart grundsätzlich auf zwei verschiedene Art und Weisen gestalten. Bei HGTV haben wir uns explizit dafür entschieden, dem Sender erst einmal Zeit zu geben, sich überhaupt zu etablieren im Markt. Wir wissen, dass wir Geduld brauchen. Wir haben keine andere Frequenz gekauft, sondern fangen bei null an. Unsere gestartete Werbekampagne zum Launch dient in erster Linie dazu, unsere Zuschauer dazu anzuregen den Sender erst einmal zu suchen und zu finden, über Satellit oder im jeweiligen Kabelnetz. Eva Padberg haben wir dafür als Kampagnen- und Sendergesicht gewinnen können. Wir arbeiten auch mit Influencern aus dem Bereich zusammen. Erst einmal brauchen wir Awareness für den Sender, dann kommen die lokalen Produktionen.

Sprechen wir über ihren zweiten Launch binnen weniger Tage: Joyn ist seit einer guten Woche im Markt. Mit dem Eurosport-Player haben Sie schon erste Schritte gewagt, aber Joyn soll als Direct-to-Consumer-Produkt noch eine viel größere Nummer werden. Wie riskant ist es als Pay-TV-Haus den bisherigen Verbreitungspartnern vor den Kopf zu stoßen und zu sagen: Wir wollen selbst direkt verdienen?

Die Zeit, in der Discovery ein reines Pay-TV-Unternehmen war, ist ja nun bereits seit fast dreizehn Jahren vorbei als wir DMAX gestartet haben in Deutschland.

Aber gemessen am weltweiten Umsatz war das damals doch erstmal ein kleines Experiment?

Das ist natürlich richtig, wir sind aus der Historie heraus auch ein Pay-TV-Unternehmen wobei Discovery mittlerweile - und das eben schon seit vielen Jahren - viel mehr ist. Wir sehen uns als Multiplattform-Anbieter mit Content, der uns in den allermeisten Fällen selbst gehört. Das ist ein riesengroßer Unterscheid im Wettbewerb, weil von der ersten Produktion  bis zur letzten Ausstrahlung die Rechte uns gehören. Die Frage, wie wir ihn dann nutzen, ist damit sehr flexibel und kann bei uns lokal entschieden werden. Was für uns ein richtiger Schritt ist, muss nicht in jedem Markt der richtige Schritt sein. Durch diese Freiheit kommt ein Joint-Venture zustande wie jetzt mit ProSiebenSat.1. Wir wissen ja, dass sich die Sehgewohnheiten verändern und wir sehen, dass wir im linearen Bereich jüngere Zuschauerinnen und Zuschauer verlieren. Sie konsumieren Bewegtbild anders und wir müssen dorthin, wo sie  sind.

Richtig, aber noch einmal die Nachfrage: Verbreitungspartner ihrer PayTV-Programme dürften nicht begeistert sein, wenn Sie im Winter - wenn die Premium-Pakete bei Joyn starten sollen - direkt zum Kunden gehen…

Das ganze System von Joyn basiert auf einem Freemium-Modell. Im kostenlosen Bereich verbreiten wir die Sender, die ohnehin frei empfangbar sind, in SD-Qualität wie wir es auf allen anderen Verbreitungswegen auch tun. In einem nächsten Schritt im 4. Quartal kommen dann die Premium-Pakete. Die Inhalte, die wir derzeit nur gegen Bezahlung zugänglich machen, werden auch dann nur gegen Bezahlung zugänglich sein. Jetzt sind wir erst einmal mit über 50 frei empfangbaren Programmen gestartet, die im Livestream verfügbar sind, damit decken wir etwa zwei Drittel des Marktes ab. Das ist schon eine Ansage. Viele Partner im Markt haben ein ähnliches Interesse und wollen dabei sein.

Sucht Joyn nach Inhalte-Partnern oder auch nach weiteren Gesellschaftern?

Die Einladung an mögliche Bewegtbild-Partner im Markt haben wir früh ausgesprochen. Wir sind offen. Das heißt auch, dass es für Partner interessant sein kann, sich gesellschaftlich an Joyn zu beteiligen. Da würde man dann in Verhandlungen treten. Auch in der Hinsicht kann Joyn mehr werden als ein Zwei-Parteien-System.

Sie sagten eben, die Premium-Angebote kommen im 4. Quartal, also wird der Eurosport-Player mit den Bundesliga-Rechten zum Start der nächsten Saison noch nicht bei Joyn integriert sein?

Genau, der Eurosport Player wird zum Start der Bundesliga-Saison noch nicht integriert sein, aber im Laufe der Saison dann migriert.

Discovery

Kurze Nachfrage, wo wir gerade beim Sport sind: Streben Sie beim nächsten Poker um die Bundesliga-Rechte ein erneutes Paket für Eurosport an?

Die Ausschreibung ist ja noch gar nicht offiziell draußen. Es kursieren derzeit einige Modelle, aber erst im Herbst diesen Jahres wissen wir mehr. Und selbstverständlich werden wir es uns anschauen. Was wir jetzt schon wissen ist, dass es das Paket so wie wir es bisher haben, nicht mehr geben wird. Allein schon, weil die Montagsspiele wieder abgeschafft werden und es eine andere Aufteilung von Exklusivität und Verbreitungswegen geben wird. Insofern werden wir uns die offiziellen Unterlagen anschauen und dann sehen, was für uns am meisten Sinn macht.

Kommen wir zu DMAX. Wie geht es dem Flaggschiff im Portfolio?

Aus Marktanteilssicht liegen wir im bisherigen Jahr bei 1,6 Prozent Marktanteil. Wir haben im Jahr 2018 eine große Programmoffensive mit deutschen Eigenproduktionen bei DMAX gestartet, die in diesem Jahr aus vollen Rohren weiter feuern wird, wir investieren noch einmal mehr. Aber wenn ich mir die Offensive aus dem vergangenen Jahr anschaue, sage ich auch ganz ehrlich: Da war nicht alles erfolgreich. Wir haben viel gelernt. Unsere Zuschauer haben uns deutliches Feedback gegeben. Dauerbrenner wie die „Steel Buddies“ und der Neustart „Abenteuer Autobahn“, den wir jetzt mit der A8 fortsetzen, kommen sehr gut an.

Gottseidank hat Deutschland so viele Autobahnen.

(lacht) So können wir noch ein paar Jahre drehen. Und es werden ja gottseidank auch immer wieder Autobahnen ausgebaut. 40 neue Folgen von „Abenteuer Autobahn“ werden gerade produziert. So etwas funktioniert gut bei uns.

Was genau funktioniert denn gut an „Abenteuer Autobahn“?

Wenn wir uns anschauen, was „Abenteuer Autobahn“ ausmacht, dann sind es Menschen mit ehrlichen Berufen, die unser Land - in dem Fall die Infrastruktur in Form der Autobahn - am Laufen halten. Wir nennen sie Working Heroes, das sind keine Superstars oder Extremsportler. Das sind Menschen, die helfen, dass Deutschland funktioniert. „24/7 Building Germany“ ist ein Arbeitstitel für ein weiteres Projekt. Da werden wir auch an Flughäfen gehen und an Bahnhöfe.

Sie sagten eben: Nicht alles war erfolgreich. Was hat nicht funktioniert?

Wir haben die Zuschauer mit unserer Art und Weise wie wir Entertainment interpretiert haben, zum Beispiel bei „Devil’s Race“, nicht überzeugt. Das kompetitive Element kam nicht gut an, daher konzentrieren wir uns auf klasssiches Factual Entertainment. Da kommt in der nächsten Saison zum Beispiel „Roter Stahl“, eine Eigenproduktion, in der die Familie Tänzer ihre kuriose Welt bestehend aus alten Panzern, Kastenwägen und sonstigen Eisenwaren aus der ehemaligen DDR vorstellt. Ein klassisches Gearhead-Format stellt „Drift Brothers“, eine von Red Bull Media produzierte Serie um die Drifting-Künstler und Rennfahrerbrüder Elias and Joe Hountondji da. Fans unserer Dokus mit außergewöhnlichen Lebenskonzepten werden wir mit „Wild Family“, eine achtteilige Doku-Serie um eine Abenteurerfamilie aus dem äußersten Norden der USA, beglücken. Aber auch das Thema Wissen kommt nicht zu kurz, mit „Warship: Life at Sea“, dass das Leben von 280 Besatzungsmitglieder auf einem der  modernsten Kriegsschiffe der Welt einfängt. Wir haben für jeden Geschmack das passende Programm im Portfolio. 

Im Februar hat Ihr Programmchef Oliver Nowotny das Unternehmen verlassen. Die Position ist bislang noch unbesetzt. Wird es eine Nachfolgerin oder einen Nachfolger auf diesem Posten geben?

Wir suchen in jedem Fall. Diese Schlüsselposition wird neu besetzt, was bei der Vielzahl an Marken auch notwendig ist. Wir haben hier ein sehr gutes Team in München , das gerade gemeinsam an den Themen arbeitet. 230 Stunden Eigenproduktion wollen schließlich gestemmt werden. Aber die Position  wird neu besetzt.

Frau Aigner-Drews, herzlichen Dank für das Gespräch.