Diese Telegeschichte beginnt am 1. Juni 1972 in Frankfurt am Main. Die Polizei umstellt den Garagenhof eines Wohnblocks im Stadtteil Dornbusch. Darin haben sich zwei Männer verschanzt. Ein dritter ist bereits verhaftet. Rund 60 Beamte sind vor Ort. Plötzlich kommen Schüsse aus der Garage. Ein Panzerfahrzeug blockiert die Zufahrt und rammt das Tor. Tränengasgranaten fliegen über das Gelände. Als der Panzerwagen kurz zurücksetzt, nutzen die beiden Verdächtigen ihn als Deckung und wollen fliehen. Die Polizei eröffnet das Feuer. Aus ihren Maschinengewehren donnern rund 300 Kugeln in Richtung der Flüchtigen.

Einer der Männer wird am linken Oberschenkel getroffen. Unter großem Geschrei geht er zu Boden. Beide schleppen sich zurück in die Garage. Kurz darauf ergibt sich der unverletzte Mann. Bloß in Unterhose bekleidet, kommt er heraus. Der andere liegt schwer verwundet im Gebäude. Bei den drei festgenommenen Männern handelt es sich um Jan-Carl Raspe, Holger Meins und Andreas Baader. Mit ihrer Verhaftung gelingt den Behörden endlich ein Erfolg gegen die „Rote Armee Fraktion“. In den vergangenen Monaten hatte die RAF das Land mit einer Reihe von Banküberfällen, Brand- und Bombenanschlägen überzogen. Allein während der sogenannten „Mai-Offensive“ starben zuletzt vier Menschen, 74 wurden verletzt.

Am Morgen nach der Festnahme steht im Morgenmagazin des Hörfunks vom Westdeutschen Rundfunk ein Telefoninterview mit dem Psychologen Ernest Bornemann auf dem Sendeplan. Ein routinierter Vorgang, wie er ständig vorkommt. Das Gespräch hat ein festangestellter Redakteur vorbereitet. Die Moderation der morgendlichen Sendung überlässt er jedoch einer unerfahrenen freien Mitarbeiterin. Durch die ständige Ausweitung des Programms und den nicht mitwachsenden Stellenplan ist dieses Vorgehen keine Seltenheit. Während des Interviews weicht Bornemann jedoch vom vereinbarten Text ab und spricht stattdessen über die RAF-Festnahme vom Vortag. Er bezeichnet die Aktion der Polizei als „Fahndungstheater“ und bedauert Baader und Co. als „arme, verzweifelte junge Männer in Unterhosen“, deren blutige Taten lediglich „Ausgeburt reiner Verzweiflung“ waren. Die ungeübte Moderatorin ist überfordert und kann die Aussagen nicht einordnen oder ihnen widersprechen. Der eigentlich verantwortliche Redakteur kann ebenfalls nicht eingreifen. Er hat verschlafen und ist noch nicht im Studio.

Mächtig Bambule

Es war nicht das einzige Mal, dass der WDR mit der RAF in einen Zusammenhang gebracht wurde. Vor ihrem Abtauchen in die Illegalität hatte er die spätere RAF-Gründerin Ulrike Meinhof als freie Mitarbeiterin beschäftigt. Dort produzierte sie ihr Hörspiel „Bambule“, das im Mai 1970 gesendet wurde. Ein Radiofeature über die katastrophale Situation von Mädchen in Erziehungsheimen. Kurz nach der Ausstrahlung befreite sie Andreas Baader nach seiner ersten Festnahme gewaltsam aus dem Gefängnis.

Einige Monate später wandte sie sich dann an einen früheren WDR-Kollegen, der ihr und anderen Mitgliedern der Gruppe daraufhin sein Auto lieh und ihnen Unterschlupf in seiner Wohnung gewährte. Alle Zusicherungen, dass es sich nur um einen Einzelfall unter rund 3.000 Festangestellten handelte halfen wenig. Dem WDR haftete fortan der Vorwurf an, mit der RAF zu sympathisieren und Mitarbeitende mit extremistischen Überzeugungen zu beschäftigen.

Daraus versuchte vor allem der nordrhein-westfälische Landesverband der CDU Kapital zu schlagen. Obwohl die Partei in der vorangegangenen Landtagswahl eine hauchdünne Mehrheit erzielt hatte, setzte die bisherige Fraktion aus SPD und FDP ihre Regierung unter Ministerpräsident Heinz Kühn fort. CDU-Spitzenkandidat Heinrich Köppler war ausgebootet und zur Oppositionsarbeit gezwungen. Er instrumentalisierte daraufhin das missglückte Interview im WDR-Morgenmagazin, um eine Kritik zu erneuern, die er schon mehrfach geäußert hatte. Für ihn wies die Landesrundfunkanstalt nämlich eine zu „linkslastige“ Berichterstattung auf und berücksichtigte konservative Themen und Positionen zu wenig. Köppler gelang es sogar, das Bornemann-Interview zum Gegenstand einer Bundestagsdebatte zu machen. Ähnlich war er schon beim Bekanntwerden der Unterstützung von Meinhof durch den WDR-Mitarbeiter vorgegangen.

Heinrich Köppler © IMAGO / Sven Simon "Wähl den politischen Frühling": Heinrich Köppler im Jahr 1975

Rund zwei Jahre zuvor hatte er zusammen mit vielen anderen bereits versucht, die erste anstehende Gebührenerhöhung zu verhindern. Die CDU-geführten Länder wollten ihre Zustimmungspflicht als politisches Druckmittel nutzen, um die öffentlich-rechtlichen Anstalten stärker unter konservative Kontrolle zu bringen. Eine Einigung wurde erst nach dem Einschalten des Bundesverfassungsgerichts erzielt. Am Ende stimmte man der Erhöhung der Rundfunkgebühren zwar widerwillig zu, erreichte jedoch zumindest, dass diese geringer ausfiel als ursprünglich anvisiert. Es ist ein Manöver, das einem aus heutiger Sicht mächtig bekannt vor.

Rundfunk mit Haltung

Klaus von Bismarck © IMAGO / teutopress Klaus von Bismarck, hier in einer späteren Aufnahme 1986
Mit rund 18.000 Funkstunden im Jahr und der Verantwortung für ein Viertel des ARD-Fernsehprogramms war der WDR damals die größte Rundfunkanstalt der Bundesrepublik. An ihrer Spitze stand seit 1960 Klaus von Bismarck als Intendant. Zwar war er einst mit Unterstützung der CDU ins Amt gekommen, allerdings verstand er sich als Verfechter einer überparteilichen Rundfunkpolitik. Die Angebote des Westdeutschen Rundfunks sah er als Bühne für gesellschaftliche Debatten.

Sein besonderes Interesse galt hierbei der Aufarbeitung der NS-Zeit, einer versöhnlichen Ostpolitik und einer öffentlichen Auseinandersetzung mit der Situation in den damals sogenannten „Entwicklungsländern“. Auf seine Initiative hin widmeten sich immer wieder einzelne Beiträge und ganze Sendereihen den dortigen Lebensbedingungen und politischen Herausforderungen.

Unter seiner Leitung zeigte das WDR-Fernsehen beispielsweise im Oktober 1966 die Dokumentation „Heia Safari“. In zwei jeweils 90-minütigen Folgen zeichnete sie die deutsche Beteiligung am Vernichtungskrieg gegen die Herero nach. Die Filme von Ralph Giordano dekonstruierten den im Bürgertum verbreiteten Mythos, die Deutschen seien im Gegensatz zu Briten und Franzosen angeblich „saubere“ Kolonisatoren gewesen. Die Produktion löste eine breite Debatte aus und sorgte insbesondere bei konservativen Stimmen für Empörung.

Ähnlich kontrovers wurden viele Beiträge des Politmagazins „Monitor“ aufgenommen, das für seinen investigativen und parteiergreifenden Journalismus gefürchtet war. Ab 1967 kam mit dem täglichen „Kritischen Tagebuch“ im Hörfunk ein weiteres meinungsstarkes Format hinzu, das wiederholt wegen seiner linken Haltung aneckte. Und das war längst nicht alles.

Zwischen allen Stühlen

Im Jahr 1973 sorgte Rosa von Praunheims Doku-Drama „Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt“ für erhebliches Aufsehen. Es zeigte erstmals schwules Leben im Fernsehen und thematisierte offen die gesellschaftlichen Vorurteile gegenüber Homosexualität. Es enthielt zudem den ersten Kuss zwischen zwei Männern, der je in Deutschland ausgestrahlt wurde. Insbesondere die katholische Kirche und konservative Kräfte protestierten vehement gegen den Film vom WDR. Sie sahen in ihm eine Bedrohung für die traditionellen gesellschaftlichen Werte.

Als im Jahr darauf Rainer Werner Fassbinder in seiner fünfteiligen Serie „Acht Stunden sind kein Tag“ das harte Leben von Beschäftigten in der Metallverarbeitung schilderte, wurde dem WDR entgegengebracht, arbeitgeberfeindlich und wirtschaftsschädigend zu sein. Oder in der Serie „Ein Herz und eine Seele“ kam der linke Michael in den Streitgesprächen mit seinem bürgerlichen Schwiegervater Ekel Alfred zu gut weg. Irgendwas war immer.

Ständig musste von Bismarck Angriffe von konservativen Kräften abwehren, die beim WDR politische Einseitigkeit beklagten oder die Verfassungsmäßigkeit seiner Mitarbeitenden anzweifelten. Oft stellte er sich demonstrativ vor sein Team und übernahm persönlich die Verantwortung für umstrittene Beiträge. Dadurch geriet er zur Symbolfigur für die angeblich linke Ausrichtung der Anstalt und zum Reizobjekt für Köppler und seine nordrhein-westfälische CDU.

Gleichzeitig spürte von Bismarck seitens der SPD großen Druck. Die Genossen drängten ihn ebenso, ihre politischen Positionen insbesondere bei Personalentscheidungen stärker zu berücksichtigen. Dem widersetzte er sich ebenfalls, soweit es ihm möglich war. Doch auch innerhalb des WDR gab es Konflikte über die Mitbestimmung der Mitarbeitenden und die Forderung nach einem Redakteursstatut. All diese Interessen und Erwartungen musste von Bismarck stets austarieren, was zwangsläufig zu Reibungen und Unmut führte.

Folgenreiche Lieder gegen rechts

Der 45-minütige Dokumentarfilm „Lieder gegen rechts“ brachte die angespannte Lage am 27. November 1973 zum Eskalieren. Darin porträtierte der Filmemacher Dietrich Schubert mehrere Songgruppen, die sich mit ihrer Musik gegen einen gesellschaftlichen Rechtsruck stemmten. Wieder ließen die Proteste nicht lang auf sich warten. Doch diesmal verteidigte von Bismarck die Sendung nicht, vielmehr kritisierte er ihre Umsetzung öffentlich.

Sie veranlasste ihn außerdem zu einem denkwürdigen Vortrag, den er am 12. Februar 1974 anlässlich des 25-jährigen Bestehens des evangelischen Informationsdienstes „epd/Kirche und Rundfunk“ in Frankfurt am Main hielt. Darin stellte er fest, dass „in einigen Organen der Presse die ‚rechte Seite‘ deutlich zum Vorschein“ komme. Bei den Rundfunkanstalten seien es hingegen „eher extrem linke Kräfte, die versucht sind, Redaktionen für Agit prop [agitatorische Propaganda] im Sinne ihres persönlichen politischen Engagements zu missbrauchen.“

Mit diesem Satz wollte er zum Ausdruck bringen, dass es politische Färbungen nicht bloß beim WDR, sondern in allen Bereichen der Medienbranche gab. Was ursprünglich als Befreiungsschlag gedacht war, entwickelte sich schnell zum Bumerang. Anstatt die vielen Angreifer endgültig zum Schweigen zu bringen, lieferte er ihnen mit seiner „Frankfurter Rede“ neue Munition. Schließlich hatte von Bismarck darin selbst eingeräumt, dass in den Redaktionen linke Aktivist:innen tatsächlich einen entscheidenden Einfluss hatten.

„Dauerberieselung von Linkspropaganda“

Heinrich Windelen © IMAGO / Sven Simon Heinrich Windelen
Heinrich Windelen, der CDU-Vorsitzende von Westfalen, griff die Rede auf, um den Westdeutschen Rundfunk erneut scharf zu attackieren: „So darf es nicht weitergehen, daß der Intendant des WDR selbst zugeben muß, daß in einigen Redaktionen überwiegend Leute das Sagen haben, die aus der ehemaligen APO kommen und nur anti-parlamentarische Systemveränderung mit den technischen Möglichkeiten eines großen Senders betreiben.“

Windelen war kurioserweise Mitglied des WDR-Verwaltungsrats und konnte die Entwicklung der Anstalt eigentlich mitgestalten. Statt sich aber mit seinen Kolleg:innen zu verständigen, griff er das Haus lieber regelmäßig öffentlich an und belastete damit zusätzlich die Stimmung innerhalb des Gremiums. Unterstützung erhielt er von seinem Parteikollegen Heinrich Köppler, der in das Klagelied gern einstimmte: „Wir sind es satt, uns mit der Dauerberieselung von Linkspropaganda von morgens bis abends zufriedenzugeben.“

Hintergrund war die bevorstehende Landtagswahl im Mai 1975. Köppler trat abermals als Spitzenkandidat an und glaubte, im Streit mit dem WDR ein überzeugendes Wahlkampfthema gefunden zu haben. Zugleich setzten Köppler und Windelen darauf, dass ein Regierungswechsel zu konservativen Mehrheiten in den WDR-Gremien führen würde. Beim Bayerischen und Saarländischen Rundfunk sowie beim Südwestfunk und im ZDF hatte man auf diese Weise bereits parteinahe Intendanten installieren können.

„Wir lassen uns keinen Rotfunk gefallen.“

Entsprechend kündigte Köppler unverblümt an: „Ich sage Ihnen in aller Offenheit, dies ist eines unserer Wahlkampfziele, nämlich beim WDR für politische Ausgewogenheit auch bei Personalentscheidungen zu sorgen. Davon kann gegenwärtig nicht die Rede sein.“ Er verband das mit dem Versprechen, eine Wiederwahl von Klaus von Bismarck um jeden Preis zu verhindern. Dessen Amtsperiode endete nämlich turnusmäßig kurz nach der Wahl, sodass beide Ereignisse fast zusammenfielen.

Und so riefen Windelen und Köppler im März 1975 die sogenannte „Rotfunk“-Kampagne aus, in der sie ihre jahrelange Kritik an der Rundfunkanstalt noch einmal intensivierten. Dazu erklärte Windelen: „Nach den Landtagswahlen muß sich auch beim WDR etwas ändern. Wir lassen uns keinen Rotfunk gefallen. Der WDR darf nicht zur Ausweichadresse für diejenigen werden, die wegen ihrer politischen Einstellung für den öffentlichen Dienst nicht in Frage kommen.“ Der Begriff „Rotfunk“ war zwar schon länger in Benutzung, doch nun erhob ihn die CDU zu einer zentralen politischen Parole im Wahlkampf 1975.

Um die „Rotfunk“-Kampagne befeuern zu können, wertete in der Parteizentrale ein Team jede Fernseh- und Rundfunksendung aus und dokumentierte jede in ihren Augen begangene Verfehlung. Aus ihnen stellte Heinrich Windelen dann einen „Sündenkatalog“ mit Zitaten aus dem WDR-Programm zusammen. Die „Mittelstandsvereinigung der CDU des Rheinlandes“ machte daraus letztlich eine Broschüre und verteilte unter dem Namen „Welle mit Schlagseite“ rund 3.000 Exemplare im Land.

Rotfunk, links-grün, woke

Die Landtagswahl am 4. Mai 1975 konnte die CDU dann mit einem Abstand von rund zwei Prozentpunkten für sich entscheiden. Doch Köppler blieb der Posten des Ministerpräsidenten wieder verwehrt. Bei der Abstimmung im Landtag unterlag er erneut dem Amtsinhaber Heinz Kühn, weil dieser weiterhin die Stimmen der FDP auf sich vereinen konnte. Obwohl die CDU dadurch die Zusammensetzung des Verwaltungsrates nicht verschieben konnte, erfüllte sich dennoch ihr Wahlziel der Ablösung von Klaus von Bismarck. Nach all den Querelen entschied sich dieser nämlich kurz vor der Intendantenwahl doch nicht für eine neue Amtszeit zu kandidieren. Ihm folgte der bisherige Verwaltungs- und Finanzdirektor Friedrich Wilhelm von Sell.

Den Verdacht einer Linkslastigkeit konnte der öffentlich-rechtliche Rundfunk nie abschütteln. Er ist bis heute mit Vorwürfen von konservativen, rechten oder gar rechtsextremen Kräften konfrontiert, deren Positionen sie nicht ausreichend vertreten sehen. Wo man einst „Rotfunk“ schrie, wird mittlerweile mit Labeln wie „links-grün“ oder „woke“ um sich geworfen. Die Argumente und Vorgehensweisen dahinter haben sich in den vergangenen Jahrzehnten kaum verändert. Damals wie heute werden handwerkliche Fehler, unglückliche Zufälle oder bewusste Entscheidungen zur Förderung von Diversität, Toleranz, Nachhaltigkeit und Achtsamkeit für unterrepräsentierte Gruppen bewusst instrumentalisiert, um den öffentlich-rechtlichen Rundfunk als Ganzes zu diskreditieren, seine Glaubwürdigkeit grundsätzlich anzuzweifeln und seine Funktion als eine Säule des demokratischen Systems zu untergraben.

Übrigens, im Zuge der „Rotfunk“-Kampagne wurden aus konservativen und wirtschaftsnahen Kreisen auch Forderungen für die Zulassung von kommerziellen Fernsehanbietern laut. Von diesen Wirtschaftsunternehmen erhoffte man sich dann jene politische Nähe, die ihnen der öffentlich-rechtliche Rundfunk versagte. Aus dieser Bewegung resultierte schließlich die Einführung des Privatfernsehens im Jahr 1984. Im Windschatten von Sat.1 nahm auch der erste Offene Kanal fast unbemerkt seinen Sendebetrieb auf. Das allerdings ist eine ganz andere Telegeschichte, ... die in der kommenden Woche erzählt wird.