Herr Rossié, Sie halten auf dem Deutschen Moderatorentag einen Vortrag zum Thema "Moderator - ein unterschätzter Beruf". Ist der Beruf tatsächlich unterschätzt und wenn ja, wieso?

Michael Rossié: Moderatoren werden häufig unterschätzt, weil das, was sie machen, oft so einfach aussieht. Spätestens wenn die meisten Menschen auf einem Geburtstag eine kurze Ansprache halten sollen, merken sie, wie schwer das eigentlich ist. Auswendig gelernte Texte vortragen oder Ablesen von Telepromptern kann ja jeder. Es soll alles leicht aussehen, weil wenn es nach Arbeit aussieht, macht es den Zuschauern keinen Spaß. Und es gibt in Deutschland auch nur eine Handvoll guter Moderatoren, da muss man ziemlich lange suchen.

Zum Beispiel?

Barbara Schöneberger, Günther Jauch und Thomas Gottschalk sind gute Moderatoren. Dabei ist nicht jeder Moderator für jedes Format gleich gut geeignet. Gottschalk zum Beispiel war ein toller "Wetten, dass..?"-Moderator und hat da über Stunden hinweg live abgeliefert. Das heißt nicht, dass er sein Talk-Format am Vorabend gut moderiert hat. Da lagen nicht wirklich seine Stärken. Barbara Schöneberger ist immer unterhaltsam, egal was sie moderiert - das ist wirklich ganz große Kunst. Und in anderen Ländern ist "Wer wird Millionär?" nicht so erfolgreich wie in Deutschland - und das liegt in großen Teilen auch an Günther Jauch. Die Moderation ist ein großer Teil des Erfolges. Günther Jauch ist jeden Cent wert von dem, was er da wegmoderiert.

Welche Moderatoren könnten noch besser werden?

Ulrich Meyer war vermutlich nicht so lange Moderator von "Akte", weil er das so gut konnte. Er hat eindeutig zu viele Fehler gemacht, in dem er immer Pausen an Stellen gemacht hat, an denen keine hingehörten. Aber dafür ist er ein guter Journalist, der da eine sehr anständige Sendung auf die Beine gestellt hat. Oder nehmen sie Ranga Yogeshwar, der ein sehr verdienter Wissenschaftsjournalist ist. Moderieren kann er nicht, weil er auf jedes zweite Wort draufhaut, als wäre es eine Kesselpauke. Es gibt nichts anstrengenderes, als eine Sendung mit Ranga Yogeshwar zu hören.

Was muss ein guter Moderator von Beginn an mitbringen?

Wichtig ist eine gute Allgemeinbildung. Wenn Sie jedes zweite Fremdwort falsch aussprechen, dann verziehen die Leute im Publikum das Gesicht. Zweitens sollte man sich in dem Studio, in dem man steht, zu Hause fühlen. Dadurch strahlt man eine gewisse Sicherheit aus, um durch eine Sendung führen zu können. Außerdem sollte man ein bisschen die Technik beherrschen, zwischen einer guten und einer schlechten Interviewfrage liegen Welten. Bei schlechten Fragen ergibt sich ein langweiliger Ja/Ja-Dialog, die man aus dem Verkaufsfernsehen kennt. Eine gute Interviewfrage geht in die Gegenrichtung, als man die Antwort erwartet. Die Zeiten, in denen Frank Elstner 15 vorbereitete Fragen vorliest, ganz egal was das Gegenüber antwortet, sind vorbei.

Sie haben die Allgemeinbildung angesprochen. Ein Moderator kann ja immer mal in eine Situation kommen, in der er etwas nicht weiß. Wie manövriert man sich dort am besten raus?

Da ist die Frage schon falsch. Man manövriert sich nicht heraus. Ein guter Moderator gibt zu, dass er keine Ahnung hat und lacht dabei noch über sich.

Wie hat sich der Beruf des Moderators in den vergangenen Jahren verändert?

Unsere Ansprüche steigen, auch weil es viel mehr Auswahl gibt. Es ist den meisten Zuschauern nicht egal, wie ein Moderator das macht. Zum einen gibt es die positiven Beispiele und zum anderen kann heute jeder 14-Jährige etwas in eine Kamera sagen und das dann bei Youtube hochladen - und teilweise machen die das richtig gut. Dagegen sehen die, die nur etwas ablesen, alt aus.

Ulrich Meyer war vermutlich nicht so lange Moderator von "Akte", weil er das so gut konnte.

Man hat ja bisweilen das Gefühl, dass ein großer Teil der klassischen Moderatoren heute nur noch Texte abliest oder auswendig lernt und dann vorträgt.

Die Angst bei den Sendern ist größer geworden: Ich habe noch keine Show erlebt, bei der nicht der gesamte Moderatorentext gescriptet war. Das liegt auch an den vielen technischen Möglichkeiten, vom Teleprompter bis hin zum Knopf im Ohr. Dadurch wachsen keine neuen Moderatoren heran. Wie sollen die lernen, wie man etwas gut moderiert, wenn ein Redakteur ihnen über den Knopf im Ohr jeden Satz vorflüstert? Die technischen Hilfen führen nicht dazu, dass jemand das lernt, was er eigentlich machen soll: Frei durch eine Sendung zu führen.

Warum machen die Sender das?

Bei den Sendern steigt der Druck natürlich auch immer weiter. Da wird viel Geld in neue Formate investiert und es ist verständlich, dass man da so viele Fehlerquellen wie möglich beseitigen will und doppelte Böden einbaut. Aber für die Fernsehkultur und das Nachwachsen neuer Moderatoren ist das extrem schade.

Welche Tricks und Kniffe bringen Sie den Moderatoren bei, um sich in jeder Situation zu behaupten?

Wir schauen erst einmal, wie der Moderator überhaupt auftreten will. Den meisten nehme ich dann etwas weg, etwa eine unpassende Melodie in der Stimme oder falsche Betonungen. Man muss es den Moderatoren ermöglichen, sich vor der Kamera ganz normal zu verhalten. Das ist schon schwer genug, weil viele Coaches den Moderatoren seltsame Dinge antrainieren, die völlig sinnlos sind. Etwa die Melodie in der Stimme, oder auch immer auf Dinge zu zeigen, von denen gerade gesprochen wird. Im zweiten Schritt trainieren wir Schlagfertigkeit: Was muss ich tun, wenn ich mal nicht sofort weiter weiß? Und zuletzt üben wir ganz konkret an einem bestimmten Format. Und da ist es natürlich immer gut, wenn man so viele Dinge wie möglich über den Inhalt einer Sendung weiß. Bei einer Sendung über Tattoos zum Beispiel wäre es sehr gut, sich einmal in das Thema einzulesen, um sich mit den grundsätzlichen Dingen in diesem Bereich auszukennen.

Die Angst bei den Sendern ist größer geworden: Ich habe noch keine Show erlebt, bei der nicht der gesamte Moderatorentext gescriptet war.

Es gibt ja vergleichsweise viele Menschen, die Moderator werden wollen. Einige vermutlich auch, um berühmt zu werden. Was würden Sie Einsteigern raten?

Das wichtigste ist: Lasst euch nicht von jedem alles sagen. Setzt nur das um, womit ihr euch wohl fühlt. Es gibt viel zu viele überflüssige Tipps, die die meisten nur verunsichern. Und ganz wichtig: Moderator werden um berühmt zu sein ist die falsche Voraussetzung. Ganz grundsätzlich hilft es immer, wenn man schon einmal Veranstaltungen moderiert hat oder mal einen Moderationskurs besucht hat. Der Kurs kann gar nicht so schlecht sein, als das man dort nicht wenigstens ein paar mal vor der Kamera stand und Übungen gemacht hat. Diese Übungen kann man aber auch zu Hause machen.

Sie trainieren nicht nur Moderatoren, sondern auch Führungskräfte für Reden. Was sind die größten Fehler, die diese Menschen am Anfang meist machen?

Der eigene Anspruch der meisten ist zu hoch. Sie wollen perfekt sein und das geht in der Regel nicht. Wichtig ist, dass die eigene Familie den Auftritt gut findet und man sich selbst gerne beim Reden sieht und hört. Das ist gar nicht so schwer. Auch da muss man den meisten CEOs erst einmal den Unsinn wegnehmen, den sie meinen machen zu müssen, weil ihnen das mal irgendwann gesagt wurde. Dann schauen wir uns überwiegend den Inhalt an, also was wollen die Führungskräfte vermitteln? Und können Sie das spannend und mit Begeisterung erzählen? Idealerweise auch noch mit Selbstbewusstsein.

Das heißt, auch das ist überwiegend eine Kopfsache? Man muss sich nur wohl fühlen und schauen, dass man den Inhalt drauf hat?

Die meisten CEOs bedanken sich bei mir, dass sie so viele unnötige Dinge weglassen können. Viele Medientrainer raten ihren Kunden etwa, bei Ansprachen das Rednerpult nicht anzufassen. Dazu braucht man aber ganz schön viel Willenskraft. Nur wieso sollte man das nicht machen dürfen? Der Anspruch an einen CEO ist deutlich geringer als an einen Moderator. Später, wenn er sich so sicher fühlt und den nächsten Schritt gehen will, kann er auch das Pult verlassen und frei reden. Aber erst einmal geht es doch darum, diese Situation zu überleben und sich nicht zu blamieren. Das wichtigste bei Unternehmern ist doch, dass sie ihr Metier verstehen und den Konzern gut lenken.

Menschen, die nur einmal im Jahr sprechen, müssen das mit dem Herzen tun.

Das hört sich so einfach an.

Das ist es auch. Schwierig ist es nur, sich zu überwinden und den Mut aufzubringen, vor einem großen Publikum im Scheinwerferlicht zu sprechen. Das was man dann dort sagt, ist ganz einfach. Von einem CEO erwarte ich, dass er die Geschäfte gut leitet und nicht, dass er ein guter Redner ist. Im Gegenteil: Wenn er ein perfekter Redner wäre, würde ich mich fragen, ob er so viel Zeit hat, um das alles zu proben. Menschen, die nur einmal im Jahr sprechen, müssen das mit dem Herzen tun.

Welche CEOs können denn besonders gut reden? Wer ist ein Paradebeispiel?

Die meisten kommen zu mir und sagen, dass sie so reden und präsentieren wollen wie Steve Jobs früher. Wenn sie dann hören, dass der seine Auftritte 14 Tage lang geprobt hat, haben sie dafür natürlich keine Zeit. Wenn Steve Jobs das gemacht hat, dann steckte da eine unglaubliche Arbeit drin. Sie können eine Rede planen wie ein Theaterstück, nur dann sind 10 oder 14 Tage gar nichts.

Kommen die Führungskräfte eigentlich freiwillig zu Ihnen? Sich da selbst ein Problem einzugestehen und dann auch noch aktiv auf die Suche nach einer Hilfe zu gehen, ist ja manchmal gar nicht so einfach.

Es gibt zwei Gruppen, die deutlich größere wird geschickt. Meist vom Pressesprecher oder von Vertrauten. Das geschieht dann meist bei Beförderungen, wenn der Vorgänger ein guter Rhetoriker war. Oder eben dann, wenn etwas daneben gegangen ist. Die zweite Gruppe merkt selbst, dass sie sich noch verbessern können.  

Herr Rossié, vielen Dank für das Gespräch!