Zuerst einmal vorweg: Das Jahr ist gerade einmal halb um und meine Top-Ten-Liste 2017 ist schon übervoll. Das habe ich auch noch nicht erlebt. Hinzu kommt: Ich habe längst noch nicht alles gesehen, was in die erste Jahreshälfte fällt. Zu den neuen Staffeln von "Veep", "Silicon Valley" und "The Americans" bin ich zum Beispiel noch nicht gekommen, "GLOW" ist gerade erst gestartet, "Twin Peaks" läuft noch, und "The Handmaid's Tale" ist in Deutschland bisher nicht verfügbar. Und was in der zweiten Jahreshälfte kommen wird, ist noch nicht komplett abzusehen - da werden sicher einige Überraschungen lauern.

"American Gods" ist ein Anwärter für die Spitzenposition meiner Jahresliste und wird schwer von dort zu vertreiben sein. Es kribbelt mir seit der ersten Folge in den Fingern, über "American Gods" zu schreiben. Die Serie hat mich von Anfang an beeindruckt. Doch ich habe mich zurückgehalten, weil ich den Tag nicht vor dem Abend beziehungsweise die Staffel nicht vor dem Finale loben wollte. Jetzt ist die Staffel beendet, und ich freue mich, endlich darüber schreiben zu können. Was ich nun komplett ohne Spoiler tun werde. Für mich war tatsächlich jede Episode ein Fest. Mal eine ausschweifende Party in einem Club, wo Alkohol und Schweiß fließen, die Musik laut dröhnt und verrückt getanzt wird. Mal ein Treffen mit Freunden, wo man unter dem Tisch mit den Füßen im Takt der Hintergrundmusik wippt, auf dem Tisch Snacks, Gläser und Flaschen stehen und wo man über dem Tisch spannende Diskussionen führt. Aber immer: ein Fest.

Denn das, was die Crew um die Showrunner Bryan Fuller und Michael Green aus dem gleichnamigen Roman von Neil Gaiman gemacht hat, ist eine visuelle Adaption, wie ich sie mir besser kaum wünschen könnte. Sie hat starke Bilder für Gaimans fantastische Welt geschaffen, in der die alten Götter wie Odin gegen die neuen Götter wie Globalisierung und neue Medien kämpfen. Fuller und Green haben die Geschichte verstanden, sie ergänzt und wo nötig aktualisiert. Eine kraftvolle Erzählung ist so noch mächtiger, beeindruckender, anregender und relevanter (das Thema Einwanderung wurde noch stärker hervorgehoben) geworden. Und obwohl ich das Buch gelesen habe, hat mich jede Sekunde der Serie fasziniert. Beim Gucken der Teile, die ich kannte, war ich begeistert von der visuellen Umsetzung, von der perfekten Besetzung, dem großartigen Schauspiel (allen voran: Ricky Whittle als Shadow und Ian McShane als Mr. Wednesday). Bei den Teilen, die von den Machern dazu erfunden wurden, war ich begeistert, wie gut sie in das große Ganze passen, wie gut sie die Geschichte um weitere Facetten ergänzen.

Teilweise haben sie die Geschichte sogar noch besser gemacht. Wenn ich den Roman jetzt, nach dem Gucken der Serie, lesen würde, würden mir diese Facetten fehlen. Die Figur Laura Moon (Emily Browning - wunderbar!) zum Beispiel ist im Buch nur ein Schatten dessen, was sie in der Serie ist. Fuller und Green haben aus diesem Holzschnitt im Roman eine spannende Figur mit einer eigenen Handlung geformt und dem Publikum damit nicht nur einen weiteren tollen Charakter beschert, sondern auch Dialoge, die vor Witz und Schlagfertigkeit sprühen. Großartige Szenen wie der Roadtrip von Laura und Mad Sweeney (Pablo Schreiber - herrlich!) oder der Besuch bei Vulcan (Corbin Bernsen) sind so entstanden, die ich nicht mehr missen möchte. 

Gleichzeitig haben sie sich getraut, Szenen eins zu eins aus dem Buch zu übernehmen. Obwohl das in manchen Fällen das Risiko in sich trug, Roman-unkundige Zuschauer und Zuschauerinnen zu verwirren. Die Pilotfolge startet mit einer fragmentarischen Geschichte, die ohne den Hintergrund zu kennen, wenig Sinn ergibt. Doch sie ist visuell so stark erzählt, dass ich denke, dass sie auch jene im Publikum neugierig gemacht hat, die das Buch nicht kennen. Dass sich bei einer Produktion wie "American Gods" in die erste Folge Zuschauer verirren, die nicht wissen, dass sie sich auf herausforderndes Storytelling einlassen müssen, ist ohnehin unwahrscheinlich: Wer die Serie in den USA auf dem Kabelsender Starz einschaltet oder in Deutschland bei Amazon Prime auswählt, macht das vermutlich nicht zufällig, sondern hat ein bisschen über den Hintergrund gehört oder kennt Bryan Fullers (Serien wie "Pushing Daisies" oder "Hannibal") oder Neil Gaimans (Bücher wie die "Sandman"-Graphic-Novels, "Caroline" oder "Good Omens") Werk. Und an der Umsetzung der ersten Folge wird sichtbar, dass Fuller und Green von einem wagemutigen Publikum ausgegangen sind.

Die erste Staffel hat die Grundlage gelegt: Das Publikum wurde in eine neue Welt entführt, die Protagonisten und Antagonisten wurden erklärt - oftmals inklusive Backstory, Geschichten und Entwicklungen wurden angelegt, Allianzen unter den Figuren geschmiedet. Und das Staffelfinale hat einen kleinen Einblick gegeben, was noch kommen kann. Spannend wird nun, wie mit dem, was in der ersten Staffel angelegt wurde, in der zweiten Staffel verfahren wird. Werden die vielen Charakter, die eingeführt wurden, zu einer Handlung verknüpft oder bleiben viele von ihnen Sidekicks, die die Geschichte anreichern, aber nicht vorantreiben? Verliert die visuelle Umsetzung an Kraft, weil wir das nun aus der ersten Staffel schon kennen? Oder wird sie weiterhin so gekonnt und überraschend eingesetzt? Und wird Neil Gaiman endlich mal die Zeit finden, für eine Episode selbst das Drehbuch zu schreiben - was ja bereits für Staffel 1 angekündigt war? Fragen über Fragen. Ich freue mich schon, nächstes Jahr darauf Antworten zu bekommen.

Und zum Schluss noch ein paar Gucktipps: 

Eine Serie über weibliche Wrestler in den 80er-Jahren. Wer will denn sowas sehen? Ich! Aber sowas von. Denn hinter "GLOW" steckt Jenji Kohan (von ihr stammt "Orange Is The New Black"), und Alison Brie (bekannt aus "Mad Men" oder "Community") spielt die Hauptrolle. Die erste Staffel ist seit 23. Juni bei Netflix verfügbar. 

Das Historien-Drama in malerischen Wales geht in die zweite Runde: Die zweite Staffel von "Poldark" läuft ab 27. Juni bei Sony Channel. Wer mehr über die Serie wissen will - ich habe im vergangenen Jahr für DWDL.de eine Rezension geschrieben. 

Jetzt zum wirklich Wichtigen: Wo kann man das gucken, über das ich schreibe?

"American Gods": Nur bei Amazon Video (Prime).

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