Welche Rolle spielt eigentlich das Gesicht des Schauspielers oder der Schauspielerin dabei, ob das Publikum eine Serie gut findet oder nicht? Was Mimik, Gestik und Dialog angeht - also das Schauspielern an sich -, ist die Frage leicht zu beantworten: eine sehr große. Aber welche Rolle spielt es eigentlich, ob das Gesicht bereits bekannt ist oder nicht? 

Damit das Publikum auf eine bestimmte Serie aufmerksam wird, ist es oft hilfreich, wenn das Gesicht sehr bekannt ist. So hat die HBO-Serie "Big Little Lies" vorab deswegen so viel Aufmerksamkeit bekommen, weil sich hier ein bekannter Name zum anderen gesellt hat: Nicole Kidman, Reese Witherspoon und Shailene Woodley, um nur die berühmtesten zu nennen. Und wenn Benedict Cumberbatch nach "Sherlock" in einer neuen Serie mitspielen würde, wäre sein Name der Garant dafür, dass sehr viele Leute mindestens die erste Folge gucken (ich natürlich auch). 

Doch ein bekanntes Gesicht kann auch ablenkend sein. Seit "Sherlock" brauche ich bei jedem Film oder jeder Serie mit Cumberbatch etwas Zeit, um in der neuen Figur, die er verkörpert, anzukommen. Selbst wenn er, wie in "Parade’s End", ganz anders aussieht. Glücklicherweise ist Cumberbatch ein ausgezeichneter Schauspieler, so dass es in der Regel nicht lange dauert, bis ich Sherlock vergessen und die neue Figur aufgesogen habe. 

Und im Fall von Kidman, Witherspoon und Woodley: Alle drei habe ich bereits in sehr unterschiedlichen Filmen gesehen, so dass - anders als bei Cumberbatch und Sherlock - keine bestimmte Figur festhängt, gegen die sie anspielen müssen. Was allerdings bei "Big Little Lies" dazu geführt hat, dass ich bei den ersten Szenen an die echten Personen hinter den Figuren denken musste, da sie ja nun - besonders Witherspoon und Kidman - seit Jahren immer wieder öffentlich auftreten und über sie berichtet wird. Und damit meine ich gar nicht unbedingt die Klatschpresse, sondern auch Auftritte wie solche bei Jimmy Kimmel. Also auch hier: Der hohe Bekanntheitsgrad der Schauspielerinnen hält mich davon ab, mich von der ersten Sekunde an auf die Figur einzulassen. 

Bisher war mir das Phänomen zwar bekannt, aber ich hatte mir keine Gedanken darüber gemacht. Oh, das stimmt nicht ganz, ich hatte mir Gedanken darüber gemacht, aber die gingen eher in die Richtung: "Naja, so ist das halt, sind eben gut beschäftigte, großartige Schauspieler. Je mehr Serien ich gucke, desto mehr Schauspielergesichter kenne ich schließlich." Es ist also mittlerweile nur schwer zu vermeiden, dass ich bei einer Serie nicht schon mehrere Gesichter in anderen Rollen gesehen habe. Welche Effekt es allerdings haben kann, wenn man die Gesichter gar nicht kennt, habe ich erst jetzt bewusst festgestellt: als ich endlich die dänische Serie "Borgen" gesehen habe. Denn in der ersten Folge kannte ich nicht ein einziges Gesicht. Und es war herrlich. (Ich weiß, theoretisch hätten mir zwei Gesichter bekannt vorkommen müssen: das der weiblichen Hauptdarstellerin, Sidse Babett Knudsen, und das des männlichen Hauptdarstellers, Pilou Asbæk. Sie hat in der ersten Staffel von "Westworld" mitgespielt, er in der sechsten und siebten Staffel von "Game of Thrones". Aber das habe ich erst nach dem Gucken der dritten Folge festgestellt.)

Dass "Borgen" eine ganz fantastische Serie ist (die ich viel zu lange links liegengelassen habe), hat natürlich nicht nur den Grund, dass mir unbekannte Schauspieler mitspielen - und an anderer Stelle werde ich mich bald auch noch ausführlich dieser Serie widmen. Doch ich habe mich  ganz selbstverständlich von der ersten Sekunde an auf die Figuren einlassen können, was mir nur noch bei sehr wenigen Serien gelingt. Durch die seltene Kombination von hoher Schauspielkunst und unbekannten Gesichtern haben mich die Figuren und ihre Geschichten gepackt, ohne dass ich ablenkende Gedanken hatte. 

Natürlich gibt es gute Gründe, bekannte Gesichter zu casten: Können und Publicity. Und der Blick auf die IMDb-Liste von Sidse Babett Knudsen zeigt, dass sie dem dänischen Publikum mit Sicherheit bekannt war, als "Borgen" dort 2010 anlief. Dennoch: Es wäre schön, wenn beim Casting auch öfter mal das unbekannte Gesicht, das vielleicht bisher vorrangig auf Theaterbühnen zu sehen war, bevorzugt wird. Das tut Serien manchmal gut.

Und zum Schluss noch ein paar Gucktipps: 

Ein Pferd, das spricht, ein Alkoholproblem hat und seinem früheren Ruhm nachtrauert - darum geht es in "BoJack Horseman". Hört sich verrückt an, ist aber tatsächlich große Serienkunst. Die vierte Staffel ist seit Freitag bei Netflix verfügbar. Wer die Animationsserie noch gar nicht kennt, sollte das schleunigst nachholen.

Moritz Bleibtreu und Ferdinand von Schirach, das spricht eigentlich für sich. Erster spielt die Hauptrolle in "Schuld", zweiter hat die Buchvorlage geschrieben - Kurzgeschichten über Kriminalfälle, die oft Fragen nach Recht und Moral aufwerfen. Die zweite Staffel der Serie startet am 15. September beim ZDF, alle vier Folgen sind ab 15. September in der Mediathek verfügbar.

Jetzt zum wirklich Wichtigen: Wo kann man das gucken, über das ich schreibe?

"Big Little Lies": Wird ab 1. Oktober auf Sky Atlantic HD wiederholt. Ist unter anderem bei dem Streaminganbietern Amazon Video, iTunes und Maxdome verfügbar.

"Sherlock": Alle vier Staffeln gibt's zum Beispiel bei Amazon Video, iTunes, Maxdome oder Netflix. Und auf DVD.

"Borgen - Gefährliche Seilschaften": Derzeit leider nur auf DVD verfügbar.

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