Anfang der Woche hat Hanna Jung alias ha.nnanananana auf Instagram ein Foto von gebrauchten Taschentüchern, Nasenspray und Tabletten gepostet, versehen mit dem Kommentar "Erste Sonne des Jahres => Erste Erkältung des Jahres". Für diese Jahreszeit ein ganz gewöhnliches Posting. Für das, was alles hinter der Instagram-Nutzerin Hanna Jung steckt, allerdings alles andere als gewöhnlich: Hanna Jung ist die Hauptfigur der neuen funk-Serie "Druck". Und als diese hat sie einen Instagram-Account. Ich habe das Posting Anfang der Woche registriert, mir aber nichts dabei gedacht. Oder eher, doch etwas dabei gedacht, nämlich: "Aha, die Figuren sollen also auch mal eine Erkältung haben. Hm." Also: Nichts Besonderes dabei gedacht.

Als ich dann am Freitag das tun will, was ich seit drei Wochen freitags mache, und worauf ich mich mittlerweile auch schon freue - nämlich die neue Folge von "Druck" gucken -, werde ich stutzig: Es gibt nichts Neues von "Druck". Auch keine Clips aus den vergangenen Tagen, nur einen Chat über Erkältungen. Ich schaue bei Hanna auf Instagram vorbei, wo außer einem weiteren Erkältungsposting nichts zu finden ist, suche nach einer offiziellen Erklärung - und da wird es mir klar: Es wird keine Folge geben heute. Denn Hanna ist krank. Was, genau betrachtet, ziemlich absurd und für jede andere Serie undenkbar ist: Die Hauptfigur ist krank, also gibt es keine neue Episode. Ein schönes Beispiel dafür, wie in diesem Serienexperiment die Grenzen zwischen Realität und Fiktion verschwimmen. 

Screenshot © Screenshot DWDL

Der neueste Eintrag auf der "Druck"-Website am Freitag: das Chatprotokoll zwischen Hanna und ihren Freundinnen.

Denn "Druck" ist keine gewöhnliche Serie fürs junge Publikum, sondern ein Experiment. Wenn auch nicht das erste seiner Art, damit angefangen hat der norwegische Sender NRK mit der Serie "Skam". In Norwegen war die Serie ein großer Erfolg und sorgte international für Aufsehen. Und "Druck" ist nun die deutsche Version davon, gleichzeitig entstehen auch in anderen europäischen Ländern Adaptionen. Die Idee: eine ganz neue Art des serielle Erzählens auszuprobieren. Das Publikum soll die Möglichkeit haben, die Geschichte der Figuren (eine Gruppe von Oberstufenschülerinnen und -schülern) die ganze Woche über zu verfolgen und so den Entwicklungen ganz nah zu sein - per Clips und Posting in diversen Social-Media-Kanälen. Freitags gibt's dann ganz konventionell eine knapp 20-minütige Folge als Zusammenfassung der Ereignisse. Carolin Ströbele hat es bei "Zeit Online" treffend formuliert: "Skam" war damit "das Gegenteil einer epischen, endlosen Erzählung, wie sie das 'Goldene Zeitalter' der Serien hervorbrachte und die bei vielen Zuschauerinnen und Zuschauern inzwischen zu einem gewissen Ermüdungsbruch geführt hat. 'Skam' war kein langer, ruhiger Fluss, sondern ein hingeworfener Haufen von Mosaiksteinchen, aus denen sich erst im Laufe der Wochen und Monate ein Bild zusammensetzt."

Von der Zielgruppe 14 bis 20 Jahre bin ich weit entfernt - ich selbst bin zu alt, meine Tochter ist noch zu jung. Daher hatte ich mich schon beim Bekanntwerden der Pläne für eine deutsche Adaption gefragt, ob ich - um es mit Roger Murtaugh zu sagen - nicht einfach zu alt wäre für diesen Scheiß. (Und alle, die diese Anspielung nicht verstehen, sind einfach zu jung dafür. ;-)) Beim Schauen der ersten Folge dann: Skepsis. Denn der Beginn ist mir zu sperrig und zu klischeehaft, weil eine Jungenstimme darüber philosophiert, wie politisch die junge Generation ist. Vielleicht als eine Art Überbau gedacht, der für mich allerdings völlig überflüssig ist. Doch sobald es um die Figuren und die Handlung geht, weicht die Skepsis, und ich bin drin, denn: im Mittelpunkt steht die 16-jährige Hanna, die zwar einen Freund hat, aber gerade von ihrer besten Freundin verlassen wurde. Wo gehöre ich hin? Wer will ich sein? Mag mich überhaupt irgendjemand? Existenzielle Themen, die die Teenager-Zeit früher bestimmt haben und heute noch immer bestimmen. Und hier sind sie klug beobachtet umgesetzt. Alexander Lindh, der das Drehbuch geschrieben hat (das sich stark an der norwegischen Vorlage orientiert), gelingt es, in kurzen Andeutungen, Blicken, Gesten die wahren Dramen des jungen Daseins zu vermittlen, in den kurzen Folgen mit Hanna einen Charakter zu erschaffen, der mir so bekannt und nah vorkommt, dass es mich verblüfft. Natürlich kleidete ich mich anders, als ich 16 war. Die Musik, die bei uns damals auf Partys lief, hörte sich völlig anders an. Diskutiert wurde nicht über Willkommensklassen, Flüchtlinge und Kopftuch, sondern über den Zweiten Golfkrieg, gegen den wir damals auf die Straße gegangen sind. Smartphones hatten wir auch nicht. Und doch finde ich viel von mir wieder in dieser Hanna. Überraschend viel.

Was ist nun eigentlich mit Hanna? Ist nur die Figur krank oder doch die Schauspielerin Lilly Dreesen? Oder, anders gefragt: Ist das hier eine inszenierte Pause oder ein tatsächlicher Ausfall wegen Krankheit? Alles geplant, versichert Milena Seyberth, zuständige Redakteurin beim ZDF, am Telefon. Und sie erklärt, dass man hier das Konzept der "Black Week" ausprobiere, mit der die norwegischen Kollegen gute Erfahrung gemacht hätten. Also, dass man den Clip-Nachschub in der einen Woche verknappt, um so größere Vorfreude und Erwartungen auf die folgende Woche zu schüren. Ob das bei "Druck"-Fans tatsächlich funktioniert, kann ich natürlich nicht beurteilen. Aber ich persönlich freue mich darauf, die genesene Hanna nächsten Freitag wieder zu sehen. Und vielleicht schaue ich vorher nochmal bei ihr auf Instagram vorbei.  

Die Freitagsfolgen von "Druck" gibt's bei YouTube und funk. Auf der "Druck"-Website finden sich auch die Clips, Chats und Postings, die über die Woche verteilt auf unterschiedlichen Plattformen veröffentlicht werden.