2005 ist eine Serie neu gestartet, in der eine Frau nach dem Tod ihres Mannes befürchtet, den Lebensstandard der Familie nicht mehr finanzieren zu können, weshalb sie anfängt, Marihuana zu verkaufen, was der Beginn ihrer erfolgreichen Karriere im Drogen-Business ist. Als Comedy erzählt. "Weeds".

2008 ist eine Serie angelaufen, in der ein Mann erfährt, dass er todkrank ist, weshalb er ins Geschäft mit Meth einsteigt, damit seine Familie auch nach seinem Tod ausreichend versorgt ist. Er steigt zu einem mächtigen Drogenbaron auf. Als Drama erzählt. "Breaking Bad".

2018 ist eine Serie angelaufen, in der drei Frauen aus unterschiedlichen Gründen um die finanzielle Existenz ihrer Familien bangen müssen, weshalb sie sich zusammenschließen und einen Supermarkt überfallen, was der Beginn einer ungewöhnlichen kriminellen Laufbahn ist. Als Comedy erzählt. "Good Girls".

Ich könnte hier jetzt Hunderte Beispiele dafür nennen, dass es leider noch immer große Unterschiede zwischen Männerfiguren und Frauenfiguren in Serien gibt, habe aber diese drei gewählt, weil sie so ähnlich sind. Und doch sind sie in entscheidenden Punkten anders: Die Geschichten in "Weeds" und "Good Girls" sind unterhaltsam, auch mal dramatisch, aber durchgehend amüsant im Tonfall. Die weiblichen Hauptfiguren sind vor allem: sympathisch. Klar, sie haben auch negative Charakterzüge. Aber nichts, was sie zu widerlichen Figuren machen würde. Es ist erstaunlich, wie die Drehbuchautoren und -autorinnen um Jenji Kohan es acht Staffeln lang schaffen, die "Weeds"-Hauptfigur Nancy Botwin grundsätzlich sympathisch wirken zu lassen - trotz der haarsträubenden Dinge, die sie ihrer Familie und ihrer Umwelt antut. Walter White in "Breaking Bad" dagegen wird, nachdem er mit einer gewissen Sympathie und mit einer Geschichte, die auf das Mitgefühl des Publikums aufbaut, eingeführt wurde, mit jeder Folge rücksichtsloser, widerlicher, selbstzerstörerischer. Clever geschrieben und immer nur schrittweise, um das Publikum nicht gegen ihn aufzubringen. Aber wer nach dem Gucken der Serie etwas Abstand nimmt und sich überlegt, welche Entwicklung Walter White da eigentlich gemacht hat, kann sich zu Recht fragen: "Und mit diesem Kotzbrocken habe ich mitgefiebert?!?"

2012 ist eine Serie angelaufen, in der eine Frau, die Vizepräsidentin der USA ist, durch den politischen Alltag stolpert, kaum ein Fettnäpfchen auslassend, von inkompenten Mitarbeitern beraten. Als Comedy erzählt. "Veep".

2013 ist eine Serie angelaufen, in der ein Mann, der als Abgeordneter im amerikanischen Kongress sitzt, viele, viele Intrigen spinnt und selbst vor Verbrechen nicht zurückschreckt, um Präsident werden zu können. Als Drama erzählt. "House of Cards".

2014 ist eine Serie angelaufen, in der eine Frau, die viele Jahre bei der CIA gearbeitet hat, überraschend zur Außenministerin der USA wird. Sie löscht pro Staffel mehrere Krisenherde, sichert den Frieden auf der Welt und setzt sich gleichzeitig gegen Intrigen in Washington zur Wehr. Als Drama erzählt. "Madam Secretary".

Es sind dieselben entscheidenden Punkte wie bei den ersten drei Beispielen: Das Geschlecht der Hauptfigur zeigt an, ob sie sympathisch bzw. lustig ist oder ein Kotzbrocken sein darf. Selina Meyer, die Hauptfigur in "Veep", ist ein rücksichtsloses Arschloch - aber die Serie macht sich über sie lustig. Elizabeth McCord in "Madam Secretary" ist sympathisch, kämpft für das Gute - aber sie darf nur ganz wenige negative Züge haben, Machthunger zum Beispiel wird ihr abgesprochen. Frank Underwood in "House of Cards" dagegen ist durch und durch ein schlechter Mensch, machthungrig, rücksichtslos, widerlich - aber die Serie nimmt ihn ernst und erzählt die dramatische Geschichte seines Aufstiegs in einem Umfeld, in der die Sympathischen die Schwächeren sind. Anders als bei "Breaking Bad" wird hier keine mitleidheischende Ausgangssituation geschaffen, die das Publikum für die Figur öffnet. Er ist von Folge 1 an unsympathisch, doch wird er das im Laufe der Staffeln immer mehr. Hier fiebert man von Anfang an wissentlich mit einem Kotzbrocken mit, der kleinere Kotzbrocken austrickst.

So gerne ich alle sechs aufgeführten Beispiele gucke und so sehr ich mich darüber freue, welch unterschiedliche Figuren, Geschichten und Erzählweisen mittlerweile im Genre Serie ihren Platz gefunden haben: Was mir noch immer fehlt - und was ich bei den vielen Serien, die ich schaue und geschaut habe, bisher nie gefunden habe - ist ein weiblicher Kotzbrocken in einer Drama-Serie. Als Hauptfigur - nicht als Nebenfigur versteckt, damit sie auf keinen Fall Zuschauer und Zuschauerinnen verschreckt. Ich will die gutgeschriebene Geschichte einer Frau sehen, wie sie eine echte Anti-Heldin ist. Und zwar durch und durch - nicht eine grundsätzlich sympathische Figur, die hin und wieder schlimme, aber verständliche Dinge tut, womit sich ihr moralischer Kompass verschiebt wie bei Alicia Florrick in "The Good Wife". Und nicht entschuldigt durch schlimme Erfahrungen in der Kindheit oder einer anderen traumatisierenden Backstory, die nach kurzer Zeit immer eingeschoben wird, damit die Frauenfigur beim Publikum Sympathiepunkte gewinnen kann. Ich will eine echte Anti-Heldin, die ich fasziniert und angewidert zugleich beobachten kann, wie sie ihren Weg macht. Die eine komplexe Figur ist, gerne auch mit schlimmen Erfahrungen - aber ohne, dass die als Entschuldigung dienen. Und nein, ich will auf keinen Fall lachen dabei!

Es ist höchste Zeit. Der Typus "männlicher Anti-Held" ist in seinen unterschiedlichen Facetten fast auserzählt, braucht nach den vielen Jahren von Tony Soprano über Dexter Morgan, Don Draper und Walter White bis Frank Underwood eine Pause. Die Zeit ist reif für den neuen Typus: die weibliche Anti-Heldin. Ganz neue Geschichten, die man mit ihr erzählen kann, Entwicklungswege, die man gehen kann, Figuren, die man erkunden kann. Ich kann es kaum abwarten, eine solche Hauptfigur kennenzulernen. Und entsprechend groß ist meine Vorfreude auf Staffel 6 von "House of Cards", in der Claire Underwood eine solche Figur werden könnte - auch wenn die Serie damit zu Ende ist und es äußere Umstände waren, die zu dieser Figur gemacht haben. 

"Weeds" ist zum Beispiel bei Amazon (Prime) oder Netflix verfügbar.

"Breaking Bad" ist zum Beispiel bei iTunes oder Netflix verfügbar.

"Good Girls" ist nur bei Netflix verfügbar. 

"Veep" ist zum Beispiel bei Amazon oder iTunes verfügbar.

"House of Cards" ist zum Beispiel bei Netflix oder den Sky-Streamingdiensten verfügbar. 

"Madam Secretary" ist zum Beispiel bei iTunes oder den Sky-Streamingdiensten verfügbar.