"Ich heirate eine Familie", hach! Wenn ich an diese Serie denke, habe ich ein warmes, aber melancholiches Gefühl. Es ist Jahrzehnte her, dass ich sie gesehen habe, und ich habe noch genau vor Augen, wie ich damals im Wohnzimmer meiner Eltern saß, um das Leben von Werner, Angi, Tanja, Markus und Tom zu verfolgen. Ich habe noch Bilder aus der Serie im Kopf, die vermutlich immer da bleiben werden: Wie Werner im Keller in seinem Büro am Zeichentisch sitzt und arbeitet (von Beruf Werbegrafiker). Wie die hochschwangere Angi in der Küche sitzt und weint, weil sie denkt, dass Werner sie betrügt (Natürlich nicht! Sowas würde Werner nie machen!). Wie Tom sein Meerschweinchen in der Hand hat (den Namen des Meerschweinchens habe ich leider vergessen). Wie Werner und Angelika sich oder je eins der Kinder liebevoll anschauen. Wie Tanja heulend auf dem Bett liegt, weil der hübsche Franzose mit ihr Schluss gemacht hat und wie Angi auf der Bettkante sitzt, um sie zu trösten (auch den Namen des hübschen Franzosen habe ich leider vergessen). Ich könnte jetzt noch viele weitere Szene und Bilder nennen, die mir zu dieser Serie einfallen. Und alle hätten eins gemeinsam: Sie sind unspektakulär. 

Warum ich über diese ZDF-Serie aus den 80ern schreibe, obwohl es hier doch eigentlich um die neue Vox-Serie "Das Wichtigste im Leben" gehen soll? Weil mich die neue Serie immer wieder an die alte zurückdenken lässt. Im Mittelpunkt stehen Vater Kurt, Mutter Sandra und drei Kinder, die gemeinsam in einem Einfamilienhaus in Bonn leben. Die Fankhausers sind eine sympathische, unspektakuläre Familie, genau wie Stiefvater Werner, Mutter Angi und die drei Kinder damals (na, ich habe tatsächlich den Nachnamen der Patchwork-Familie vergessen). Sie lieben sich, sie streiten sich, sie halten zusammen. Und im Alltag passieren viele kleine Dinge und auch einige große Dinge. Sowohl die kleinen Dinge als auch die großen Dinge fühlen sich beim Zuschauen seltsam vertraut an - allerdings nicht, weil man das alles so schon tausend Mal in anderen Serien gesehen hat. Sondern weil man sie so oder ähnlich aus dem eigenen Leben oder aus Erzählungen von Freunden oder Bekannten kennt.

"Das Wichtigste im Leben" ist ein Fluss, der zwar kleinere Wirbel und kleinere Stromschnellen hat, in dem das Wasser aber eigentlich ruhig und unaufhaltsam in eine bestimmte Richtung fließt. Genau wie das echte Leben eben auch. Klar macht es Spaß, großes Drama mit großen Gefühlen zu sehen, klar ist es toll, am Fernseher zu kleben, weil man die Anspannung eines guten Thrillers fast nicht mehr aushält. Aber mir tut es mindestens genauso gut, dieser Familie bei ihrem Leben zuzuschauen, in dem ich viel von meinem Leben wiederfinde. Die Serie strahlt eine Wärme, Geborgenheit und Wertschätzung aus, die nicht übertrieben wirkt, sondern der Wärme und Geborgenheit entspricht, die ich in meinem Leben erfahre, erfahren habe und wie ich sie auch bei vielen anderen Menschen in meinem Umfeld sehe. Die Fankhausers sind voneinander genervt, natürlich. Und ja, sie streiten miteinander. Aber selbst dann merke ich als Zuschauerin, dass das Fundament, die Liebe, die diese Familie verbindet, nicht erschüttert wird. Diese Beziehungen sind stabil, die halten einiges aus. 

Die Serie so zu entwickeln und umzusetzen, dass in jeder Szene, in Wort und Bild diese Gefühle mitschwingen, ohne dass sie zu aufdringlich oder künstlich wirken, ist eine Kunst. Und dass das hier gelungen ist, zeigt in meinen Augen, dass der Serienschöpfer Richard Kropf eine Vision hatte, die er konsequent umsetzen konnte. Weil er entsprechende Unterstützung hatte und - was mindestens genauso wichtig ist - weil er sie allen Beteiligten gut kommunizieren konnte. Eine unspektaktuläre Serie voranzubringen, ohne dass man irgendwann doch etwas vordergründig Großes einbauen muss, stelle ich mir in der heutigen Serienlandschaft schwierig vor. Denn unsere Serienlandschaft ist mittlerweilie so voller guter Serien, dass man etwas Herausragendes braucht, um aufzufallen. Leider wird aber oft unterschätzt, dass das, was herausragend ist, nicht immer gleichbedeutend mit einem großen Knall oder einer möglichst schwer zu durchschauenden Geschichte sein muss. Es kann auch herausragend sein, wenn man Alltag zeigt. Alltag, der mal lustig, mal ernst, mal anstrengend, mal einfach, mal laut, mal leise ist. So ist das Leben nun mal.

Was man außerdem nicht vergessen sollte - und das ist der Grund, warum ich oben "vordergründig Großes" geschrieben habe: Selbst bei kleinen Dingen kann die Fallhöhe so hoch sein, dass das Publikum gespannt ist und mitgeht. Auch wenn es nicht um die Rettung der Erde geht, sondern nur um den nach Ansicht des Ordnungsamts zu niedrigen Spuckschutz im Café, dessen Eröffnung am nächsten Tag geplant ist. Die Fallhöhe entsteht dann, wenn vorher genug Zeit in den Aufbau der Figur gesteckt wurde, wenn ich als Zuschauerin weiß und mitfühlen kann, wieviel für die Figur auf dem Spiel steht.

Bei "Das Wichtigste im Leben" kann ich als Frau Anfang 40 überraschenderweise bei allen Hauptfiguren mitfühlen, wenn auch unterschiedlich stark. Und das schon seit Folge 2 oder 3. Klar, das Andocken an Mutter Sandra fiel mir am leichtesten - sie ist Anfang 40, genau wie ich, Mutter genau wie ich. Manchmal tickt sie tatsächlich genau wie ich, manchmal ganz anders. Und ihre inneren Konflikte, weil sie nach 16 Jahren als Hausfrau endlich wieder einen Job haben will, aber nicht sicher ist, ob sie das ihren Kindern zumuten kann, kann ich nachfühlen, obwohl ich nur ein Kind habe und nur für wenige Monate nicht gearbeitet habe. Und dass ich mich mit Luna schnell identifizieren kann, wundert mich auch nicht: kluges Außenseiter-Mädchen mit großer Klappe in Pubertätswallungen. Habe ich alles so oder so ähnlich durchgemacht. Auch bei Teenager Philipp fiel mir das Identifizieren leicht, allseits bekannte Pubertätszeit eben, in der man auf der Suche ist und es viel Mut erfordert, mit etwas ganz Neuem anzufangen. In Nesthäkchen Theo finde ich viel von meinem Töchterchen wieder, das etwa im selben Alter ist. Hier funktioniert das Andocken also eher über Konflikte und Situationen, die ich aus meinem Alltag kenne. Selbst bei Vater Kurt habe ich Anknüpfungspunkte für mich selbst gefunden, allerdings ist er noch am wenigsten greifbar für mich.

Das bedeutet: In den ersten zwei oder drei Folgen wurden allen Hauptfiguren eigene Handlungsstränge und auch ausreichend Raum geben. Was es wiederum mir möglich gemacht hat, in kurzer Zeit Beziehungen zu den Figuren aufzubauen. Nach mittlerweile sechs Folgen bin ich nun ein Teil der Familie, ob ich will oder nicht. Und jetzt muss ich kurz kryptisch werden: Ja, das Ereignis am Ende von Episode 6 hat auch mir wehgetan. Ich konnte zwar vorhersehen, dass das passieren würde. Aber da die Serie ja nicht darauf baut, mit Ereignissen zu schocken, sondern es um alles danach geht: die sofortigen Reaktionen, die Gefühle und die späteren Folgen, war das für mich kein Problem. (Obwohl man es für meinen Geschmack noch ein bisschen weniger offensichtlich hätte einfliegen können - aber das ist wirklich das Einzige, das ich bisher an der Serie auszusetzen habe.)

Und vielleicht bleiben auch von "Das Wichtigste im Leben" Szenen und Bilder in meinem Kopf, die mich Jahre später noch mit diesem warmen, aber melancholischen Gefühl erfüllen. Ob das passieren kann, wird sich in den nächsten vier Folgen bis zum Ende der Staffel zeigen. 

"Das Wichtigste im Leben" läuft mittwochs in Doppelfolgen auf Vox, die Folgen 7 bis 10 stehen noch aus. Die bereits gesendeten Episoden gibt's bei TV Now zum Nachholen. 

Ein Tipp zum Weiterhören: Richard Kropf, Serienschöpfer, Drehbuchautor und Creative Producer von "Das Wichtigste im Leben", war im Podcast "Serienreif" von Jens Mayer zu Gast. Es geht zwar auch um andere Serien, die er geschrieben hat, hauptsächlich dreht sich das ausführliche Gespräch aber um "Das Wichtigste im Leben".