Anfangs hatte ich den Eindruck, als habe man bei Netflix die Zahl 13 besonders gern: Die "Orange Is The New Black"-Staffeln haben 13 Folgen, die "House Of Cards"-Staffeln - mit Ausnahme der letzten - ebenfalls. Und wenn man sich weiter durchklickt durch die Folgenzahlen der Eigenproduktionen der ersten Jahren, finde ich es auffällig, wie viele Staffeln aus 13 Episoden bestehen - bis auf wenige Ausnahmen wie "BoJack Horseman" (12), "Master of None" (10) oder die norwegische Ko-Produktion "Lilyhammer" (8). In den ersten Staffeln hat sich das oft noch nicht bemerkbar gemacht, aber später habe ich das leider immer wieder gespürt: Die Staffeln hatten Längen, besonders auffällig war das bei den Marvel-Serien, fand ich. Und ich hatte das Gefühl: Nicht die Geschichte bestimmte die Zahl der Folgen, sondern andersherum. Für mich als Zuschauerin ist das unverständlich. Warum sollte ein Streamingdienst, frei von Programmzwängen wie sie besonders US-Sender haben, sich einem Folgenzwang unterwerfen, der einer Serie nicht zuträglich ist? Vor allen Dingen ein Streamingdienst, der das Serienerlebnis fürs Publikum revolutionieren wollte?

Ich kann verstehen, dass man sich bei Beauftragung natürlich noch nicht sicher sein kann, wieviele Folgen die jeweilige Geschichte braucht. Und ja, ich weiß, dass es vertragliche Produktionszwänge geben kann. Aber mir als Zuschauerin, die eine Serie schaut und sich über Längen ärgert, ist das egal. Und dass von vornherein alle Serien über einen Kamm geschert und immer 13 Folgen beauftragt werden, kann es ja auch nicht sein. Wenn die absolute Flexibilität nicht möglich ist, hätte man doch mit Abstufungen arbeiten können. (Und wer sich jetzt fragt, wie das wohl bei Amazon aussieht: Ich habe gerade mal nachgeschaut, anfangs waren es hier bei den Eigenproduktionen vor allem zehnteilige Staffeln.)

Die von mir erhoffte Freiheit äußerte sich dann anders: in der Folgenlänge. Ganz vorsichtig allerdings. Und auch nicht unbedingt so, wie ich mir das gewünscht hätte. Hier wurde nicht mit Kürze gespielt, sondern mit Länge. In manchen Fällen hat mir das gefallen - dass "Master of None" aus dem Eine-US-Comedy-darf-höchstens-30-Minuten-Folgen-haben-Korsett ausgebrochen ist und eine Episode auch mal 57 Minuten lang sein durfte, war toll. Weil die Geschichte das tragen konnte. Hier spürte ich die Freude am Ausprobieren, die Freude am Spiel, die Freude am Erzählen, die ich mir für viele andere Eigenproduktionen von Streaminganbietern gewünscht hätte. Denn was, wenn nicht die Geschichte sollte die Länge einer Episode bestimmen? Doch leider hat diese Freiheit auch andersherum dazu geführt, dass Geschichten zu ausführlich erzählt wurden, sich die Folgen zu lang anfühlten. Klar, wenn man als Autorin oder Autor plötzlich nicht mehr die "das muss genau xy Minuten lang sein"-Schere im Kopf haben muss, ist das sicher ein befreiendes Gefühl. Aber wenn das Wegfallen dieser Schere dazu führt, dass man das Bemühen um Prägnanz und Kürze schleifen lässt, finde ich das schade. 

Außerdem: Wer sagt denn, dass die Folgen einer Comedyserie heute noch immer zwischen 22 und 30 Minuten lang sein müssen, die einer Dramaserie zwischen 42 und 60 Minuten? Das sind Konventionen, die aus den Zeiten stammen, als Serien fürs lineare Programm entwickelt und dort gesendet wurden. In den vergangenen Monaten ist mir eine Veränderung aufgefallen: Es wird mehr ausprobiert. Was mich erfreut und in manchen Fällen sogar begeistert. Erstes Beispiel: "Homecoming" ist eine Thriller-Serie, deren Folgen zwischen 24 und 37 Minuten lang sind. Und trotzdem gelingt es den Schöpfern und Autoren Eli Horowitz und Micah Bloomberg und Regisseur Sam Esmail, über zehn Folgen eine fesselnde Geschichte mit faszinierenden Figuren zu entwickeln. Großartig! Zweites Beispiel: "Succession" ist eine Satire, also eine Comedy, deren Episoden um die 60 Minuten lang sind. Ich habe alle zehn Folgen mit Begeisterung geschaut.

Und warum nicht mal komplett aus dem althergebrachten Fernseh-Korsett ausbrechen und sich von Webserien inspirieren lassen? Bei Youtube sind die Folgen in der Regel deutlich kürzer als bei TV-Serien, weil man davon ausgeht, dass die Nutzer und Nutzerinnen in einer anderen Situation sind, wenn sie die Serie gucken. Dass sie sich nicht - wie beim Netflix-Gucken - extra Zeit dafür nehmen und es sich vielleicht sogar auf dem Sofa dafür bequem machen. Sondern dass sie das als kurze Unterbrechung bei der Arbeit oder beim Lernen nutzen. Als Serie zwischendurch, sozusagen. 

 => Einen kleinen Tipp zum Weiterhören habe ich an dieser Stelle: In einer Folge des Podcasts "Skip Intro" spricht Vanessa Schneider mit der Webserien-Expertin Lina Kokaly über "DRUCK" und Webserien an sich. Lina Kokaly betreut als Redakteurin bei Radio Bremen die Webserien "Wishlist" und "Klicknapped". <=

Klar, die Idee der "Serie für zwischendurch" widerspricht der Idee des Bingens, das Netflix aus der Nerd-Ecke herausgeholt und im Mainstream etabliert hat. Netflix will, dass die Nutzerinnen und Nutzer so lange wie möglich auf der Plattform bleiben, eine Folge nach der anderen verschlingen, bis die Staffel vorbei ist. Und dass sie dann hoffentlich gleich die nächste Serie anfangen. Dennoch: Serien wie "Love, Death & Robots" oder "Bonding" gehen andere Wege. Die Animations-Anthologie-Serie "Love, Death & Robots" hat 18 Episoden, die zwischen 1 und 17 Minuten lang sind. Auch wenn mir die einzelnen Folgen nicht unbedingt gefallen haben, ich mag die Herangehensweise und hoffe, dass es bald noch mehr Serien gibt, die so mit Kürze spielen. Ganz so stark variieren die Folgen von "Bonding" nicht, hier sind die 7 Episoden der ersten Staffel zwischen 13 und 17 Minuten lang. 

Denn was man nicht vergessen darf: Die Serienlandschaft ist so dicht geworden, dass schon vermeintliche Kleinigkeiten den Ausschlag geben, ob ich einer Serie überhaupt eine Chance gebe oder nicht. Meine Ein-Stunden-Slots sind derzeit vergeben, mit 30-Minuten-Serien bin ich auch ausreichend versorgt. Alles, was nicht wegen der beteiligten Namen ein Muss für mich ist, hat bei mir derzeit keine Chance. Aber wenn dann so eine Serie wie "Bonding" daherkommt, schalte ich die erste Folge ein, weil das mal eben zwischendurch geht. (Dass ich dann doch drei Episoden am Stück schaue - geschenkt. Aber, immerhin, das ist fast die Hälfte der Staffel, die ich in kurzer Zeit zwischendurch geschaut habe.) 

Es wird also mit der Kürze. Das freut mich. Die Meister kurzer Staffeln und damit einhergehender Prägnanz sind in meinen Augen übrigens die britischen Serienmacherinnen und Serienmacher. Sie schreiben Serien mit Staffeln, die mal 2, mal 5 oder auch mal 10 Folgen lang sein können. Aber fast immer auf den Punkt. Auch das ist einer der Gründe, warum ich so gerne britische Serien schaue.

So, das wollte ich noch loswerden, bevor ich mich in die Sommerpause verabschiede. Ab August lesen wir uns hier wieder, in der Zwischenzeit vertritt mich wie gewohnt mein Kollege Kevin Hennings, der auf viele Serien einen anderen Blick hat als ich. Haben Sie einen schönen Juli!