Dass mir die HBO-Serie "Succession" großen Spaß macht, hatte ich ja zur ersten Staffel bereits geschrieben. Und in Staffel 2 ist die Serie sogar noch besser geworden, finde ich. Allerdings soll es in diesem Text nicht um die zweite Staffel an sich gehen, sondern um die Gretchenfrage: bingen oder wöchentlich gucken?

Meistens macht man bei einer Serie entweder das eine oder das andere. Also, entweder man schaut eine komplett veröffentlichte Staffel im eigenen Rhythmus (und guckt mehrere Folgen am Stück, wenn die Serie packend ist und es die Zeit zulässt). Oder man schaut wöchentlich, weil die Folgen so veröffentlicht werden. Das Entweder-Oder macht es schwierig, beide Arten des Guckens gut zu vergleichen, finde ich, weil sich der Eindruck der Serie im Nachhinein nur schwer von der Art des Guckens trennen lässt. Klar gibt es mittlerweile wissenschaftliche Studien dazu, wie Binge-Watching auf uns wirkt. Aber ich finde es spannend, an mir selbst festzustellen, was anders ist bei der einen Art im Vergleich zur anderen. Und ob sich das Guckvergnügen vielleicht sogar verändert.

Im Fall von "Succession" ist ein Vergleich möglich - zumindest in Ansätzen. Denn ich habe die ersten vier Folgen in meinem eigenen Rhythmus geschaut, weil ich sie aufgezeichnet hatte. Die anderen Episoden dann im wöchentlichen Abstand bei Sky Atlantic. Das - alles andere als wissenschaftliche - Ergebnis: Wöchentlich macht mir in diesem Fall mehr Spaß. Denn ich habe mehr Zeit, das Gesehene zu verarbeiten. Hört sich vielleicht seltsam an, ist aber so: Wenn ich "Succession"-Folgen am Stück schaute, hatte ich irgendwann das Gefühl, dass manche Zusammenhänge an mir vorbeigehen.

Was mich überrascht, weil ich bisher immer den Eindruck hatte, dass es ein Vorteil des Bingens ist, dass man Zusammenhänge besser versteht, weil man einfach weiterschaut und sich nicht nach einer Pause wieder umständlich reindenken muss. Aber bei "Succession" war es für mich wichtig, zwischendrin über das Gesehene nachzudenken, vielleicht zu googlen und auf jeden Fall eine Podcast-Folge zu hören, in der die jeweilige Episode seziert und eingeordnet wurde. Das wäre natürlich auch möglich gewesen, wenn ich mich einfach zusammengerissen und diszipliniert nur eine Folge am Abend geschaut hätte. Und mir fürs Gucken der jeweils einen Folge Abende ausgesucht hätte, an denen ich richtig wach war. Aber nein, so funktioniert das bei mir leider nicht: Wenn ich gefesselt bin und noch eine weitere Folge da ist, gucke ich weiter. Dann ist es egal, dass ich eigentlich weiß, dass ich am nächsten Abend aufnahmefähiger bin - in dem Moment will ich weiterschauen und dann mache ich das auch. Bei "Succession" hat - wie ich jetzt weiß - mein Verhalten dazu geführt, dass mir die Episoden weniger Vergnügen bereitet haben, als es möglich gewesen wäre. Ärgerlich, eigentlich!

Damit ist die Frage allerdings nur für "Succession" und nur für mich beantwortet. Die HBO-Mediensatire ist komplex, was die wirtschaftlichen Vorgänge in der Familie/Firma betrifft. Da sind für mich Erklärungen nötig, zumal ich einige Fachbegriffe im Englischen nicht kannte. Ich bin mir ziemlich sicher, dass es Serien gibt, die ich mehr genieße, wenn ich mehrere Folgen am Stück schauen kann und bei denen mich das wöchentliche Veröffentlichen fast schon nerven würde. 

Interessant finde ich in dem Zusammenhang: Bei der Streamingplattform AppleTV+, die am Freitag gestartet ist, werden die Eigen-Produktionen nicht automatisch am Stück veröffentlicht. Von der Serie "The Morning Show", die vorab am meisten für Aufsehen gesorgt hat, sind zum Start erstmal nur drei Folgen zu sehen, die anderen sollen nach und nach verfügbar sein. Ich kann das aus Marketingsicht sehr gut nachvollziehen, denn die Anbieter müssen schließlich erreichen, dass die Kunden und Kundinnen wiederkommen und das Abo verlängern - und nicht in zwei Tagen die Serie, die sie mögen, durchschauen und dann vielleicht sogar das Abo kündigen, weil sie den Rest des Angebots nicht interessant finden. Besonders für die Streamingplattformen, die kein großes Serien-Archiv haben, ist es wichtig, das Publikum mit den Eigen-Produktionen zu halten. Mit dem selbstverständlichen Veröffentlichen am Stück, das Netflix vor ein paar Jahren eingeführt hat und das Konsequenzen fürs Publikum und auch für das Schreiben von Serien hatte, könnte es jetzt also vorbei sein. Die "LA Times" fragt in einem lesenswerten Text sogar: "Are these end times for binge culture?", also, ob die Zeiten des Binge-Watchings jetzt vorbei seien. Schwer zu sagen, finde ich. Ich hoffe darauf, dass beide Arten des Veröffentlichens künftig nebeneinanderher existieren und es von den Serien abhängig gemacht wird, wie man sie verfügbar macht.

Die neuen Folgen der zweiten Staffel von "Succession" laufen beim Bezahlsender Sky Atlantic montags abends, die bereits gesendeten Episoden von Staffel 2 sind zum Beispiel bei den Streamingdiensten Amazon, iTunes oder Sky Ticket/Sky Go verfügbar. 

Tipps zum Weiterlesen und -hören habe ich in dieser Woche einige:
- Zuerst einmal den Podcast „Slate Money“ - ab Staffel 2 von "Succession" sprechen hier US-Wirtschaftsjournalisten und -journalistinnen inhaltlich über jede Folge und über die Medienmenschen, Mediendeals und Medienunternehmen, die als Vorlage gedient haben. Die erste Recap-Folge findet sich hier
- Dann eine Studie zum Binge-Watching, die ich interessant finde: Forschende der Uni Melbourne haben untersucht, wie sich das Gucken am Stück darauf auswirkt, wieviel wir nach dem Ende von der Serie im Kopf behalten.
- Erste Eindrücke von den AppleTV+-Serien: DWDL-Chefredakteur Thomas Lückerath hat in die vier Serien zum Start der Plattform reingeschaut. Sein Fazit gibt's hier.
- Schließlich das Texte-Paket der "LA Times" zu den vielen neuen Streamingplattformen, die in den USA in den nächsten Monaten an den Start gehen. Die amerikanischen Kolleginnen und Kollegen haben sich den "Streaming Wars" von ganz unterschiedlichen Seiten genähert. Der von mir oben angesprochene Text über die Zukunft des Binge-Watchings ist ein Teil dieses Pakets.
- Und dann noch ein Kolumnentext von mir von vor drei Jahren: Ich habe "Bingen vs wöchentlich gucken?" unter dem Aspekt betrachtet, welche Diskurskraft eine Serie entwickeln kann.