Eine Serie wie "Atlanta" zu empfehlen ist schwierig. Um es direkt klarzustellen: Sie ist fantastisch. Aber: Donald Glover hat einen surrealen Trip inszeniert, der sich auf absurdeste Weise unangenehm wohlig anfühlt. Stellen Sie sich das folgendermaßen vor: Ihr Lieblingsonkel, der Ihnen Ihr Leben lang die besten Ratschläge mit auf den Weg gegeben hat, stößt an Weihnachten zum Familienessen dazu und reißt einen fremdschamlastigen Witz nach dem anderen. Sie wären am liebsten ganz woanders und überall lieber als an diesem Tisch. Das ist "Atlanta". Ein Konglomerat aus Lebensweisheiten und Situationen, die es schaffen, Sie von der Couch aus Ihrer Komfortzone rauszuholen. Nicht jeder will so etwas sehen, was ich gut verstehen kann. Doch eine Episode von "Atlanta" lege ich jedem Anwesenden ans Herz: "Teddy Perkins".

Die von Hiro Murai inszenierte Folge kann ohne Vorwissen geschaut werden und dreht sich um Darius (Keith Stanfield), der in einer Kleinanzeige über ein Angebot für ein Klavier gestolpert ist. Kein gewöhnliches Klavier, sondern eines mit bunten Tasten - das verschenkt werden soll. Von der Großzügigkeit angezogen tippt er die Adresse in sein Navi, das ihn zu einem altehrwürdigen Herrenhaus führt. Ein seltsamer Mann namens Teddy Perkins (Donald Glover) macht Darius die Tür auf und obwohl seine Freunde ihm lauthals geraten haben - halb aus Spaß – da lieber nicht reinzugehen, findet er sich plötzlich inmitten des riesigen Anwesens wieder. 

Perkins ist blass, trägt ein maskenhaftes Gesicht mit sich herum und agiert noch künstlicher, als es sein Auftreten sowieso schon vermuten lässt. Anstatt Darius direkt das Klavier zu geben, verwickelt er ihn in ein Gespräch und erzählt, dass er hier alleine wohnt – bis auf seinen Bruder Benny, den Darius jedoch nicht treffen darf. Er sei an einen Rollstuhl gebunden und extrem lichtempfindlich. Beide wurden, so erfährt er mit fortlaufender Unterhaltung, von ihrem Vater misshandelt, um zu musikalischen Genies heranzureifen.

In den darauffolgenden 30 Minuten entwickelt sich "Teddy Perkins" zu einem der größten WTF-Momente, die ich je in einer Serie erleben durfte. Donald Glover spielt sein Privileg, kreatives Armageddon begehen zu können, derart imposant aus, dass er mit Bravour beweist, wie surreal ein Stück Filmgeschichte sein kann, dass nicht der Surrealität wegen so ist wie es eben ist.

"Teddy Perkins" wurde zu einer tragischen Episode über die Folgen, die unweigerlich passieren, wenn jemand das Leben eines Menschen opfert, um Erfolg zu erlangen. Der Vater von Teddy und Benny hat sie beide derart misshandelt, dass einer der Brüder nie wieder an die Oberfläche des Lebens gelangen konnte, während der Andere seine seelischen Narben immer wieder dadurch selbst aufreißt, indem er jeden Tag durch das mit Schmerz erkaufte Haus läuft, das eigentlich sein größter Schatz sein sollte.

Glover und Murai erzählen von einer Tragödie, die leicht verstehen lässt, dass Ruhm nichts ist, was mit innerem Frieden gleichgesetzt werden sollte. "Teddy Perkins" ist eine Art Gleichnis, bei der die radikale Natur der Eltern ebenso dargestellt wird wie der Erfolg der Kinder, durch den sie leben können. Das naheliegendste Beispiel für eine Interpretation ist deshalb das Leben von Michael Jackson, der Perkins auch äußerlich sehr nahe kommt. Genauso gut könnte die Episode aber auch das Leid von Persönlichkeiten wie Lindsay Lohan oder Macaulay Culkin darstellen.

Es ist nicht wichtig, an welchen Menschen Murai und sein Team explizit gedacht haben, sondern dass sie es geschafft haben, ihre gesamte Audienz verstört zu hinterlassen. "Teddy Perkins" ist auch ohne einen tieferen Sinn eine gruselige Folge, keine Frage. Mit dem Hintergrund der gezeigten menschlichen Abgründe hat es "Atlanta" jedoch geschafft, einen legendären Fernsehmoment zu schaffen, den niemand erahnen konnte.

Darin liegt nämlich die komplette Faszination von "Teddy Perkins": "Atlanta" hat in den 15 Folgen zuvor eine Welt erschaffen, in der es vordergründig um das Rapgeschäft, unerfüllte Liebe und die alltäglichen Probleme ging. Und plötzlich kommt ein derartiger Psycho-Thriller um die Ecke, der den Zuschauer intensiv darüber nachdenken lässt, wie schnell man über prominente Menschen urteilt, die womöglich das gleiche Schicksal erlitten haben.

Mir ist bewusst, dass ich mit diesem Text die Überraschung über diese Folge etwas geschmälert habe. Das ist im Grunde aber nicht so schlimm wie "Teddy Perkins" gar nicht erst gesehen zu haben. Hierzulande ist "Atlanta" lediglich Teil des Fox-Programms gewesen, weshalb die Emmy-prämierte Serie möglicherweise bei dem ein oder anderen untergegangen ist. Sie wurde mittlerweile in eine vierte Staffel geschickt und ist auch neben der besagten Folge absolut sehenswert, da Glover überall ein Fünkchen "Teddy Perkins" versprüht. Doch S2 E06 bleibt ein Denkmal für sich, das jeder Serienfan mindestens ein Mal besucht haben sollte.