Von außen betrachtet ist Rita anstrengend: Sie ist unberechenbar, sturköpfig, rücksichtslos, ordnet sich nicht unter. Und doch macht diese Figur die dänische Serie "Rita" zu einer besonders sehenswerten Serie. Aus zwei Gründen: Erstens ist Rita eine Frauenfigur, wie man sie sehr selten sieht, mit einer Geschichte, wie man sie nur selten sieht. Und zweitens ist Rita zwar anstrengend, aber so geschrieben, dass man sich in sie einfühlen und dann mit ihr mitfühlen kann. Wenn man erst mal in dieser Figur drin ist, wirkt Rita nicht mehr anstrengend - auch wenn man merkt, dass die Figuren um sie herum das so empfinden. Aber es geht in dieser dänischen Dramedy eben nicht um diese anderen Figuren, sondern um Rita und ihr ganz normales Leben. 

Rita Madsen (Mille Dinesen) ist Anfang 40, sie ist Lehrerin, sie ist Mutter von drei Kindern, und sie ist geschieden. Sie ist eine unkonventionelle Lehrerin, lässt sich auf die Kinder ein, geht damit oft den anderen Erwachsenen (denen im Kollegium und den Eltern der Kinder) auf die Nerven. Sie ist auch eine unkonventionelle Mutter, womit ihr Jüngster - Jeppe (Nikolaj Groth), 15 Jahre alt - nicht zurechtkommt. Er fühlt sich nicht ernstgenommen und vernachlässigt, denn das Zusammenleben zwischen Rita und ihm gleicht eher einer WG. Ihre anderen beiden Kinder sind zu Beginn der Serie bereits ausgezogen.

Doch Rita ist in dieser Serie nicht nur Lehrerin und Mutter - sie darf auch einfach Rita sein. Eine Frau, die gerne Sex mit Männer hat, aber dafür nicht dringend eine Beziehung braucht. Eine Frau, die sehr gerne auch einfach allein ist. Eine Frau, die immer T-Shirt und Jeans trägt, weil sie morgens keine Gedanken daran verschwendet, was sie anziehen soll. Eine Frau, die raucht und trinkt. Eine Frau, die es anderen nicht leicht macht, sie zu mögen und mit ihr befreundet zu sein. Sie ist es gewohnt, auf sich alleingestellt zu sein. Und das macht es schwierig für sie, Freundschaften aufzubauen. 

Wo Rita hart ist gegen Erwachsene, ist sie liebevoll mit den Kindern. All die negativen Charaktereigenschaften, die ich am Anfang beschrieben habe, sind an Rita nur dann zu spüren, wenn sie sich mit Erwachsenen auseinandersetzt - nie bei ihrer Arbeit mit Kindern. Wenn es um das Wohl der Kinder in ihrer Schule geht, ist sie unnachgiebig, will rücksichtslos das durchsetzen, was sie als das Beste ansieht - und hört nicht auf das, was andere vorschlagen, die das Problem ebenfalls lösen wollen. Damit macht sie es sich schwer, denn im Einzelkämpferin-Modus die Welt nachhaltig zu verändern, ist wahnsinnig anstrengend und frustrierend. Sie muss Niederlagen hinnehmen, Verluste akzeptieren, stellt sich selbst und ihren Beruf in Frage. All das passiert in dieser Serie beiläufig, als Teil des Alltags, den wir mit Rita gemeinsam erleben.

"Rita", das ist nicht die große Geschichte einer Frau Anfang 40 in Dänemark, die dramatische Entwicklungen durchmacht und dann vielleicht die Welt rettet. Sondern "Rita", das ist der mal amüsante, mal schwierige Alltag einer Frau Anfang 40, bei der sich nach und nach im Kleinen Dinge verändern. Auch wenn es Krisen gibt: Es ist keine "Midlife Crisis", die Rita durchmacht, es ist einfach nur Ritas alltägliches Leben, das fließt, das sich entwickelt. Und diese alltägliche weibliche Normalität ist es, die diese Serie so besonders macht.

Das muss man sich erstmal trauen: Eine Frau in einem Alter, in dem Frauen im Fernsehen immer weniger werden, zum Mittelpunkt einer höchst unspektakulären Geschichte zu machen. Doch es funktioniert, weil man dafür das Beste gibt: Hervorragend ausgearbeitete Figuren, die die Hauptfigur umgeben, die allesamt ihre schrägen aber auch liebenswerten Seiten haben. Ein Drehbuch, das aus vielen kleinen starken episodischen Alltagsgeschichten Ritas Leben zusammenbaut und gleichzeitig den großen Bogen spannt. Schlagfertige Sätze, die aus Ritas Mund kommen, die mich als Zuschauerin mit neidischer Bewunderung erfüllen. Ein Cast, der diese Figuren so gut verkörpert, dass man sie sich im eigenen Alltag vorstellen kann. 

Fünf Staffeln gibt es mittlerweile, die seit 2012 nach und nach entstanden sind. Anfangs nur im dänischen Fernsehen zu sehen, wurde "Rita" durch den Einstieg von Netflix als Ko-Produzent ab Staffel 3 seit 2015 auch über Dänemark hinaus bekannt. Im Juni lief die fünfte Staffel bei TV 2 in Dänemark, seit Mitte August ist sie auch bei uns auf Netflix zu sehen. Es soll die letzte Staffel sein, wurde schon im Mai verkündet. Und ja, diese letzte Staffel schafft einen schönen Abschluss, auch wenn der in den letzten zwei Folgen etwas abrupt kommt und ich mir mehr Raum dafür gewünscht hätte. Doch jetzt ist es Zeit, dass ich mich verabschiede: Es war eine Bereicherung, Deinen Alltag mitzuerleben, Rita!

Alle fünf Staffeln von "Rita" gibt's bei Netflix.