Wenn die Arbeitsgemeinschaft Media-Analyse ihre neue Studie zur Reichweite von Zeitschriften und Zeitungen vorlegt, dann eröffnet sie regelmäßig einen Blick in eine Parallelwelt, in der sich die Zahl der Leserinnen und Leser anscheinend völlig von der tatsächlichen Auflage abgekoppelt haben soll. Das Problem: Sie basiert nicht auf Messungen, sondern Umfragen und ist daher offensichtlich extrem fehleranfällig, die Zahlen sind somit mit äußerster Vorsicht zu genießen. Da die Verlage damit aber weiterhin auch gegenüber Werbekunden damit hantieren, wollen wir auch diesmal einen Blick darauf werfen.

Die Merkwürdigkeiten zeigen sich schon bei den Zeitungen, bei denen die überregionalen Titel einen regelrechten Reichweitenboom erlebt haben sollen: "SZ", "Welt" und "Handelsblatt" sollen demnach zwischen 9,9 und 11,3 Prozent mehr Leserinnen und Leser erreichen als noch ein Jahr zuvor. Ein Blick auf die tatsächliche Auflagenentwicklung zeigte zuletzt tatsächlich für "Handelsblatt" und "Welt" Plus-Zeichen (was bei letzerer allerdings auch mit der Umstellung von sechs auf fünf Ausgaben pro Wochen zusammenhängt).

Die Reichweiten überregionaler Tageszeitungen

  Leser in Mio.
ma 2021
Leser in Mio.
ma 2020
Veränderung
in Prozent
Bild 7,35 7,82 -6,0%
Süddeutsche Zeitung 1,33 1,21 +9,9%
Frankfurter Allgemeine Zeitung 0,94 0,94 unv.
Die Welt 0,85 0,77 +10,4%
Handelsblatt 0,59 0,53 +11,3%
taz 0,30 0,29 +3,4%

Quelle: ma 2022 Tageszeitungen

Der angeblich auf 850.000 Leserinnen und Leser pro Ausgabe gestiegenen Reichweite stehen bei der "Welt" aber tatsächlich im Schnitt zuletzt nur rund 85.000 verkaufte Exemplare gegenüber - jede Ausgabe müsste also somit im Schnitt durch zehn Hände wandern, was kaum wahrscheinlich ist. Abwärts ging's bei den Überregionalen nur für die "Bild", die sechs Prozent an Reichweite verliert, mit angeblich 7,35 Millionen Leserinnen und Lesern pro Tag aber trotzdem in einer eigenen Liga spielt. Auch hier gilt allerdings: Die tatsächliche verkaufte Auflage von zuletzt noch etwas mehr als 1,1 Millionen Exemplaren steht in keinem sinnvollen Verhältnis dazu. Nicht nur bei den überregionalen Titeln überwiegen unterdessen die Plus-Zeichen, auch insgesamt weist die AGMA 59 Mal Plus-Zeichen und nur 36 Mal Minus-Zeichen aus.

Bei den Zeitschriften überwiegen die Verluste

Anders ist die Lage bei den Zeitschriften, die im Vergleich zur vorherigen Ausweisung (die anders als bei Zeitungen allerdings nicht ein-, sondern zwei Mal jährlich stattfindet), die Minuszeichen (45 zu 95). Die "Bild am Sonntag" führt die Rangliste hier jetzt nicht mehr an und wurde von "Prisma" überholt - wobei der Vergleich natürlich hinkt, weil die "Prisma" als Supplement nicht eigenständig nach Käuferinnen und Käufern suchen muss, sondern als Beilage ins Haus flattert. Ähnlich wie bei "Bild" sank die Reichweite auch bei "Bild am Sonntag", hier um 4,5 Prozent auf 6,16 Millionen. Auch hier zeigt allerdings der Blick auf die tatsächliche Auflage ein krasses Missverhältnis: Die verbreitete Auflage lag zuletzt noch bei rund 650.000.

Der "Spiegel", der zuletzt dank hoher Spiegel+-Abo-Zahlen bei der IVW steigende Auflagen vermelden konnte - auch wenn die Print-Auflage sank - legt auch laut AG.MA in Sachen Reichweite leicht um 1,1 Prozent auf 4,53 Millionen zu. Beim "Stern" gibt's hingegen auch hier deutliche Minus-Zahlen, um sechs Prozent geht es auf angeblich 4,09 Millionen Leserinnen und Leser pro Ausgabe runter. Diese Zahl dürfte aber angesichts einer verbreiteten Auflage von zuletzt noch 340.000 trotzdem trotzdem völlig übertrieben sein.

Während hier aber bei den MA-Zahlen zumindest die Richtung zu stimmen scheint, geht es anderswo völlig vogelwild zu. Für "Brigitte" ermittelt die AG.MA ein Reichweitenplus von 21,5 Prozent auf 1,98 Millionen, 350.000 zusätzliche Leserinnen und Leser sollen also binnen eines Jahres dazu gekommen sein - was schon kurios ist, wo die verbreitete Auflage zuletzt doch nur noch bei insgesamt (!) rund 239.000 lag. Und sie war über die letzten Jahre auch rückläufig, ein Jahr zuvor waren es noch 273.000, vor zwei Jahren 312.000, vor drei Jahren 340.000. Für den Ableger "Brigitte Woman" ermittelte die AG.MA hingegen übrigens einen Reichweiten-Einbruch um 33 Prozent, der somit noch deutlich stärker ausfiel als der tatsächliche Auflagenrückgang.

Meistgelesene Zeitschriften laut MA 2022/II

  Leser in Mio.
ma 2022/II
Leser in Mio.
ma 2022/I
Veränderung
in Prozent
zum Vergleich:
IVW-Auflage*
Prisma 6,63 6,42 +3,3% 7,32
Bild am Sonntag 6,16 6,45 -4,5% 0,65
Der Spiegel 4,53 4,48 +1,1% 0,74
TV Movie 4,51 4,69 -3,8% 0,61
Stern 4,09 4,35 -6,0% 0,34
rtv 3,89 3,63 +7,2% 4,64
Hörzu 3,75 3,82 -1,8% 0,79
tv14 3,72 3,86 -3,6% 1,58
TV Spielfilm Plus 3,65 3,93 -7,1% 0,74
Bild der Frau 3,58 3,70 -3,2% 0,45
TV Digital 3,51 3,63 -3,3% 0,91
Focus 3,14 3,18 -1,3% 0,25
Sport Bild 2,79 2,92 -4,5% 0,17
Bunte 2,75 2,70 +1,9% 0,35
Tina Plus 2,21 2,16 +2,3% 0,31
Computer Bild 2,08 2,43 -14,4% 0,13
TV Hören und Sehen 2,03 1,98 +2,5% 0,43
Chip 1,99 2,19 -9,1% 0,08
Brigitte 1,98 1,63 +21,5% 0,24
FreizeitRevue Plus 1,96 1,99 -1,5% 0,73

Quelle: ma 2022 Pressemedien II; *Verbreitete Auflage 2/2022 in Mio.

Den größten Reichweitenverlust dieser Print-MA verzeichnete unterdessen "Computer Bild", wo die Zahl der Leserinnen und Leser pro Ausgabe um 350.000 auf 2,08 Millionen zurückging. Trotzdem muss es nach den Vorstellungen der Arbeitsgemeinschaft Media-Analyse unter den Computer-Fans riesige Fangruppen geben, in denen man sich gegenseitig die Zeitschriften ausleiht - denn die Reichweite liegt 16 Mal so hoch wie die tatsächliche Auflage. Das ist aber noch gar nichts im Vergleich zu "Chip": Dort muss jede verkaufte Zeitschrift im Schnitt von fast 25 Personen gelesen werden, um die 2-Millionen-Reichweite trotz nur noch rund 80.000 verbreiteter Exemplare erklären zu können.

Die größten Verlierer in absoluten Zahlen:

  Leser in Mio.
ma 2022/II
Leser in Mio
ma 2022/I
Veränderung
Computer Bild 2,08 2,43 -350.000
National Geographic Deutschland 1,05 1,39 -340.000
Bild am Sonntag 6,16 6,45 -290.000
TV Spielfilm Plus 3,65 3,93 -280.000
Stern 4,09 4,35 -260.000
Kicker Sportmagazin (Mo) 1,54 1,76 -220.000
Auto Bild 1,59 1,80 -210.000
Chip 1,99 2,19 -200.000
TV Movie 4,51 4,69 -180.000
Brigitte Woman 0,34 0,51 -170.000

Die größten Gewinner in absoluten Zahlen:

  Leser in Mio.
ma 2022/II
Leser in Mio
ma 2022/I
Veränderung
Brigitte 1,98 1,63 +350.000
rtv 3,89 3,63 +260.000
Prisma 6,63 6,42 +210.000
Burda Style 0,47 0,29 +180.000
Echo der Frau 0,51 0,33 +180.000
Alles für die Frau 0,51 0,36 +150.000
Gong 0,88 0,74 +140.000
Essen & Trinken 1,32 1,19 +130.000
Neue Post 1,53 1,40 +130.000
Chefkoch Magazin 1,13 1,00 +130.000

Die größten Verlierer (relativ):

  Leser in Mio.
ma 2022/II
Leser in Mio
ma 2022/I
Veränderung
Madame 0,09 0,19 -52,6%
Donna 0,14 0,25 -44,0%
View 0,31 0,48 -35,4%
Brigitte Woman 0,34 0,51 -33,3%
Eltern 0,33 0,48 -31,3%
Elle 0,38 0,52 -26,9%
Jolie 0,40 0,54 -25,9%
Frau von Heute 0,21 0,28 -25,0%
Lisa Kochen & Backen 0,39 0,52 -25,0%
Auto Straßenverkehr 0,27 0,36 -25,0%

Die größten Gewinner (relativ):

  Leser in Mio.
ma 2022/II
Leser in Mio
ma 2022/I
Veränderung
Burda Style 0,47 0,29 +62,1%
Echo der Frau 0,51 0,33 +54,5%
Alles für die Frau 0,51 0,36 +41,7%
Art 0,25 0,18 +38,9%
Shape 0,30 0,22 +36,4%
OK! 0,46 0,37 +24,3%
Brigitte 1,98 1,63 +21,5%
Gong 0,88 0,74 +18,9%
Wohnidee 0,32 0,27 +18,5%
Petra 0,60 0,51 +17,6%

Quelle für alle Daten: ag.ma