Vorurteil der Woche: ARD und ZDF müssen Unterhaltung zeigen, um ihren Auftrag erfüllen zu können.

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"Ein Sender, der von der Gesellschaft finanziert wird, muss die Kraft haben, Millionen zu erreichen. Sonst rutscht er in die Bedeutungslosigkeit", hat Thomas Bellut kürzlich dem "Handelsblatt" gesagt und auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts verwiesen. Das habe festgestellt, "dass öffentlich-rechtliche Sender Vollprogramme sein müssen. Nur dann haben sie die nötige Relevanz. Was nützen Nachrichten und Dokumentationen, die nicht gesehen werden?" Eigentlich wollte der ZDF-Intendant damit bloß verteidigen, dass sein Sender für viele Millionen die Rechte zur Übertragung der Champions League erworben hat. Mit exakt demselben Argument wird aber auch begründet, warum öffentlich-rechtliche Sender ihre Zuschauer unterhalten können müssen.

Bei der ARD heißt es über den eigenen Programmauftrag:

"Grundversorgung ist eindeutig nicht als Minimalversorgung zu verstehen, sondern schließt die gesamten Programmangebote in den Bereichen Bildung, Information und Unterhaltung ein (...)."

In der Theorie klingt das nach einem guten Argument. Selbst wenn die Begründung des Verfassungsgerichts deutlich vorsichtiger formuliert ist. Im 4. Rundfunkurteil steht ganz konkret: "Meinungsbildung vollzieht sich nicht nur durch Nachrichtensendungen, politische Kommentare oder Sendereihen über Probleme der Vergangenheit, der Gegenwart oder der Zukunft, sondern ebenso in Hör- und Fernsehspielen, musikalischen Darbietungen oder Unterhaltungssendungen."

In der Praxis hat die daraus interpretierte Pflicht der Verantwortlichen, Millionen zu erreichen, und die Einbildung, das nur über teure Sportereignisse oder Unterhaltungssendungen schaffen zu können, einerseits zu einer völligen Überforderung und andererseits zu einer fortschreitenden Beschädigung seriöser Informationsprogramme geführt.

1. Überforderung

Gerade hat das ZDF angekündigt, im Sommer die Show "Deutschlands Beste" zu zeigen, in der Zuschauer ihre Lieblingspromis bestimmen. Die Sendung ist die Neuauflage der elf Jahre alten Show "Unsere Besten", damals wie heute moderiert von Johannes B. Kerner, mit dem Unterschied, dass damals verstorbene Prominente einbezogen wurden. Das Erste zeigt ab diesem Montag eine neue tägliche Quizshow am Vorabend, ähnlich wie in den Jahren 2001 bis 2010, damals wie heute moderiert von Jörg Pilawa, mit dem Unterschied, dass die Sendung heute Ableger einer erfolgreichen Smartphone-App ist, deren Gründer sich über die Kostenloswerbung (und vermutlich Lizenzgebühren) freuen dürften.

Quizduell© ARD/NDR

Das angeblich so wichtige Unterhaltungsprogramm der beiden großen gebührenfinanzierten Vollprogramme ist damit – bestenfalls – wieder auf dem Stand von vor zehn Jahren. ARD und ZDF machen den Eindruck, so sehr von ihrem selbst bekräftigten Unterhaltungsauftrag überfordert zu sein, dass es besser wäre, sie von dieser Qual zu erlösen.

2. Beschädigung

Darüber hinaus hat die zunehmende Konzentration auf massenattraktive Inhalte dazu geführt, dass seichte Unterhaltung zunehmend in Sendungen hineinsuppt, die vorrangig der Information dienen sollten. Dienstagabends liefert "ZDFzeit" mit seinen als "Duellen" inszenierten Verbraucherreportagen das beste Beispiel dafür, wie sich öffentlich-rechtliche Programme verbiegen müssen, um für die Masse attraktiv zu sein (DWDL berichtete).

ZDFzeit: McDonald's gegen Burger King© ZDF/Willi Weber

Oberflächlichkeiten machen sich nicht nur zur Hauptsendezeit breit. Am vergangenen Sonntag um 23.15 Uhr lautete das Thema derZeitgeschichtsreihe "ZDF-History": "Traumjob Promi-Partner". Eine "Mimikexpertin" zeigte, "dass zwischen guter Miene und privatem Glück manchmal Welten liegen". Und die 45 Minuten über das "Leben im Schatten des Ruhms" wurden angekündigt mit den Worten: "Sie jetten um die Welt, sonnen sich im Glanz des Partners und kassieren Millionen – auch wenn's mal schiefgeht. Traumjob Promi-Partner. Was, wenn sie die erste Geige spielen?" (Ganze Sendung in der Mediathek ansehen.)

Das Problem an der Unterhaltung im öffentlich-rechtlichen Fernsehen ist, dass sie – entgegen jeder Absicht des Verfassungsrichter – viel zu oft die erste Geige spielt. Eine uralte, schlecht gestimmte Geige, die sich niemand zu erneuern traut. Und die, weil sie so laut und schief vor sich hin geigt, auch das übrige Orchester aus dem Takt bringt.

Dabei brauchen wir keinen öffentlich-rechtlichen Rundfunk, der sich in der immerwährenden Anstrengung verheddert, Millionen glücklich machen zu müssen, wenn er dabei vergisst, dass das nur Mittel zum Zweck sein sollte. Vielleicht wären Programme besser, die tatsächlich nur Minimalversorgung liefern, dafür aber eine, die mit größter Leidenschaft gemacht ist.

Belluts Maßgabe aus dem "Handelsblatt" trifft jedenfalls schon jetzt nicht mehr zu. Am Donnerstag zeigte das ZDF einen hervorragenden Themenabend zur bevorstehenden Europawahl, der ebenso ausgewogen wie interessant war: mit einem "TV-Duell" der Spitzenkandidaten, einer Dokumentation über rechte Parteien in Europa und dem ins Hauptprogrammen geholten jungen Talk "ZDFlogin". Das war vorbildliches öffentlich-rechtliches Fernsehen, kein bisschen angestaubt. Zugesehen haben keine zwei Millionen. Allen sonstigen Anstrengungen, das Programm über teure Unterhaltung mit Relevanz aufzuladen, zum Trotz.

Es ist ja wünschenswert, wenn von der Gesellschaft finanzierter Sender die Kraft hat, Millionen zu erreichen, wie der ZDF-Intendant sagt. Wenn das aber dazu führt, dass darunter die eigentlichen Aufgaben leiden, ist es Zeit, sich eine Alternative zu überlegen.

Das Vorurteil: stimmt nicht.