Am Horizont ein Unterschied
Rein äußerlich liegt nicht sehr viel zwischen der Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt und ihrer bayerischin Kollegin Christa Stewens. Die gelernte Lehrerin aus Aaachen sitzt der ehemaligen Mitarbeiterin eines Architektenbüros gegenüber, und nichts daran scheint sich geändert zu haben, obwohl Schmidt mittlerweile ein Phoenix-Allstar ist, Stewens ein beliebter Gast in der BR-„Rundschau“.
So ganz telegen bewegen sie sich denn auch nicht auf den Bürostühlen links und rechts des großen geschwungenen Tisches, die beiden Anwärterinnen auf den harten Job der „Bundesministerin für Gesundheit und Soziale Sicherung.“ Der Muff der Tausend Kabinettssitzungen lässt sich wohl von keinem Coach in der Maske herausschütteln. Während Schmidt bei den Ausführungen der Kontrahentin nicht recht weiß, wo sie hinsehen soll, scheitert Stewens daran, ihren Sätzen die 30-Sekunden-Tauglichkeit zu verleihen.
Die Fernsehduelle der zweiten Reihe, zu später Sendezeit im ZDF, sind wohl eher ein Fall für Unverdrossene oder Freunde der politischen Hinterbänklerkultur. Denn anders als die Spitzenkandidaten, die sich in Kürze in ein oder zwei Duellen mit knappen, klaren Statements jenseits der Parlamentsrelevanz präsentieren werden, müssen die Kandidaten auf die schweren Jobs im neuen Kabinett tatsächlich so etwas schaffen, wie die Übersetzung der Realpolitik in ein 22.45-Format. Wenigstens hilft dabei die beste politische Talkmasterin, die wir haben.
Maybrit Illner könnte das Fernsehgesicht dieser Wahl werden: Bei „Berlin Mitte“ treffen sich weiterhin vitale Runden, um – manchmal im etwas grob gestickten Themenmuster – dasselbe zu schaffen, was Schröder und Merkel im TV-Duell, ihre „Leute“ in den Nachtduellen versuchen müssen: Mit klaren Unterschieden so etwas wie eine Wahlhilfe zu liefern. In dieser Tradition sieht sich die öffentlich-rechtliche Berichterstattung rund um die Wahl. Die Polarisierung als zunehmend realisierte Strategie im Polit-TV könnte tatsächlich den Spagat schaffen, unterhaltsam an Unterschiede zumindest heranzuführen.
Ein heiteres Studiopublikum sorgte sogar bei Stewens und Schmidt dafür, dass so etwas wie ein Kampfstimmung aufkeimt, die man bei den beiden wohl zu allerletzt erwartet hätte. Der Applaus als einzige Möglichkeit zur Interaktion – nimmt man die Möglichkeit des Gelächters aus, die das Publikum gerne einsetzte, als sich die Politikerinnen die Schuld an Hartz IV gegenseitig zuschoben – ermöglicht hier, dass die Diskussion vital wird, schade, dass das Kanzlerduell erneut ohne Publikum aufgezeichnet wird. Denn das Publikum bietet auch die Möglichkeit des Sidekicks, des unvorhergesehenen Zwischenrufs – Parlamentsbedingungen, die nur wenige Politiker adäquat beantworten können.
Fernsehduelle sind eigentlich die Stunde der Rhetoriker. „Die Waffen? Natürlich das Wort“ betitelt das ZDF die Sendung. Das Wort: Ausgerechnet bei Ulla Schmidt und Barbara Stewens. Aber die warme, rot-blaue Kulisse scheint bei den beiden Frauen, die ja eigentlich mal Lehrerin und Angestellte eine Architektenbüros waren, so etwas herbeizubefördern wie politische Leidenschaft. Die zu wecken, ist Teil öffentlich-rechtlichen Sendungsbewusstseins. Und wenn man ganz genau schaut, erkennt man irgendwo am Horizont der echten und falschen Kampfesfelder einen kleinen programmatischen Unterschied. Dafür lohnt es sich, einzuschalten.