„Es wird eine Erleichterung für Sie alle sein, dass ich niemand mit einem wichtigen Job in der TV-Branche bin, der sich hiermit um einen noch wichtigeren Job bewerben will“, sagte Kevin Spacey als er am Donnerstagabend in der McEwan Hall auf die Bühne trat. Er hielt in diesem Jahr die James MacTaggart Memorial Lecture - es ist der Höhepunkt des Edinburgh International Television Festivals und weit mehr als das, was wir in Deutschland als Keynote all dieser langweiligen Branchengipfel kennen. Es ist gute Tradition, dass sich die Redner nicht nur oberflächlich mit den grundsätzlichen Fragen der Fernsehbranche beschäftigen. Mit Kevin Spacey stand am Donnerstagabend zum ersten Mal ein Hollywood-Schauspieler auf der Bühne - und lieferte die denkwürdigsten 40 Minuten zur Zukunft des Fernsehens, die man in den vergangenen zehn Jahren hören konnte.



Eindringlich vorgetragen und inhaltlich inspirierend verblüffte Spacey das Publikum mit einer komplexen Sicht der Dinge, die mancher Besucher so sicher nicht erwartet hatte. DWDL.de dokumentiert seinen bemerkenswerten Vortrag in weiten Teilen auf deutsch. Bereits unmittelbar nach Ende seiner mit spontanen Standing Ovations gefeierten Rede erschienen in englischen Fachmedien Analysen, die jedoch auf einer im Vorfeld verteilten schriftlichen Fassung beruhten. Da Kevin Spacey mehrfach vom Script abgewichen ist, dokumentiert DWDL.de nach Durchsicht der 18-seitigen schriftlichen Fassung und dem Abhören eines Mitschnitts das tatsächlich Gesagte. Inzwischen gibt es auch einen Video-Mitschnitt.

Die James MacTaggart Memorial Lecture von Kevin Spacey, gehalten am 22. August 2013 in der McEwan Hall, Edinburgh im Rahmen des Edinburgh International Television Festival, wiedergegeben in weiten Auszügen:

Kevin Spacey beginnt mit einem Vergleich. "Wenn ich überlege wie es für diese Branche gewesen sein muss als vor fast 40 Jahren die erste MacTaggert-Vorlesung gehalten wurde, dann stelle ich mir vor, wie das Publikum danach nach Hause gefahren ist, um wie immer mit der ganzen Familie vor dem Fernseher zu sitzen, um zu einer bestimmten Uhrzeit auf einem bestimmten Sender einen guten Film wie 'Ist das Leben nicht schön?' zu gucken und man schätzte sich vermutlich glücklich in einer so modernen Zeit zu leben, in der ein 21-inch großer Fernseher die Familie zusammenbringt“, erzählt Spacey.

"Heute kommt die Familie zusammen, um sich gemeinsam zu ignorieren"

„Wenn ich heute daran denke, wie Sie alle nach Hause fahren, können Sie sich ausmalen, dass die Dinge ein wenig anders aussehen: Es ist wahrscheinlicher, dass Sie 'Ist das Leben nicht schön?' auf ihrem Festplattenrecorder aufgenommen haben und den Versuch unternehmen, die gesamte Familie vor dem gigantischen Riesenbildschirm in dem Raum zu versammeln, der einmal ihr Hobbykeller war. Dann werden sie über Facebook versuchen herauszufinden, wo ihre Kinder gerade sind und ihren Partner bitten aufzuhören Fotos vom gerade während dem Film-Gucken beim Pizzaservice bestellten Essen bei Instagram zu posten während Großmutter immer weiter Katzenfotos auf ihrer Pinterest-Seite postet und ihr Sohn heimlich und verstohlen die Browser-History löscht während ihre Tochter twittert, wie langweilig 'Ist das Leben nicht schön?' sei, weil es weder in 3D noch in Farbe sei. Genau dann werden Sie diese wohlige Wärme der wertvollen Zeit mit Ihrer Familie spüren, die heutzutage zusammen kommt, um sich dann gegenseitig zu ignorieren."

Ein heiterer Einstieg in seinen Vortrag, der danach an Fahrt aufnahm. "1990 war ich von Jack Lemmon eingeladen bei der Verleihung des American Film Institute Lifetime Achievement Awards an Sir David Lean ('Lawrence von Arabien') an seinem Tisch zu sitzen", erzählt Spacey und erinnert sich, wie er gespannt der Rede des Preisträgers lauschte. Insbesondere den letzten Sätzen: ,Wenn wir neue Geschichtenerzähler fördern und ermutigen, kann es mit dem Kino immer weiter aufwärts gehen. Aber wenn wir das nicht tun, dann werden wir untergehen - und alles ans Fernsehen verlieren.‘ Behalten Sie das im Hinterkopf, da komme ich später noch einmal zu.“

"...das waren Menschen vom Sender. Sie wollen bei allen kreativen Entscheidungen ihre Finger im Spiel haben"

Spacey erinnert sich an eine seiner ersten Fernsehrollen: "Ich habe noch nie vor einer Kamera gestanden, aber ich verstand etwas von Spannungsbogen und Schauspielerei - wie man einen Charakter erschafft. Ich habe mich damals gefragt, wer eigentlich all diese Anzugträger sind, die rund um die Kamera stehen und ständig fragen, warum meine Haare denn so aussehen würden wie sie aussehen und warum ich ausgerechnet diese Krawatte und nicht besser eine andere tragen würde. Das waren nicht die Regisseure oder Autoren…das waren Menschen vom Sender. Sie wollen bei allen kreativen Entscheidungen ihre Finger im Spiel haben und haben grundsätzlich eine Meinung zu allem“, sagt Spacey während leichtes Gelächter durch die McEwan Hall geht.

Kevin Spacey© GEITF / Rob McDougall

„Obwohl ich gerade erst mit Fernsehen angefangen hatte, war mir damals sofort klar, dass ich diese Erfahrung nicht bei der täglichen Arbeit ertragen würde." Er habe ein Serienangebot abgelehnt und seinen Mentor und Freund Jack Lemmon angerufen. Der habe ihm oft von den goldenen Jahren des Fernsehens in den 1950er Jahren erzählt und Spacey wollte nun wissen, ob das einfach reine Nostalgie war oder Fernsehen früher einfach etwas anders war. Lemmon habe ihm geantwortet: "Junge, Du musst verstehen: Fernsehen war damals brandneu. Es war ein neues Medium und niemand wusste, ob es sich durchsetzen würde. Also wurde alles ausprobiert. Es war noch nicht kommerzialisiert. Das war ein Gefühl von totaler Unbekümmertheit." Spacey ergänzt in Edinburgh amüsiert: „Unbekümmertheit sei nun wirklich nie ein Ausdruck gewesen, der ihm im Zusammenhang mit Fernsehen in den Sinn gekommen wäre.“

Spacey erinnert in seinem Vortrag an eine alte Hitserie aus den USA. "Als in den USA 1980 die Serie 'Hill Street Blues' vor ihrer Premiere stand, schickte NBC dem Autoren und Showrunner Stephen Bochco ein internes Memo mit einer Liste von Bedenken, die man nach einer Marktforschung gewonnen habe", erzählt er. Demnach sei die Serie bei der Marktfoschung als zu depressiv, gewalttätig und verwirrend eingestuft. Zu viel Story, zu viele offene Enden und überhaupt diese merkwürdigen Charaktere mit zu vielen Problemen. "Anders gesagt: Dieses Memo war im Grunde unbeabsichtigterweise eine Blaupause nicht nur für das, was 'Hill Street Blues' zum großen Erfolg machte. Sondern auch 'Die Sopranos', 'Rescue Me', 'Weeds', 'Homeland', 'Dexter', 'Six Feet Under', 'Deadwood', 'Damages', 'Sons of Anarchy', 'The Wire', 'True Blood', 'Boardwalk Empire', 'Mad Men', 'Game of Thrones', 'Breaking Bad' und 'House of Cards'.“ Und Spacey setzt eindringlich nach: „Wenn diese großartige Liste an Serien nicht der beste und unmissverständliche Beweis dafür ist, dass die Kreativen die Könige des Fernsehens sind, dann weiß ich nicht, was Sie überzeugen könnte. Unsere Herausforderung ist, diese Flamme der Kreativität am Brennen zu halten."

"Der Nachwuchs sucht uns nicht mehr. Wir müssen ihn suchen."

Deswegen müsse man Talent fördern. "Wie David Lean bin auch ich enttäuscht. Enttäuscht davon, dass diese Branche nicht mehr tut um neue Talente zu finden." Doch das sei dringend nötig. "Bis heute konnte die Film- und Fernsehbranche darauf warten, dass talentierte Kreative uns schon finden werden. Wir waren lange diejenigen mit dem Schlüssel zum Königreich. Man brauchte uns, um Geschichten an ein großes Publikum zu bringen. Das ändert sich gerade und es ändert sich schnell. Eine neue Generation wächst längst nicht mehr mit dem Gefühl auf, dass das Fernsehen die erste Adresse für spannende Geschichten sei. Sie kennen nur eine unfassbar breite und große Vielfalt an Entertainment und guten Geschichten im Netz und wenn die eine gute Serie auf Netflix oder Apple TV lieben lernen, wissen die möglicherweise gar nicht mehr, auf welchem Sender die Serie ursprünglich lief. Der Nachwuchs sucht uns nicht mehr. Wir müssen ihn suchen."