ProSiebenSat.1 und Brainpool haben gesagt, die "Millionärswahl" sei ein echtes Wagnis, das entweder ganz toll werden oder in die Hose gehen könne. Was sagt Ihr Gefühl, Frau Michaelsen? In welche der beiden Richtung geht es?

Offen gestanden, hatte ich zu Beginn ein bisschen Angst. Durch die verschiedenen Online-Wahlgänge hatten wir ja immer einen guten Überblick. Es gab Phasen, in denen es mir damit nicht so gut ging, weil ich ziemlich viel Quatsch gesehen habe. Nun finde ich gut gemachten Quatsch per se nicht schlimm, aber es war halt auch schlechter Quatsch dabei. Da fragt man sich schon: Was machen wir eigentlich, wenn alle 49 Finalisten das Geld vom Dom werfen oder eine Sauftour auf Mallorca machen wollen? Zum Glück zeichnete sich aber ab, dass die Wahlberechtigten in der Community einen ganz guten Geschmack haben. Der Überhang der Kandidaten mit guten Ideen und überzeugenden Motivationen wurde immer größer. Als die letzten 49 im Dezember feststanden, haben wir uns alle einmal kurz den Schweiß aus der Stirn gewischt.

Würden Sie also sagen, dass sich Qualität auch im Netz am Ende durchsetzt?


Nicht immer, aber überraschend häufig. Ich hatte immer die Hoffnung, dass viele Leute nicht nur sinnbefreiten Quatsch sehen wollen. Nun haben es wirklich einige kreative Höchstleistungen in die TV-Shows geschafft, die teilweise mit geringsten Mitteln umgesetzt wurden und dennoch auf Anhieb faszinierten.



Welche Rolle hat dabei das Wissen gespielt, dass das Ganze nicht im Internet endet, sondern im TV münden soll?


Ich glaube, das spielt eine sehr große Rolle. Für manche Kandidaten vielleicht nicht, weil sie in erster Linie den potenziellen Millionengewinn sehen. Es sind aber viele dabei, die sich schon seit Jahren intensiv und leidenschaftlich mit einer bestimmten Sache beschäftigen, die sie uns präsentieren möchten. Die sehen eine tolle Möglichkeit darin, via TV Aufmerksamkeit auf sich und ihre Sache zu ziehen.

Wäre die Qualität im Umkehrschluss bei einem reinen Online-Wettbewerb nicht so gut ausgefallen? "Millionärswahl"-Erfinder Karsten Dusse hatte ja ursprünglich gar nicht an eine TV-Show gedacht.


Auch dann wäre eine Million Euro immer noch ein fetter Gewinn, der sicher eine gute Motivation darstellt. Man hätte theoretisch auch auf das YouTube-Prinzip setzen können, das ja immer wieder Menschen groß macht. Wer gut ist, kann sich auf diese Weise durchsetzen – auch ohne TV. Ich nenne als Beispiel gern Cro, der seine Musik auf YouTube hochgeladen hat – und auf einmal ist er der Typ mit der Pandamaske und jeder kennt ihn. Trotzdem ist der nächste große Schritt heute immer noch das Fernsehen. Wenn jemand wie Cro aus dem Netz ins TV-Studio und damit auf die gelernten Übertragungswege geht, bekommt das Ganze nochmal eine andere Wertigkeit. Mit dem Konzept der "Millionärswahl" hat man es jetzt geschafft, die beiden Welten Internet und Fernsehen sehr sinnvoll ineinander übergehen zu lassen – ohne eine Twitterwall ins Studio zu stellen und mit rotem Leuchtpfeil auf dieses Internet zu zeigen.

Wenn Sie das so formulieren, wollen Sie damit wohl sagen: Viele andere machen es zu plump und aufgesetzt, weil sie hip sein wollen.


Natürlich gibt es inzwischen einige Sendungen, die im Fernsehen und im Netz funktionieren, gerade in den digitalen Spartenkanälen. Die kann man sich ab 20 Uhr in der Mediathek anschauen und ab 23 Uhr im Fernsehen. Dafür gibt's einen Hashtag, darüber wird getwittert. Daran ist auch nichts peinlich. So läuft's von "Circus HalliGalli" bis zum "Neo Magazin". Aber anderswo sehe ich noch etliche Versuche, Netz-Content irgendwie ins Fernsehen zu drücken, indem man ihn abfilmt oder abliest. Das sind alles Gehversuche im Zuge der Zusammenführung und die sind auch alle legitim. Aber sie kommen im Netz nicht gut an, weil die Leute denken: Kein Mensch braucht 'ne Tante, die einem die Tweets vorliest.

"Ich sehe noch etliche Versuche, Netz-Content irgendwie ins Fernsehen zu drücken, indem
man ihn abfilmt oder abliest"

Jeannine Michaelsen


Die berüchtigte "Twitter-Tussi". Das haben Sie selbst aber auch gemacht, zum Beispiel bei "ZDF log in".


Da liegt die Sache ein bisschen anders. Der Ansatz von "log in" ist ja, dass der Zuschauer zu Hause endlich auch mal seine Fragen an den Mann bringen kann. Zu diesem Zweck werden natürlich Tweets und Mails vorgelesen und eingeblendet, man will ja die Quelle zeigen. Deswegen hat es da seine journalistische Berechtigung und ist nach meinem Empfinden nicht aufgesetzt.

Gibt es denn eine andere Sendung, die Sie heute nicht noch einmal machen würden?


Es wäre jetzt leicht, die Fußball-EM 2012 zu nennen, wo ich die "Twitter-Tussi" am ZDF-Fußballstrand spielen durfte. Aber ganz ehrlich: Ich würde das alles wieder genauso machen. Das war ein erster Schritt, dieses Internet irgendwie ins große, breite Fernsehen einzubauen. Natürlich war es noch nicht die Ideallösung. Aber das ZDF hat gezeigt: Wir sehen diese Entwicklung und wir nehmen sie ernst. Für die breite Masse hat es das gebraucht. Meine Oma wusste vorher nicht, was Twitter ist.

Nicht nur Twitter hat davon profitiert – auch Ihnen persönlich dürfte das einen ordentlichen Bekanntheitsschub gegeben haben.


Absolut. Ich fand es unheimlich mutig von einem so großen Sender, an einer so prominenten Sendeposition auf die weitgehend unbekannte Frau Michaelsen zu setzen. Das hat natürlich eine Reichweite generiert, die man sonst auf keinem anderen Weg erreichen könnte.