Für RTL ist "Rising Star" nichts weniger als der wichtigste Show-Neustart seit Jahren. Nachdem "Deutschland sucht den Superstar" inzwischen vollkommen zum Clown-Wettbewerb verkommen ist, fehlte es dem schwächelnden Marktführer gewissermaßen an einer ernstzunehmenden Musikshow - erst recht, seit ProSieben und Sat.1 die Kölner mit "The Voice" im direkten Vergleich ziemlich alt aussehen ließen. So gesehen ist es also nur allzu verständlich, dass RTL schnell zugriff, als mit "Rising Star" der nächste mutmaßliche Casting-Hit auf den Markt kam. Dass sich der israelische Show-Export zuletzt abseits seines Heimatmarktes nicht gerade als Erfolg entpuppte, dürfte den Kölnern in den vergangenen Wochen so manche Sorgenfalte eingebracht haben.

Eine gewisse Nervosität war dann auch am Donnerstagabend bei der Premiere von Beginn an zu spüren. Doch das sollte sich noch als das geringste Problem dieser Show herausstellen, die von sich behauptet, die erste interaktive Show zu sein, die diesen Titel auch verdient. Das Konzept ist schnell erklärt: Ein Musiker oder eine Band steht hinter einer großen Wand, die sich nur dann hebt, wenn genügend Zuschauer mittels - funktionierender, aber ansonsten überraschend schlicht geratener - App fürs Weiterkommen votieren. Das ergibt schöne Bilder und produziert im Idealfall auch noch echte Gänsehautmomente, wenn die Musiker nicht nur die Profilfotos ihrer Fans auf der Wand sehen, sondern plötzlich den jubelnden Fans im Studio gegenüberstehen. RTL und die Produktionsfirma Norddeich gaben sich jedoch alle Mühe, dieses Element so sparsam wie möglich einzusetzen.

Erschreckenderweise wurde in der ersten Sendung nämlich erstaunlich wenig gesungen. Stattdessen verkam "Rising Star" zum großen Gerede, das nur gelegentlich von einigen Gesangsdarbietungen unterbrochen wurde. Bis es überhaupt richtig losging, verstrichen schon mal satte zwölf Minuten - das ist definitiv zu viel. Erst recht, weil der Start reichlich schleppend, ja fast schon unspektakulär verlief. Kein großer Auftritt der vier Juroren, die ebenfalls ein Wörtchen mitsprechen können, wenn es ums Weiterkommen geht. Dafür aber eine lieblose Erklärung, wie genau die App-Abstimmung funktioniert. Dann endlich der erste Kandidat - ein Schüler, der die Schule schmeißen will, sollte "Rising Star" ihm zur großen Karriere verhelfen. Singen ließ ihn RTL aber trotzdem erst mal nicht.

Zunächst musste der junge Mann in epischer Breite vorgestellt werden, ehe er dann auch noch einen belanglosen Smalltalk mit dem ansonsten recht souveränen Überraschungs-Moderator Rainer Maria Jilg über sich ergehen lassen musste. Wirklich kurios ist allerdings, dass der Schüler noch vor seinem eigentlich Auftritt direkt vor dem Publikum im Studio stand. Kurios deshalb, weil jener Moment, in dem sich die große LED-Wand hebt und der Sänger erstmals in die Zuschauerreihen blickt, eigentlich der emotionale Höhepunkt von "Rising Star" sein soll. Dieser Überraschungseffekt fällt jedoch flach, wenn der Kandidat längst weiß, was ihn auf der anderen Seite erwartet. Das ist in etwa so als würden die Coaches von "The Voice" ihre Sänger vor dem Auftritt per Handschlag begrüßen. Immerhin besannen sich die Macher von "Rising Star" weiteren Verlauf der Show aber ganz offensichtlich eines Besseren und ließen die Musiker erst mal im wahrsten Sinne des Wortes vor die Wand laufen.

Die machte dann auch tatsächlich einiges her und wirkte im Übrigen deutlich opulenter als etwa im gefloppten US-Pendant. Doch die Wand alleine macht eben noch keine gute Show. Sicher: Gerade im Vergleich zu "Deutschland sucht den Superstar" kommt "Rising Star" für RTL-Verhältnisse wohltuend bodenständig daher. Eine Freakshow ist das neue Casting nicht. Leider wurden an anderen Stellen völlig falsche Prioriäten gesetzt. Jedem Auftritt eine über dreiminütige, meist langatmige Homestory vorzuschieben, war dann doch zu viel des Guten. Im Falle eines Kandidaten packten die Macher einen nicht enden wollende Blick ins private Fotoalbum, die Lebensgeschichte im Schnelldurchlauf, einen Friseurbesuch und die anschließende Überraschung der Ehefrau in nur einen Film. Das soll vermutlich die Bindung erhöhen, wirkt mit der Zeit aber schlicht nur noch nervig.

Dass die Einspieler letztlich länger sind als die eigentlichen Auftritte, ist schon alleine deshalb absurd, weil dadurch in erster Linie für Sympathien abgestimmt wird und kaum noch für die eigentliche Gesangsleistung. Eine Kandidatin brachte es auf diese Weise schon auf acht Prozent der nötigen Stimmen, ohne überhaupt einen Ton angestimmt zu haben. Da konnte dann auch die zweifelsohne aufwendige Inszenierung nur noch wenig retten, zumal zu allem Überfluss auch die Jury-Bewertungen viel zu ausschweifend gerieten. Selbst wenn einzelne Kandidaten nicht genügend Stimmen erhielten, um die Wand emporsteigen zu lassen, nahmen die Kommentare fast kein Ende. Dass Popsängerin Anastacia die deutsche Sprache nicht beherrscht und Rapper Gentleman ("Es gibt hier keine Verlierer") sogar bei schwachen Darbietungen durchweg lobende Worte fand, machte die Prozedur nur noch zäher.

Einzig Joy Denalane und Sasha fanden mitunter die richtigen Worte. "Es fehlte mir der Rotz", gab Sasha einem der Kandidaten mit auf den Weg. Gewissermaßen gilt das ärgerlicherweise auch für die komplette Sendung, die eigentlich erst nach über einer Stunde erstmals richtig spannend wurde, weil bis zur letzten Sekunde eines Auftritts nicht klar war, ob einer der Kandidaten die fürs Erreichen der nächsten Runde notwendige Hürde von 75 Prozent positiver Bewertungen überwinden würde. Was also bleibt von "Rising Star"? In erster Linie ein riesiges Fragezeichen, ob die Show in dieser Form tatsächlich zum erhofft großen Hit für RTL werden kann. Zu unausgereift wirkte die gut zweistündige Premieren-Ausgabe, die zwar optisch opulent daherkam, letztlich aber Tempo und eine Konzentration auf das Wesentliche vermissen ließ. So jedenfalls läuft der Sender Gefahr, "Rising Star" im wahrsten Sinne des Wortes gegen die Wand zu fahren.