Dieser Mann ist ein Schlag ins Gesicht aller überkommenen Konventionen. Er ist ein Proll, ein Pöbler, ein Verbalpisser der schwer ätzenden Sorte und vielleicht gerade deshalb so gut.

Serdar Somuncu macht nun auch Talk. Eine Weile schon. Bei n-tv.

Das sind gleich drei Dinge, die nicht zueinander passen. Ein Kanal, der sich Nachrichtensender nennt, obwohl man ihn am besten tonlos in Autowaschanlagen ertragen kann, kollidiert erst einmal mit dem Begriff Talk. Und dann ist da noch Somuncu, der grundsätzlich mit allem kollidiert, wahrscheinlich morgens nach dem Aufstehen auch mit seinem eigenen Spiegelbild.

Er hat eine Form von Humor, die erst einmal gewöhnungsbedürftig ist, wenn man deutsches Kabarett und die zugehörige Comedyabteilung gewöhnt ist und weiß, dass es in beiden Fällen viel zu oft um pure Volksbelustigung ehemaliger Montessori-Schüler geht.

Somuncu schert das nicht. Er geht jedem vorauseilenden Konsens aus dem Wege und zeigt immer erst einmal, wie das geht mit der verbalen Blutgrätsche. „So! Muncu!“ heißt sein Format, das er nach eigenem Bekunden in der Tradition eines Christoph Schlingensief sieht. Da ist ein bisschen was Richtiges dran. Auch Schlingensief lag zwecks nachhaltigen Erkenntnisgewinns an der Erzeugung von größtmöglicher Verwirrung, am Bruch der Gewohnheiten, an allgemeiner Verunsicherung. Allerdings setzte Schlingensief seine Injektionen stets aus der Position des brav dreinblickenden Bübchens, das mal etwas ausprobieren möchte.

Somuncu kommt von der Gegenseite. Er kultiviert seine aggressive Komik mit Haudrauf-Aktionen. Er brüllt seine Gäste an, fährt ihnen über den Mund, behandelt sie wie Dreck, um ihnen im nächsten Moment derart zu schmeicheln, dass sie gleich wieder ganz weich werden. Das ist seine Qualität. Er schafft es, den Aggro-Approach mit Charme zu hinterlegen und ist in der Kombination aus Dreistigkeit und unschuldig wirkender Hab-ich-doch-nicht-so-gemeint-Geste einem junge Hape Kerkeling nicht unähnlich. Auch den zeichnete aus, dass er richtig frech werden konnte, ohne dass es jemand schaffte, ihm das wirklich übel zu nehmen. Man erkennt das noch viel besser, wenn man mal ein paar Folgen vom Literarischen Quartett schaut und mitbekommt, wie sich dort Maxim Biller als Querulant inszeniert und keinerlei Charme mitbringt, der ihn nach seinen Tiraden wieder sozialkompatibel erscheinen lassen könnte.

Jeweils am letzten Freitag im Monat schlägt „So! Muncu!“ bei n-tv auf, aber man muss nicht in irgendeine Waschanlage rennen und dort bitten, dass sie mal den Ton einschalten. Man kann die bisherigen vier Folgen jederzeit bei TVnow.de abrufen, auch auf die Gefahr hin, dass man sich zwischendrin von höchst unsensibel reingeklatschter Werbung nerven lassen muss.

Zum Einstieg empfehle ich die jüngste Folge, in der Somuncu anbietet, aufzuklären, was man immer schon mal über Türken wissen wollte. Schließlich galt er lange als der freche Türke vom Dienst, musste in der „heute-show“ immer wieder als Türsteher-Prolet vom Dienst so eine Art Multikulti-Hassknecht geben. Immerhin werde er von der „heute-show“ nicht zensiert, lobte er dafür die Redaktion und gibt ihr zum Start des n-tv-Talks einen sehr schönen Satz mit. „Gehen Sie nicht zu den Arschpfeifen von der ZDF-'heute-show' oder so. Da sind Türken, die spielen Türken so, wie sie glauben, dass sie Türken spielen müssten, damit andere, die nicht wissen, wie Türken sind, denken, dass Türken so sind wie sie gespielt werden von Türken, die gar keine Türken sind.“ Klingt aufgeschrieben sehr konstruiert, kommt gebrüllt aber sehr klar und komisch rüber. Zumal wenn man weiß, dass der Rufer ja eigentlich sich selbst meint.

Somuncu tut auch so, als habe er keinen Respekt vor seinen Gästen. Als etwa die Schauspielerin Pegah Ferydoni eine seiner Fragen nicht gleich kapiert, herrscht er sie prompt an. „Lern du erst mal Deutsch“, brüllt er, aber dann spielt da wieder dieses hilflose Lächeln um seine Lippen, das ihn verrät als Menschen mit guten Absichten und dem Willen zum Erkenntnisgewinn.

So karikiert er mit seinen Aktionen die Machenschaften des handelsüblichen Talks. Er ist irgendetwas sehr Originelles im weiten Feld zwischen Michel Friedman und Maybrit Illner. Deckungsgleich mit niemandem.

Ab und an muss der Gastgeber übrigens auf die Stille Treppe. Dorthin wird er zitiert von einer Off-Stimme, die zu Friedrich Küppersbusch gehört. Das TV-Urgestein (Tagesschaum/Lucky & Fred-Podcast) ist Produzent dieser Show und präsentiert sich in Trailern gerne mal als der gestrenge Herr, der diesen wilden Straßenköter namens Serdar zu domestizieren weiß.

Aber selbst ein Könner wie Küppersbusch kann nicht vermeiden, dass nach ein paar Folgen von „So! Muncu!“ durchschimmert, was für ein netter Kerl dieser Somuncu doch sein muss. Er ist im besten Sinne deutsch, geschlagen mit all den Tugenden, für die man dieses Land ruhig mal liebhaben kann. Er ist ein Menschenfreund, ein Gutmeiner, ein Besserwoller. Allerdings darf das keiner wissen, weil ansonsten sein Geschäftsmodell als alternativer Hassprediger wanken würde. Und weil das keiner wissen darf, verrate ich es hier natürlich auch nicht. Ich rate nur: Schaltet mal rein. Oder um es im Somuncu-Slang zu sagen: Schaut hin, ihr verdammten Arschgeigen! Diese debile Hackfresse lohnt sich.