Wann haben Sie eigentlich das letzte Mal tagsüber bei Sat.1 reingeschaut? Wer das derzeit für ein paar Stündchen tut, könnte Gefahr laufen, bald an jeder Ecke wahlweise einen Raubüberfall, einen Autoklau oder eine Schlägerei zu vermuten, denn überall sind sie unterwegs, die Einsatzteams von "Auf Streife". Mit Formaten dieser Art ist Sat.1 inzwischen ein derart großer Erfolg gelungen, dass der Sender seit Beginn dieser Woche sogar dazu übergangen ist, in bester "XY"-Manier selbst auf Verbrecherjagd zu gehen – und zwar täglich. "Fahndung Deutschland" nennt sich der neueste Hoffnungsschimmer im Vorabendprogramm, hinter dem die Maz-&-More-Crew des "Frühstücksfernsehens" steht. 

Wenn Moderatorin Simone Panteleit das Studio betritt, dann geht neuerdings zusätzlich zum Rotlicht auch das Blaulicht an. Und das ist nicht mal übertrieben: An allen Ecken und Enden der kleinen Kulissen blinkt es so sehr, dass man sich als Zuschauer bald schon fragt, was die Frau denn wohl verbrochen haben mag. In Wirklichkeit fungiert Panteleit natürlich als Fachkraft für das sachgerechte Ansagen verschiedener Filmchen, die dem geneigten Zuschauer vor Augen führen sollen, welch schlimme Dinge ihm wiederfahren können, wenn er am Tage über die Straße läuft oder des Nachts tief schlummernd im Bettchen liegt. Panteleit leistet sich keinen Fehler und sagt im Laufe der Stunde gleich neun Berichte an, in denen eine recht beachtliche Bandbreite kleiner und großer Verbrechen abgedeckt wird.

Vom verschwundenen Baby bis hin zum Reifenstecher reicht die Palette der Themen, die sich die Redaktion von "Fahndung Deutschland" zum Start ausgesucht hat. Viel Zeit, um Luft zu holen, bleibt da nicht – und noch bevor die Moderatorin die Zuschauer begrüßt, beginnt der erste Fall. Schüsse in Köln, geschehen an diesem Montag. Vom "Anschlag mitten im Wohngebiet" ist die Rede und von einem Unbekannten, der sich in einem Ford mit Luxemburger Kennzeichen vom Acker gemacht haben soll. Eine Zeugin kommt zu Wort. Sie wisse nicht, ob sie ihren Sohn noch auf die Straße schicken kann, sagt sie und meint das offenkundig ernst, obwohl sie dabei lachen muss. Eine Polizeisprecherin macht danach noch einmal klar, dass die Schüsse kein Witz sind und hofft nun auf die tatkräftige Mithilfe der Sat.1-Zuschauer.

Schon geht’s weiter. Nun steht das so genannte "Horror-Haus von Höxter", das in den vergangenen Tagen viele Schlagzeilen produzierte, mit neuen Ermittlungsergebnissen auf dem Plan. Der folgende Bericht offenbart, dass sich hinter der Sendung zumindest stellenweise ein recht ordentlich produziertes Boulevardmagazin versteckt, in dem es eben nicht nur darum geht, einen oder mehrere Täter zu jagen, sondern auch persönliche Geschichten zu erzählen. So darf die angeblich beste Freundin einer Ermordeten vor der Kamera erzählen, wie sie deren Beziehung zum "Horror-Haus"-Mörder empfand. Später in der Sendung spricht der Besitzer eines Elektronikladens über zwei Einbrüche, die sich innerhalb weniger Tage bei ihm ereigneten.

Zwischendrin wird eine ältere Dame vorgestellt, die dabei half, eine Verbrecherbande auffliegen zu lassen, indem sie den angewandten "Enkeltrick" durchschaute. Und schließlich erzählt eine junge Frau davon, wie sie durch die unbemerkte Einnahme von K.O.-Tropfen Opfer einer Vergewaltigung wurde, auch wenn der mutmaßliche Täter später mangels Beweisen freigesprochen wurde. Ein Selbstversuch soll mehr oder weniger eindringlich zeigen, wie man sich zu verhalten hat, sollte man selbst einmal solch gefährliche Tropfen zu sich genommen haben. Geschichten wie diese sieht man streng genommen tagtäglich in Magazinen wie "Brisant" oder "Hallo Deutschland" – mit dem Unterschied, dass Sat.1 am Ende der Berichte noch die Telefonnummer der zuständigen Polizeistelle einblendet.

Mit knapp einer Stunde täglich ist "Fahndung Deutschland" auf Dauer gesehen womöglich etwas zu lang geraten, doch mit den echten Fällen hat Sat.1 ganz gute Chancen, den Nerv des Publikums zu treffen, das gerade nach immer neuen Blaulicht-Geschichten lechzt. Quasi nebenbei verhilft die Tagesaktualität dem live produzierten Magazin sogar zu einer gewissen Relevanz, die man dem Sender im Vorabendprogramm beinahe schon gar nicht mehr zugetraut hat. Zunächst will Sat.1 übrigens bis zur Fußball-EM ermitteln lassen, wie groß die Verbrechenslust der Zuschauer wirklich ist. Und sollte das Magazin wider Erwarten doch nicht so gut ankommen wie gedacht, kann man ja gleich die nächste Fahndung einleiten – nach dem erhofften Hit fürs Vorabendprogramm.

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