Dies ist zwar keine antike Tragödie, und doch beginnt die Geschichte mit einem doppelten Verrat. Es ist die Geschichte der Produktionsfirma Brainpool TV, deren Gründern eine einzigartige Erfolgsstory gelang. Durch Höhen und Tiefen, durch verschiedenste Eigner- und Konzernstrukturen schufen sie ein besonderes Konstrukt.

Bis die Kraft des Einzigartigen irgendwann nachließ und Brainpool eine ganz normale Produktionsfirma wie Dutzende andere wurde. Aufstieg und Niedergang lassen sich in einer so people-getriebenen Branche wie der Fernsehunterhaltung gut an der Konjunktur von Köpfen festmachen. Das gilt auch – und ganz besonders – für Brainpool.

 

Was hätte nicht alles aus Thomas Koschwitz werden können? Vielleicht so etwas wie der deutsche Jay Leno. Also einer, der den spätabends zuschauenden Teil der TV-Nation über viele Jahre hinweg mit verlässlicher Regelmäßigkeit und einer ordentlichen Prise Humor ins Bett schickt. Jörg Grabosch, bei Brainpool von Beginn an primus inter pares, hat dafür gesorgt, dass dieses Ziel für Koschwitz eine Zeit lang realistisch erschien. Aber ebenso dafür, dass er es nie erreicht hat.

Der damalige RTL-Programmdirektor Marc Conrad holte Grabosch 1994 von Hamburg nach Köln, als er einen kreativen Kopf für die Late Night brauchte. Was der Sender hatte, waren ein von Thomas Gottschalk erfolgreich eingerittener Spätsendeplatz, dessen Sommerpause und ein knuffiges Kerlchen vom Radio als Urlaubsvertretung. Was Conrad wollte, war ein stärker an US-Genreregeln orientiertes Format, als Gottschalk es in seinen Plauderrunden pflegte. Der gelernte Journalist Grabosch hatte sich als Chefredakteur des Pay-TV-Senders Premiere mit dem täglich unverschlüsselt ausgestrahlten Interview-Magazin "0137" und der Call-in-Show "0137 Night Talk" hervorgetan. Junge Talente wie Roger Willemsen, Sandra Maischberger und Bettina Rust führten dort Gespräche, die ungewohnt intensiv, direkt und tief greifend wirkten.

Grabosch wechselte also zur RTL-Tochterfirma Medienfabrik nach Hürth bei Köln, brachte dort als Executive Producer die "RTL Nachtshow mit Thomas Koschwitz" auf den Sender. Weil er sich nach kurzer Zeit mit dem Geschäftsführer der Firma zerstritt, erhielt er eine fristlose Kündigung inklusive Hausverbot. "Dann kam aber Thoma", so Graboschs heutige Erinnerung an den heißen Herbst 1994 und an die Intervention des damaligen RTL-Chefs, "und hat gesagt: 'Das geht nicht. Wir wollen nicht, dass der woanders hingeht mit seinem Late-Night-Know-how, das wir mitbezahlt haben.'"

Was der Produzent im Interview fürs "Jahrbuch Fernsehen 2016" schildert, ist die Geburtsstunde von Brainpool. Seine beiden Chefautoren Ralf Günther und Martin Keß verließen die Medienfabrik mit Grabosch, um die eigene Firma zu gründen. Winzersohn Keß verpfändete seinen Weinberg an der Mosel, um an Kapital zu kommen. Nach kurzer Hängepartie erteilte RTL einen Millionenauftrag zur Fortführung der "Nachtshow". Das Abenteuer dauerte freilich kein Jahr – weil es Streit um eine Beteiligung an Brainpool gab, die RTL einforderte, und weil Sat.1 in Gestalt von Senderchef Fred Kogel und Moderator Harald Schmidt dazwischenkam. Brainpool lief mit wehenden Fahnen über.

"Wir haben keinen Piloten gemacht, gar nichts", so Grabosch. "Wir haben einfach einen Zweijahresjob plus ein Jahr Option gekriegt, weil ich mich – und das war auch Zufall – mit Kogel und Schmidt stundenlang darüber unterhalten habe." Ohne Produzent und mit drohender Konkurrenz stellte RTL die "Nachtshow" Ende 1995 kurz vor Sendestart der "Harald Schmidt Show" ein. Koschwitz blieb auf der Strecke und gab später in der "Zeit" zu Protokoll: "Für Jörg Grabosch gibt es nur Jörg Grabosch!"

"Aus der Not geboren ein Riesenerfolg"

Brainpool-Chef Jörg Grabosch über die Anfänge von "TV total"


Der umgekehrte Verrat kam 1998: Nach 450 Folgen "Harald Schmidt Show" eröffnete der Protagonist dem Produzenten, er werde das Format fortan selbst produzieren. Im selben Jahr floppte krachend die tägliche "Ulla Kock am Brink Show" bei ProSieben. Aus diesem Tief zogen Grabosch, Günther und Keß ihre Lehren, die zum berüchtigten, in der Branche offen bewunderten Brainpool-Modell führten: Von nun an wurden die Künstler unternehmerisch eingebunden, mit Produktions-Joint-Ventures zwischen dem jeweiligen Star und Brainpool. Gegenüber den Sendern setzten sie statt des herkömmlichen Auftragsproduktionsmodells meistens ein Lizenzmodell durch, nach dem nur eine Ausstrahlung an den Sender ging und alle Rechte bei Brainpool verblieben.

Aus der Asche der "Kock am Brink Show" stieg ausgerechnet jener Phoenix empor, der das Modell später am konsequentesten und erfolgreichsten ausreizen sollte – Stefan Raab. Für das missglückte Vorabendformat musste schnell Ersatz her, weil Brainpool von ProSieben einen Zweijahresvertrag bekommen hatte. In der Schublade gab es einen Show-Piloten mit dem damaligen Viva-Moderator, aus dem "TV total" wurde. "Und das haben wir dann [ProSieben-Chef] Georg Kofler angeboten", so Grabosch im "Jahrbuch Fernsehen", "der, wenn ich mich recht erinnere, gesagt hat: 'Nee, nur über meine Leiche kommt der ins Programm, dieser Viva-Kasper.' Dann war aber die Frage: 'Nur über meine Leiche ins Programm' oder aber sehr viel Geld für gar nichts ausgeben. Da hat er die Armageddon-Klausel erfunden und hat gesagt: 'Vier Folgen, und dann zieh' ich den Stecker, wenn's nicht funktioniert. Und wehe, es funktioniert nicht!' Und dann natürlich, wie es sich gehört: Die erste Folge hatte schon 19 Prozent Marktanteil, die nächste 20. Aus der Not geboren ein Riesenerfolg."

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