Der Rückzug von Anke Schäferkordt nach immerhin 27 Jahren in der Kölner Sendergruppe traf vergangene Woche auf ein vergleichsweise leises Echo. Gerade einmal eine schmale Spalte auf der Medienseite der „FAZ“, in der „Süddeutschen“ eine Notiz im Wirtschafts-Ressort. Als News ging es kurzzeitig einmal durch die Online-Portale, nur wenige Fachdienste widmeten sich dem Thema ausführlicher.

Der journalistische Umgang mit dem überraschenden, kurzfristigen Personalwechsel an der Spitze der Mediengruppe RTL Deutschland setzt damit fort, was seit längerem zu beobachten ist: Mit Netflix und Amazon hat das Feuilleton neue Lieblinge gewonnen, rezensiert selbst mittelmäßig relevante SVoD-Produktionen in früher undenkbarer Länge.



Das lineare Fernsehen, obgleich täglich von dutzendfach mehr Menschen genutzt als SVoD-Angebote, ist für die Medienseiten - wenn nicht mal wieder über Rundfunkbeitrag debattiert wird - unsexy geworden. Das ist eines der Probleme, mit denen sich künftig Schäferkordts Nachfolger an der Spitze der Mediengruppe RTL Deutschland, Bernd Reichart, herumschlagen muss.

Bemerkenswert an der Berichterstattung vor einer Woche ist aber auch: Noch weit weniger Beobachtung als Anke Schäferkordts Rückzug nach einer beispiellosen Karriere (DWDL.de-Analyse von Torsten Zarges) fand die ebenfalls interessante Frage, wer eigentlich bei Vox auf Bernd Reichart folgen wird, wenn dieser schon in gut einem Monat an die Spitze der Sendergruppe wechselt.

Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei Vox ebenso wie Produzenten die für den Sender eint das Rätselraten: Wer wird 33 Tagen die Führung übernehmen? Oder wird Bernd Reichart zunächst in Doppelfunktion agieren müssen, wenn nicht rechtzeitig eine Nachfolgerin oder ein Nachfolger gefunden sind? Derartige personelle Ungewissheit ist ungewohnt für die Kölner Mediengruppe.

Aber wer könnte nun folgen bei Vox? Einen Kronprinzen oder eine Kronprinzessin gibt es nicht. Und Bernd Reichart war in der Branche ein Unbekannter, als Schäferkordt ihn aus Spanien an den Rhein holte. Mit anderen Worten: Jeder könnte es werden. Mit Reichart hatte vorher auch niemand gerechnet. Kommt also einmal mehr der oder die große Unbekannte?

Es scheint unwahrscheinlicher als beim letzten Führungswechsel bei Vox: Der Sender wurde von Bernd Reichart in den vergangenen Jahren auf Basis des von Frank Hoffmann initierten Erfolgs stark aufgestellt. Ein deutlicher Kurswechsel bzw. frischer Wind von außen? Nicht zwingend nötig. Das macht eine interne bzw. vertraute Lösung denkbar. Da mangelt es nicht an Möglichkeiten.

Kai Sturm© Vox/Guido Lange
Mit Chefredakteur Kai Sturm (58, Foto) und Programmdirektorin Ladja von Eeden (57) hat Vox zwei sehr profilierte und mehrfach ausgezeichnete Fernsehmacher an Bord, die den Sender so gut kennen wie sonst niemand. Von Eeden ist seit 18 Jahren Programmdirektorin, Sturm seit 12 Jahren Chefredakteur. Aber hätten beide wenn, dann nicht schon früher aufrücken müssen? Eher unwahrscheinlich daher, dass es jetzt einer der beiden Vox-Veteranen wird.

Marcel Amruschkewitz© Vox
Wird Vox nach Reichart noch einmal jünger? Denkbar ist der Aufstieg von Marcel Amruschkewitz. Der 37-Jährige ist seit mehr als sieben Jahren beim Sender, inzwischen seit vier Jahren auch Leiter der Creative Unit der Mediengruppe RTL Deutschland und wird vom scheidenen Vox-Geschäftsführer Reichart für sein Trendgespür auf dem internationalen TV-Markt sehr geschätzt. Hauke Bartel, seit anderthalb Jahren Fiction-Chef bei Vox und insgesamt vier Jahre in der Sendergruppe, wäre die gleiche Generation. Sein Aufstieg käme aber vielleicht noch etwas zu früh.

Oliver Schablitzki© RTL / Frank Hempel
Weitet man den Blick auf die Mediengruppe RTL Deutschland aus, empfehlen sich Nitro-Chef Oliver Schablitzki (Foto) und Jan-Peter Lacher (verantwortlich für RTLplus bzw. Programmplanung RTL) als versierte Fernsehmacher grundsätzlich nach Senderfamilien-Logik irgendwann für höhere Aufgaben. Doch all diese Überlegungen haben einen Haken: Mit dem Ausscheiden von Anke Schäferkordt wird die Mediengruppe RTL Deutschland zu einem Boys Club. Schäferkordt war stets die starke Frau an der Spitze, umgeben ausschließlich von Männern. Nirgends in der Mediengruppe RTL Deutschland wäre nach ihrem Ausscheiden eine Frau in Führungspositionen.

Katja Hofem© ProSiebenSat.1
Eine interne Lösung aus der Mediengruppe RTL Deutschland heraus wäre dann eine Überraschung bzw. Beförderung von ungewohntem Personal. Bleibt der Blick in die internationale RTL Group, wie bei Bernd Reichart, oder aber der Konkurrenz. Mit dem erfolgreichen Launch von DMAX und Sixx hat sich ProSiebenSat.1-Managerin Katja Hofem in der Branche einen starken Namen gemacht, allerdings bei Kabel Eins - ihrer letzten Senderstation - wenig reißen können.

Anke Greifeneder© Turner
Und dann gibt es noch eine interessante Option, die aufgrund privater Bindungen allerdings dann doch auch wieder schwierig wird: Anke Greifeneder, Head of Original Programming bei Turner in München, gilt in der Branche als genauso zugänglich, unkompliziert und pragmatisch wie Bernd Reichart. Sie galt wie auch Bernd Reichart als prominentestes Gegenbeispiel für das langjährige Redakteursfernsehen, weil sie Kreativen freien Lauf lässt. Die Mentalität würde passen.

Henning Tewes© RTL Group
Schaut man sich noch einmal bei den Sendern der RTL Group in Europa um, landet man bei einem weiteren Herren, der Bernd Reichart beerben könnte: Henning Tewes, derzeit bei RTL Croatia tätig. Er hatte für die RTL Group zuvor die Nachrichtenagentur Enex geleitet und ist bereits seit 2005 im Konzern. Seine Benennung käme einer Wiederholung von Reicharts Berufung gleich: Aus anderen europäischen Märkten nach Deutschland zurückgeholt.

Aber all das ist reine Spekulation. Binnen der nächsten gut drei Wochen sollte die Mediengruppe RTL Deutschland eine Antwort geben können. Sonst muss Reichart ab Januar vorläufig in einer Doppelrolle ran. Das wäre pragmatisch gesehen kein Problem, aber würde die Phase der Ungewissheit unnötig in die Länge ziehen und kann Vox damit eigentlich nicht gut tun.

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