Frau Wilson, normalerweise bekommen Sie als Schauspielerin ein Drehbuch und lernen Ihre Dialoge. Wie irritierend war da im Vergleich der Blindflug der Improvisation?

Lavinia Wilson: Sowas hatte ich vorher noch nie gemacht. Ein Jahr vor den eigentlichen Dreharbeiten haben wir schon einen Teaser gedreht, bei dem wir uns alle gegenseitig kennenlernen und ausprobieren konnten. Das war hilfreich, weil ich ein Gefühl dafür bekommen habe, was mit all dem Material passiert, das wir am Set abliefern. Das hat viel mit Kontrollverlust zu tun. Je weniger man darüber nachdenkt, desto besser. Ich würde nicht immer und auch nicht mit jedem so arbeiten wollen, aber mit dieser Gruppe hat es unglaublichen Spaß gemacht. 

Lutz Heineking, jr.: Ganz ehrlich: Ich muss das auch nicht immer haben. Aber bei einer Mockumentary ist es mir extrem wichtig, dass die Figuren aus sich selbst heraus agieren, damit wir eine gewisse Echtheit erzeugen. Das schaffen wir durchs Improvisieren und dadurch, dass wir es hinterher wie einen Dokumentarfilm schneiden. Die Überraschungen, die das echte Leben so bietet, sollen auch Überraschungen für die Schauspieler sein.

Das ist nicht unbedingt weniger Arbeit für Schauspieler, oder?

Wilson: Im Gegenteil: Man muss sich noch besser vorbereiten als sonst, weil man in jeder Situation figurenadäquat reagieren können muss. Während des Drehs hatte ich eine ganz andere Adrenalinausschüttung als sonst. Man weiß nie, was in der nächsten Sekunde passiert. Man weiß nie, mit welcher Agenda die anderen Schauspieler in die nächste Szene geschickt werden. Da muss man sehr wach bleiben, und zwar über Takes, die 30 bis 45 Minuten dauern können. Bei klassischen Dreharbeiten gilt schon ein 5-Minuten-Take als sehr lang. Lutz hat uns eingebläut: Solange keiner stirbt, darf man den Take nicht abbrechen. Hinzu kommt, dass sich das Team in einem anderen Raum versteckt, um nicht ins Bild zu geraten. Da fragt man sich manchmal: Guckt eigentlich noch jemand zu?

Heineking: Das sind tatsächlich ziemlich intensive Drehzeiten und es kommt durchaus öfter mal vor, dass niemand mehr zuguckt...

Wilson: Ey, Lutz, das wollte ich nicht hören!

Heineking: ... aber es hört immer jemand zu, und das ist viel wichtiger. Wir wissen immer ganz genau, wo wir sind, was wir haben und was wir noch brauchen. Das funktioniert für mich am besten übers Zuhören per Headset.

Wenn die Eltern in "Andere Eltern" beispielsweise über das Für und Wider von Fleisch oder Impfungen streiten: Kann man sich die Vorarbeit in etwa so vorstellen wie bei einer Talkshow? Da werden Politiker von ihren Mitarbeitern mit möglichst guten Argumenten für die eigene Haltung gebrieft, ohne genau zu wissen, was die anderen Teilnehmer sagen werden.

Heineking: Der Vergleich trifft es eins zu eins...

Wilson: ... wobei ich keinen Briefer hatte. Ich musste mich schon selbst informieren.

Heineking: Lavinia, da muss ich dir einfach mal sagen: Du bist als Mutter schon extrem gut informiert. Worauf sollte ich dich noch vorbereiten? Zumindest haben wir ein paar Links rumgeschickt. Und wenn eine Figur Impfgegner sein sollte, deren Darsteller im wahren Leben kein Impfgegner ist, haben wir einige mögliche Argumente an die Hand gegeben.

"Echte Helikopter-Eltern würden sich niemals unironisch als solche bezeichnen"

Lavinia Wilson, Schauspielerin und Mutter

 

Konnten Sie denn viele Ihrer echten Mutter-Erfahrungen einbringen, Frau Wilson? Sie sind doch nicht etwa so eine Helikopter-Mutter wie die, die Sie in der Serie karikieren?

Wilson: Echte Helikopter-Eltern würden sich niemals unironisch als solche bezeichnen. (lacht) Sagen wir mal so: Ich habe den stressigen Lavinia-Anteil in die Figur der Nina mit hineingenommen und den entspannten Teil meiner Person weggelassen, um die Komik zu befördern. Die Erfahrung des Elternseins hilft auf jeden Fall zu verstehen, woher das kommt, dass die sich alle so bescheuert benehmen: nämlich aus Not, Verletzlichkeit und bedingungsloser Liebe den Kindern gegenüber. Würde man das nicht verstehen, wäre die Gefahr groß, sich darüber lustig zu machen. Diese Elternfiguren sind zwar saukomisch, wir wollen sie aber nicht vorführen. Eigentlich ist der Narzissmus, der da auf die Kinder gestülpt wird, auch ein Brennglas für viele andere gesellschaftliche Entwicklungen.

Heineking: Na ja, bei mir ist es schon auch so ein Grundhass auf die Eltern um mich herum, der mich antreibt. Also Hass im liebevollen Sinne. (lacht) Es ist eben Comedy-Gold, das kann man nicht anders sagen. Es macht großen Spaß, das zu übersteigern, was man so in der Kita mitkriegt. Nennen wir es ein ironisch-sarkastisches, aber durchaus liebevolles Porträt unserer Generation.

Andere Eltern – Crew© Tom Trambow/eitelsonnenschein/Turner
Worauf haben Sie beim Casting geachtet?

Heineking: Das klingt jetzt, als würde ich da gottgleich sitzen – aber ich weiß wirklich innerhalb von zwei Minuten: Der kann's, der kann's nicht. Wer's nicht kann, ist deshalb kein schlechter Schauspieler. Improvisationsstärke ist einfach nicht jedermanns Ding. In diesem Fall kam erschwerend hinzu, dass ich ja ein Ensemble brauchte, das auch im Zusammenspiel miteinander gut funktioniert.

Die letzten TNT-Serien wie "4 Blocks" oder "Arthurs Gesetz" haben sich auch international gut verkauft. Welches Potenzial hat "Andere Eltern" außerhalb Deutschlands?

Heineking: Das Schwierigste ist immer, dem Ausland zu erklären, dass es überhaupt deutsche Komödie gibt...

Wilson: ... dass es lustige deutsche Komödie gibt.

Frau Wilson, Herr Heineking, herzlichen Dank für das Gespräch.

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