Häufig schon hat DWDL.de in den vergangenen 17 Jahren kritisiert, dass ARD und ZDF bei Nachrichtenlagen von akuter Relevanz erst spät reagieren und oft damit hadern, ihr regulär geplantes Programm für eine längere Live-Strecke zu unterbrechen. Beim Brand der Pariser Kathedrale Notre Dame, der am frühen Montagabend ausbrach, gab es auch sehr schnell ähnliche Kritik von prominenter Stelle: NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) twitterte seinen Unmut, die ehemalige WDR-Chefredakteurin und „Monitor“-Moderatorin Sonia Seymour Mikich stimmte mit ein. Auch Ulrich Deppendorf, früherer Leiter des ARD-Haupstadtstudio meldete sich zu Wort.



Armin Laschet fragte „Warum muss man CNN einschalten während die ARD Tierfilme zeigt?“ und legte später nach: „Russia Today und Al Jazeera berichten, rechte Hetzer verbreiten erste Verschwörungstheorien und der öffentlich-rechtlich Rundfunk schläft.“ Sonia Seymour Mikich ist besonders von einem Sender enttäuscht. Sie twitterte: „Warum muss ich so lange bei CNN oder BBC einschalten? Tagesschau24 ist doch genau dafür geeignet?“ Und kurz danach nochmal: „Und tagesschau24? BBC,CNN, Russia today und Al Jazeera schaffen es doch auch.“. Ulrich Deppendorf wiederum hatte Erwartungen ans Erste: „Warum gab es keinen ARD-Brennpunkt zum Brand von Notre Dame, neben dem Eiffelturm das Symbol Frankreichs? Schwer nachzuvollziehen.“

Die Situation scheint also auf den ersten Blick altbekannt. ARD und ZDF haben wieder einmal geschlafen! Obwohl auch wir oft die Trägheit kritisiert haben, halte ich es für diesmal jedoch für höchst unglücklich dieses Fass anlässlich des Brandes der Pariser Kathedrale aufzumachen. Denn es gibt elementare Unterschiede: Ja, ARD und ZDF müssten häufiger schneller drauf sein bei akuten und unübersichtlichen Gefahrenlage, um stetig dazu kommendes Publikum auf dem Laufenden zu halten und das Gefühl zu geben, in guten Händen zu sein. Die Vergewisserung, dass sich jemand kümmert und mich informiert, ist als weicher Wert eines laufenden Live-Programms nicht zu unterschätzen. Da geht es im besten Wortsinne um Public Service Broadcasting, wie der öffentlich-rechtliche Rundfunk im Englischen genannt wird.

Eine brennende Kathedrale, so weltberühmt Notre Dame auch ist, gehört jedoch nicht zu einer akuten Gefahrenlage. Das live im Hauptprogramm? Es wäre eher Desaster Porn. Bei Terroranschlägen, Amokläufen und Naturkatastrophen, bei denen sich in der akuten Situation seriöse und unseriöse Meldungen überschlagen, in denen Irritation über das herrscht, was passiert ist und was nicht; was bestätigt ist und was nicht - da ist eine stetige Einordnung wichtig. Und bei Vorkommnissen in Deutschland auch Public Service im Sinne einer Warnung oder Beruhigung der betroffenen Bevölkerung. In Paris jedoch brannte am Montagabend eine Kathedrale. Stundenlang. Das ist tragisch und sehr emotional, aber im Nachrichtenwert begrenzt. Es wäre ein Irrtum, das in einen Topf zu werfen.

Ja, Journalistinnen und Journalisten sowie das Publikum sind fasziniert vom Blick auf Notre Dame in Flammen. Es ist der Nervenkitzel unserer Zeit, bei einer Live-Situation mitfiebern zu können. Letztlich und heimlich in Erwartung, was wohl noch Schlimmes passieren könnte. Das ist ein menschliches Verlangen, aber kein nachrichtlicher Wert. Es ist nicht meine Erwartung an den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, Emotionen zu bedienen sondern Neuigkeiten zu vermelden. Die gab es jedoch nicht im Minutentakt. Ein „Brennpunkt“ eine Stunde nachdem das Feuer erstmals berichtet wurde, hätte wenig mehr berichten können als der Zwischenstand kurz zuvor in der „Tagesschau“.

„Niemand plädiert für Gaffer-TV. Sondern für das Nachvollziehen, was viele Franzosen erschüttert plus jede Menge Fakten, warum Notre Dame so wichtig ist. Plus Osterwoche, Säkularität, Weltkulturerbe. Plus Ersticken von idiotischen Verschwörungstheorien“, twitterte Sonia Seymour Mikich. Nun wäre es zunächst mal ein Fehler, idiotische Verschwörungstheorien, die wie immer bei Twitter entstehen, durch eine Thematisierung außerhalb des irren Twitter-Universums überhaupt erst einen große Bühne zu geben. Die von ihr gewünschte Einordnung des tragischen Feuers in Paris ist wiederum wichtig und richtig. Will man es gehaltvoll machen, braucht es aber Zeit. Das wäre zum „Brennpunkt“ nie im Leben fertig gewesen, das müsste Sonia Seymour Mikich selbst eigentlich gut genug wissen. Man darf davon ausgehen, dass ARD und ZDF an genau solchen Beiträgen oder gar Sendungen arbeiten.

Die von ihr gelobten internationalen Nachrichtensender boten übrigens ebenso wenig dieser Einordnung. Sie bedienten mit stetigen Live-Bildern in erster Linie die Betroffenheit des Publikums, nicht den Wunsch nach kultur-historischer Einordnung. Ob exzessive Integration von Social-Media-Material nun wertvoll ist, um die maximale Zahl an Blickwinkeln auf die brennende Kathedrale zu liefern? Nun ja, aber in Maßen legitim: Von solchen Nachrichtenlagen inklusive Breaking News und neuem Futter zum Thema, egal wie klein, leben klassische Nachrichtensender. Was uns zum zweiten Irrtum führt: Warum war nicht wenigstens Tagesschau24 nicht durchgehend live drauf? Wozu gibt es denn überhaupt diesen Nachrichtensender, wenn er nicht liefert?

Ja, man kann an solchen Abenden natürlich mal wieder einen öffentlich-rechtlichen Nachrichtensender fordern, für den der Brand in Paris auch stundenlang Programm hätte sein können. Ich persönlich fämde das logischer und effektiver als die aktuelle Situation, aber der müsste politisch erst einmal beauftragt werden, denn weder Phoenix noch Tagesschau24 sind als Nachrichtensender im Sinne der internationalen Konkurrenz beauftragt. Beide bemühen sich je nach Anlass, diese Lücke mit ihren Möglichkeiten zu füllen. Wer gestern länger Tagesschau24 sah, merkte, wie improvisiert wurde. Aber die ganzen Beitrags-Milliarden! Nun, auch die nützen nichts, wenn nötige Strukturen nicht aufgebaut und vorgehalten werden dürfen.

Einst hieß Tagesschau24 einmal EinsExtra. Ein nichts sagender Name für ein nichts sagendes Programm: Der digitale Spartensender der ARD bestand in den ersten Jahren nach seinem Sendestart 1997 aus Wiederholungen von Magazinen und Dokumentationen aus den Dritten Programmen der ARD und dem Ersten. Erst 2006 wurde der Sender sukzessive zum tagesaktuellen Nachrichtensender umgebaut, ohne aber dass die Neuausrichtung von einem Sendeauftrag abgedeckt gewesen wäre. Vor sieben Jahren dann, am 30. April 2012, relaunchte der federführende NDR den Sender als Tagesschau24 - und erschuf ein mediales Missverständnis, das schon oft zum Eigentor für die ARD wurde.

Beim Brand in Paris erwarteten gestern Einige in den sozialen Medien von einem Sender mit diesem Namen eben einen Nachrichtensender, der rund um die Uhr informiert. Man kann es ihnen kaum verübeln, die Erwartung ist naheliegend. Doch Tagesschau24 ist darauf nicht ausgelegt; hat gar nicht die Ressourcen für einen Dauer-Live-Betrieb im Stile internationaler Nachrichtensender, weil es gar keinen entsprechenden Sendeauftrag gibt. Eine Umstand von dem ich dachte, dass man von einer ehemaligen WDR-Chefredakteurin erwarten könnte, ihn zu kennen. Wenn also NRW-Ministerpräsident Armin Laschet sich fragt, warum es keinen öffentlich-rechtlichen Nachrichtensender gibt, dann wäre man zu gerne bei dem Moment seiner hoffentlich noch folgenden Erkenntnis dabei, dass es die Politik ist, die diese Aufgabe im Rundfunkstaatsvertrag erst einmal definieren müsste.

Besonders komisch wird es übrigens immer dann, wenn Print-Journalisten vermeintlich mangelnde Aktualität bei ARD und ZDF in solchen Fällen kritisieren und ebenso süffisant darauf hinweisen, dass man in solchen Fällen besser ausländische Nachrichtensender guckt. Es wären die Verlage, die neben den privatwirtschaftlichen Nachrichtensendern am lautesten aufschreien würden, wenn die Politik ARD und ZDF grünes Licht für einen echten öffentlich-rechtlichen Nachrichtensender geben würde.