(Dies ist eine Fortsetzung der Gastkolumne, deren erster Teil am Montag erschien)

Ich war fasziniert von der Idee einer Zeitschrift, die wir sowohl den Premiere-Abonnenten als auch über den Kiosk verkaufen könnten. Ein faszinierendes Projekt, mit dem wir, soviel war schnell klar, auch den deutschen Zeitschriftenmarkt ein bisschen durcheinander wirbeln würden. Wir bringen zusammen, was bislang immer getrennt wahrgenommen wurde. Das frei empfangbare und das Bezahlfernsehen. Wir stellten ein Entwicklungsteam zusammen. Redaktion, Kundenmanagement und Kommunikation. Schon nach wenigen Wochen wurde auf einer Sitzung der Geschäftsführung ein Konzept präsentiert, das uns ermutigte, den Schritt in die Realisierung zu wagen.

Und wir fingen an, mögliche Namen für die neue Programmzeitschrift zu diskutieren. Wir reservierten ein halbes Dutzend mögliche Marken. Schließlich entschieden wir uns für den Titel, der unserem Anspruch am nächsten kam: „TV Komplett“. Klar: es war ja die erste Programmzeitschrift in Deutschland, die das komplette Programmangebot von Pay-TV und Free-TV abbildete. Die erste Ausgabe von „TV Komplett“ startete am 26. September 2003 mit der stolzen Druckauflage von 3 Millionen Exemplaren. „TV Komplett“ erschien im 14-täglichen Rhythmus. Um unsere verlegerische Ernsthaftigkeit zu dokumentieren, hatten wir auch eine eigene Verlagsgesellschaft, die Premiere Verlags GmbH, gegründet.

Die ersten vier Exemplare sollten plangemäß an alle 2,6 Millionen Premiere-Abonnenten kostenlos ausgeliefert werden. Danach sollten die Abonnenten selbst entscheiden, ob sie „TV Komplett“ für 2,70 Euro pro Monat abonnieren wollten. Die Abonnenten unserer Spitzen-Paketes, das sinnigerweise Premiere Komplett hieß, erhielten die Zeitschrift kostenlos dazu. Rund 400.000 Exemplare sollten zum Start auch an die Kioske ausgeliefert werden. Geplanter Copypreis: Ein Euro.

Wenige Tage, nachdem die LKWs die Druckerei mit tonnenweise „TV Komplett“-Exemplaren verlassen hatten, erreichte uns eine Einstweilige Verfügung des Landgerichts Hamburg. Was wir selbst in unserer Worst Case Planung nicht auf dem Zettel hatten, trat nun tatsächlich mit der Wucht eines Naturereignisses ein: Die Auslieferung von „TV Komplett“ wurde gerichtlich untersagt. Die erste Ausgabe von „TV Komplett“ sollte auch die letzte sein! Eben erst das Licht der Medienwelt erblickt, und nach einer Ausgabe alles vorbei. Abgeschossen von den konkurrierenden Großverlagen, die eine neue Programmzeitschrift mit allen Mitteln verhindern wollte.

Was war passiert? Parallel zum Erscheinen von „TV Komplett“ hatten die etablierten Großverlage das juristische Kanonenfeuer auf Premiere eröffnet und zwar mit dem heftigsten Karacho, das kumuliert möglich war. Ich erinnere mich an einen Tag, wo quasi im Stundentakt am Sitz von Premiere in Unterföhring bei München Einstweilige Verfügungen eintrafen. Von unterschiedlichen Gerichten, mit unterschiedlichen Argumenten. Gemeinsamer Inhalt: die Auslieferung von „TV Komplett“ wird hiermit untersagt. Und zwar sofort! Schnell wurde uns klar, dass es sich hier um einen Generalangriff von Deutschlands mächtigsten Zeitschriftenverlagen handelte. Mit den teuersten Anwaltskanzleien, alles professionell orchestriert, schlau argumentiert, Taktik vom Feinsten.

Wie haben wir reagiert? Nun, aktiv etwas unternehmen, also die Auslieferung stoppen, mussten wir erst, wenn eine Einstweilige Verfügung vom Gerichtsvollzieher förmlich zugestellt wurde. Wir ließen also unserem Portier ausrichten, er könne schon mittags nach Hause gehen. Auch sämtliche Vorstände der Premiere AG waren zufälligerweise im Hause nicht mehr aufzufinden. So war niemand mehr da, dem weitere feindliche Post zugestellt werden konnte. Die Folge: Der Postbote musste erst einmal unverrichteter Dinge wieder abziehen. Natürlich war uns allen klar, dass wir damit die rollenden Angriffe nur um wenige Stunden aufhalten konnten. Trotzdem bereitete uns der Gedanke diebische Freude, dass wir den Bösewichten auf der gegnerischen Seite zumindest kurzfristig ein wenig den Spaß verdorben hatten. Und vor allem bekamen noch alle Premiere-Abonnenten ihre „TV Komplett“. 

An der Spitze des Gefechtes marschierten der Bauer Verlag und die Verlagsgruppe Milchstraße mit ihrem Hauptgesellschafter Burda. Allein der Bauer Verlag erzielte damals mit seinen Blättern einen Marktanteil von 53 Prozent im Segment der Programmzeitschriften. Premiere mit seinen 2,6 Millionen Abonnenten erreichte gerade mal 7,4 Prozent der 36 Millionen Fernsehhaushalte in Deutschland, was umgekehrt bedeutete, dass den Verlagen 93 Prozent aller Haushalte für den direkten Wettbewerb offenstanden. Von gravierenden Wettbewerbsnachteilen oder einer wettbewerbswidrigen Marktverstopfung, wie die Verlage argumentierten, konnte unserer Ansicht nach also keine Rede sein. Außerdem hatten die Verlage wahrlich genügend Zeit gehabt, um die Sender von Premiere in ihren Programmzeitschriften angemessen abzubilden und damit auch um Premiere-Abonnenten zu werben.

Es war also ein Kampf nach dem biblischen Klassiker Goliath gegen David. Den Großverlagen ging es einfach darum, mit allen denkbaren Argumenten einen aufkommenden Konkurrenten fertig zu machen und dafür jedes mögliche juristische Geschütz aufzufahren. Wenn es je eines Beweises bedurft hätte, mit welchem Machtanspruch die verlegerischen Platzhirsche ihr Oligopol zu verteidigen pflegen, hier wurde er höchst eindrucksvoll geliefert. Wir verteidigten uns nach Kräften, ließen Schutzschriften bei Gericht hinterlegen, feilten an Gegenargumenten. Es half alles nichts: das Hamburger Landgericht verfügte, dass „TV Komplett“ unter diesem Titel nicht mehr erscheinen durfte. Eine derart schwerwiegende, existenzgefährdende Entscheidung im Einstweiligen Verfahren? Ich konnte es nicht fassen.

Dann kam die Begründung, und die setzte dem Ganzen noch die Krone auf: es ging nicht etwa um gravierende Wettbewerbsthemen, sondern um die vom Bauer Verlag vorgetragene Anklage, dass „TV Komplett“ nicht alle TV Sender in Deutschland abbilden würde und daher der Titel eben nicht „TV Komplett“ heißen könne. Das Gericht folgte dieser Argumentation: „TV Komplett“ würde mit seinem Titel möglicherweise eine Irreführung der Verbraucher auslösen. Hoppla, fragte ich sofort in der Redaktion nach, welche Sender haben wir vergessen? Gar keine haben wir vergessen, lautete die Antwort. Wir haben nur einige Lokalsender, die weniger als 0,1 Prozent Marktanteil in der Zuschauernutzung aufwiesen, wegen Irrelevanz weggelassen. Darunter zum Beispiel TV Oberpfalz, TV Franken, Hamburg 1 oder einen Sender in dänischer Sprache für die dänische Minderheit in Schleswig-Holstein.

Wie um Himmels Willen konnte ein Gericht darauf kommen, dass örtliche und thematisch derart begrenzte Spezialprogramme in einer nationalen Programmzeitschrift zu berücksichtigen seien? „TV Komplett“ bildete de facto 99 Prozent der Fernsehnutzung in Deutschland ab. Das sei aber nicht komplett, befand das Landgericht Hamburg und gefährdete mit dieser Interpretation auf einen Schlag die Zukunft eines jungen Unternehmens, das mit einem innovativen Produkt neue Arbeitsplätze schuf und mit den etablierten Platzhirschen in Wettbewerb trat - also genau das bewirkte, was auf den politischen Konferenzen positiv über Marktwirtschaft und Unternehmertum gepredigt wird.

Ich schäumte vor Wut. „Das ist grotesk! Diese Richter sind doch völlig weltfremd“, rief ich unserem Anwalt zu. „Tut mir leid, Georg, da ist auf die Schnelle aber nichts zu machen“, antwortete er. Glücklicherweise hatten wir bereits die 2,6 Millionen Exemplare an alle Premiere-Abonnenten ausgeliefert. Wir mussten jedoch die LKWs mit den Exemplaren für den Verkauf in den Kiosken stoppen. Nur wenige Stunden, bevor sie die Druckerei verließen. Trotz dieser extremen Stresssituation dachte ich keine Sekunde daran, das Projekt unserer neuen Programmzeitschrift aufzugeben. Jetzt erst recht, so einfach lassen wir uns nicht vertreiben, rief ich den verunsicherten Mitarbeitern zu. Wir saßen in meinem Büro in einer Krisenrunde zusammen. Die Geschäftsführerin unseres jungen Premiere Verlages, Andrea Blessing, der PR-Chef Dirk Heerdegen, unser Anwalt Dr. Axel Bauer - ein juristisches Schlachtross, der uns schon mit höchster Umsicht und Kompetenz durch die Untiefen der Premiere-Insolvenz geführt hatte - und ich. Wir mussten schnell handeln.

Der dritte und letzte Teil der Gastkolumne erscheint am Sonntag bei DWDL.de.

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