Im Juli präsentierte die Führung des Hessischen Rundfunks die Ergebnisse eines schon eineinhalb Jahre währenden Prozesses, in dem man eine neue Strategie des Hauses für die Zukunft entwickelte. In Kurzform: Man will die digitalen Angebote stärken, um auch wieder jüngeres Publikum zu erreichen. Dabei machte man aber auch klar: Das geht nur, wenn man manch Althergebrachtes über Bord wirft. "Um Neues zu tun, müssen wir bereit sein loszulassen", sagte etwa HR-Intendant Manfred Krupp. Während diese Strategie das ganze Angebot des HR umfasst, war es vor allem ein Detail, das zuletzt für Schlagzeilen sorgte.

Insbesondere regelmäßige Leser der "FAZ" konnten in den letzten Tagen den Eindruck gewinnen, der HR stehe kurz vor dem Ausstieg aus der Kultur-Berichterstattung und dem Untergang des kulturellen Abendlandes. Unter der Überschrift "Ist das Kulturfunk, oder kann das weg?" räumte die "FAZ" seit Dienstag die Medienseite großflächig - teils sogar ganzseitig - für Wortmeldungen aus der Kulturszene frei, die mehr oder weniger deftig gegen die geplante Reform des Senders hr2-Kultur wetterten. Der soll von seiner bislang sehr breit angelegten Aufstellung zu einem Klassiksender umgebaut werden. Die Kulturberichterstattung soll den Überlegungen zufolge dann im Hörfunk wohl zu hr-iNFO wandern. Die frei werdenden Ressourcen will man verwenden, um zum einen die Kulturberichterstattung auf hessenschau.de auszubauen, zum Anderen neue Kulturformate für die Mediathek zu entwickeln, also genuin aufs Internet als Ausspielweg zugeschnitten. Der vermeintlich einfache Weg, einfach die klassischen Sendungen alle fortzuführen und im Web zugänglich zu machen, sei jedenfalls unmöglich. Digitalprodukte funktionieren "nach grundsätzlich anderen Gesetzmäßigkeiten", sagt der hr-Hörfunkdirektor in der "FAZ" und schiebt nach "Lineares Programm einfach ins Netz zu stellen ist keine Digitalstrategie."

Dass die Kritik nun in derart geballter Form - ganze 21 Wortmeldungen aus der Kulturszene druckte die "FAZ" in dieser Woche ab, dazu ebenfalls kritische Statements aus der Politik - in dieser Woche kulminierte, liegt daran, dass am heutigen Freitag der hr-Rundfunkrat tagt und die geplante Reform hier auch Thema sein wird. Es dürfte heute also keine ganz einfache Diskussion für die HR-Führung werden, die unterdessen betont, dass viele der so leidenschaftlich kritisierten Details noch gar nicht entschieden seien. "Wir haben immer wieder betont, dass zunächst nur strategische Richtungsentscheidungen getroffen wurden, die nicht allein das Radio, sondern den ganzen hr betreffen, und dass Detailfragen erst erarbeitet werden müssen. Und wir haben immer betont, dass es unser Ziel ist, mit unserer Kulturberichterstattung mehr Menschen zu erreichen, indem wir unsere digitalen Angebote stärken", so hr-Hörfunkdirektor Heinz-Dieter Sommer gegenüber DWDL.de.

Sommer weiter: "Die Reaktionen sind auch ein Kompliment an das gegenwärtige Team von hr2. Letztlich geht es aber um neue Prioritäten, die über eine Reform von hr2 hinausgehen. Prioritäten, die wir wie alle Medienhäuser – auch die 'F.A.Z.' – neu definieren müssen, da der Medienwandel so rasant verläuft." Er beteuert aber: "Wir sind uns bewusst, dass wir in Sachen Kultur eine hohe Verantwortung haben und Kultur Kern unseres öffentlich-rechtlichen Auftrages ist. Deshalb geht es auch nicht um weniger Kultur, sondern um Kultur für alle und auf allen Ausspielwegen. In den leidenschaftlichen Reaktionen der Kulturinteressierten spiegelt sich die Bedeutung des Themas wider."

Ablassen will man von der strategischen Neuaufstellung des Hessischen Rundfunks trotz der Reaktionen nicht. Sommer: "Die strategische Ausrichtung ist eine Grundsatzfrage, die in einem langen Prozess erarbeitet worden ist. Natürlich nehmen wir die Reaktionen ernst. Wir haben aber auch die Verpflichtung, jetzt die Weichen für die Zukunft zu stellen. Wir wollen auch in Zukunft unserem Auftrag gerecht werden und mit unseren Inhalten weiterhin möglichst viele Menschen erreichen – nicht nur die tradierten Zielgruppen. Alles andere wäre fahrlässig."

Unter vielen schrillen Tönen lieferte Karsten Wiegand, Intendant des Staatstheaters Darmstadt, heute in der "FAZ" die vielleicht vernünftigste Einschätzung der Lage: "Selbstverständlich sollen Verantwortliche in einem Sender (...) Vorstellungen darüber entwickeln, was sie verändern wollen. Dass dann viele Menschen aufschreien, alles müsse bleiben wie es ist, (...) gehört dazu. Es beweist weder, dass die Pläne besonders mutig sind noch besonders blöde. Solche Proteste können eine wunderbare Chance sein, Konzepte zu überdenken, zu verändern, neu zu schärfen. Dafür muss man offen sein, in Dialog gehen und sich vorstellen können, dass man nicht schon allein die richtige Lösung besitzt." Das allerdings sollte für alle Seiten gelten.