"Das ZDF steht finanziell und programmlich sehr solide da", erklärte ZDF-Intendant Norbert Himmler gerade erst vor dem ZDF-Fernsehrat zusammen. Viel unspektakulärer könnte die Bilanz eines Jahres kaum ausfallen, könnte man meinen. Solide ist ein Begriff, der sich in der nervösen Finanzwelt sehr unterschiedlich lesen ließe. Nicht jedoch im öffentlich-rechtlichen Kontext - hier ist solide bzw. sehr solide ein Qualitätsmerkmal, denn genau diese nüchterne Unaufgeregtheit ist es, die einen Kontrapunkt setzt zu dem Chaos, das auf der anderen Seite des öffentlich-rechtlichen Systems in den vergangenen Monaten geherrscht hat.

In einem Jahr, in dem die ARD mit dubiosen Beraterverträge, bedenklicher Selbstbedienungsmentalität, fataler Misswirtschaft, miesem Redaktionsklima, schlechter Absprache und mangelnder Sensibilität in Compliance-Fragen Schlagzeilen machten und den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Verruf brachte, war es gewissermaßen erste Intendanten-Pflicht, Vertrauen und Verlässlichkeit auszustrahlen, größtmöglichen Abstand zur skandalgebeutelten ARD zu halten und den Sender unbeschadet durch diese für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk so schwierigen Monate zu bringen. Solidität klingt daher beinahe wie eine Verheißung.

Das erste halbe Jahr nach Norbert Himmlers Antritt als ZDF-Intendant hat man tatsächlich recht wenig vom Lerchenberg gehört. Als der RBB sich selbst zerlegte und auch an anderen Stellen der ARD Skandale aufflackerten, hielt man sich in Mainz auch mit öffentlichen Statements lange bewusst zurück. Erst Anfang November - bewusst einige Wochen später als ursprünglich geplant - meldete sich schließlich Norbert Himmler zu Wort - und bekam am Abend zuvor noch schnell die Rede eines Privatmannes ins Nest gelegt, der nebenbei als WDR-Intendant tätig ist. Der hatte in einer Art Grundsatzrede zur Zukunft der Öffentlich-Rechtlichen unter anderem gefragt: "Will Deutschland weiter parallel zwei bundesweite, lineare Fernsehsender? Wenn nicht: Was heißt das? Soll einer ganz verschwinden und der andere bleiben?"

Doch angesichts des Bildes, dass die beiden öffentlich-rechtlichen Systeme derzeit abgeben, hat man auf dem Lerchenberg gute Argumente, auf wen die Wahl fallen sollte. Und so konnte Norbert Himmler bei seinem ersten Pressegespräch als neuer ZDF-Intendant auch mit großer Gelassenheit reagieren: "Wir sind bereit für eine grundsätzliche Debatte und scheuen dabei auch keinen Vergleich der Systeme." Das ZDF sei als "zentral organisierter Sender gut und effizient aufgestellt." Mangelnde Reformfähigkeit des öffentlich-rechtlichen Systems "als Ganzes" könne er ebenfalls nicht erkennen, schließlich habe das ZDF "bewiesen, dass wir erfolgreiche Reformen durchsetzen und umsetzen können."

Während man anderswo alle Hände voll zu tun hatte mit den Fehlern der Vergangenheit, konnte sich Norbert Himmler im ersten Jahr seiner Amtszeit also mit etwas Wichtigerem auseinandersetzen: Der Zukunft. In der gilt es, das zentrale Versprechen umzusetzen, mit dem er sich bei der Wahl zum ZDF-Intendanten gegen eine starke Gegnerin Tina Hassel in einem für öffentlich-rechtliche Verhältnisse bemerkenswert transparenten Verfahren durchsetzen konnte: Ein "ZDF für alle" zu schaffen - also auch für diejenigen, die man zuletzt nicht mehr erreichte, auch wenn das ZDF dank der starken Mediathek und Beibooten wie ZDFinfo und ZDFneo auch zuletzt schon längst nicht mehr das "Rentnerprogramm" war, als das es von Kritikern oft verschrieen wird.

Dafür kündigte er unter anderem die Umschichtung von 100 Millionen Euro bis 2025 an - Geld, das man nicht mehr ins sogenannte "Hauptprogramm" investieren will, um stattdessen mehr Budget und Handlungsfreiheit für die Mediathek oder die digitalen Kanäle zu haben. Das dürfte an der ein oder anderen Stelle für Altbekanntes schmerzhaft werden und sicher auch nicht ohne Kritik im Haus vonstatten gehen, könnte aber an anderer Stelle dafür für Aufbruchstimmung sorgen und neue Kreativität freisetzen.

Dass das ZDF diesen Umbau aus einer enorm starken Position heraus angehen kann, hat Norbert Himmler dabei auch maßgeblich mitzuverantworten - schließlich war er bis zu seinem Wechsel auf den Intendantenposten zehn Jahre lang Programmdirektor. Dass das ZDF-Hauptprogramm nun das elfte Jahr seiner Marktführung beim Gesamtpublikum mit erheblichem Vorsprung abschließen kann, während trotzdem ZDFneo und ZDFinfo zu beachtlicher Größe heranwuchsen und die ZDF-Mediathek immer weiter an Bedeutung gewann, darf sich also auch Norbert Himmler als Erfolg auf die Fahnen schreiben und gibt nun die Grundlage, den Umbau weiter voranzutreiben. Das klingt nicht nach großer Revolution. Aber wer schon bislang auf dem richtigen Weg war, hat die auch nicht nötig.