In Zeiten, die schon kompliziert genug sind, suchen einfache Menschen gern einfache Lösungen einfacher Probleme. Journalistischer Eskapismus mit „Land“ vor „Lust“ und „Liebe“ zum Beispiel begleitet Stadtflüchtige aus den Augen aus dem Sinn urbaner Unordnung in die grünen Speckgürtel. Volksschlager liefern dazu den Soundtrack immerwährender Unbekümmertheit. Und Mario Barth reduziert alles Übel dazu mit Horst Seehofers Segen auf Diversitätsängste – was keinesfalls ausschließt, dass humoristische Verknappung geistreich, erhellend, klug sein kann.

Wie Philipp Walulis.

Geboren 1980 in Bayern, als dort offiziell nur über Witze gelacht werden durfte, denen Franz-Josef Strauß‘ Hofberichterstatter vom Bayrischen Rundfunk Absolution erteilte, hat der gelernte Radiomoderator die Reduktion nachrichtlicher Komplexität zur Kunstform erhoben, dabei anders als Barth oder Seehofer aber stets nach oben getreten und schon deshalb mehr Fernsehpreise erhalten als beide Zuspruch von Fans mit Empathie für Benachteiligte. Wobei seine irdischen Jagdgründe dabei lange Zeit das eigene Biotop waren: die Medien.

Beim Münchner Dudelkanal M94.5 machte er sich daher auch über die geschmacksreduzierte Haltungslosigkeit auf eigener Welle lustig. Seine Fake-Band Aggro Grünwald stilisierte sich so virtuos als feudale Schnösel-Rapper, dass selbst „taz“ und 3sat drauf reinfielen. Der lineare Striptease „Walulis sieht fern“ erhielt 2012 den Grimme-Preis, das baugleich betitelte Selbstgespräch auf Youtube anschließend immerhin Clicks und Lob. Mittlerweile jedoch ist der Titelheld aus dem medialen Saft aufgetaucht und widmet sich dem großen Ganzen,

„Walulis Daily“ heißt ein Format, in dem der alterslose Satiriker aus dem Starnberger Millionärsghetto fünf Tage plus Wochenresümee Mächtige und Machtversessene aufs Korn nimmt. Und mal abgesehen davon, dass die Frauenquote von 15,625 Prozent seiner drei Dutzend Hilfskräfte absolut ausbaufähig ist, hat die Themenexpansion gut getan, seit ihm der korruptionsverdächtige Führerscheinloser Philipp Amthor Ende 2021 unter die satirischen Räder kam. Kleine Auswahl aktueller Ausgaben: „Wendler hält sich für Chinesen“ über die irrsten Querdenker, „180 Millionen für 1 Werbung“ über den Katar-Bückling Beckham, „Das Ende von Bild TV“ übers deutsche Fox News.

Acht Minuten hochverdichtete Online-Satire, ein Aufreger pro Abend, in Echtzeit zum Late-Night-Stil verarbeitet und daher dauernd im Bild: Showrunner Philipp Walulis – Gastgeber ohne Gast, Schwiegersohntyp im Oberhemd, Mainkick vom Sidekick Marcus am Katzentisch, der ihm Bestätigung schenkt, wie Manual Andrack einst Harald Schmidt – nur dass sein Chef kein Berufszyniker ist. Im Gegenteil. Während das feudale Nachkriegskind Schmidt voller Verachtung für alle(s) war, zeigt der Millennial Walulis die achtsame Seite des soziokulturellen Internethumors.

„Staatsstreiche, Regierungswechsel für Ungeduldige“, etwa sagt er am Abend der enttarnten Reichsbürgerwehr, woraus Harald Schmidt definitiv ein entwürdigendes Stück Unterschichtenbashing gemacht hätte. Philipp Walulis ist eben nicht nur optisch der Normalo unter den Standup-Kabarettisten. Kein Biedermann wie Welke, kein Poser wie Schmitt, kein Bohemien wie Böhmermann, sondern ein Wirklichkeitsanalyst, dem es um bodenständige Pointen statt instagramtauglicher Punchlines geht.

Ein journalistischer Spaßvogel, der gemeinsam mit der „Süddeutschen Zeitung“ schon mal das Doxxing sensibler MdB-Daten aufdeckt, sich aber auch für Poptrash von Cathy Hummels bis „7 vs. Wild“ nicht zu schade ist, braucht dafür allerdings weder Außenreporter noch Bettina Schausten, sondern nur den leicht hyperventilierenden, seltsam beruhigenden Sound seiner Verbalbreitseiten mit Stil. Damit macht er sich gut ein Drittel seiner 42 Jahre bereits webweit unerlässlich und bringt Digital Natives mehr übers Gemeinwesen bei als das lineare Kabarett im Ganzen.

Dort wäre der studierte Theater- und Kommunikationswissenschaftler mit Nebenfach Psychologie wohl auch heillos überfordert. Fürs feuilletonistische Fernsehverfassungsgericht fehlt ihm zwar nicht der Intellekt, aber die Anstaltsgravität. Philipp Walulis ist dagegen eher der Typ Klassenbester, bei dem man abschreiben, aber auch mitkiffen darf, wenn er sich aufm Schulklo über all jene lustig macht, die mehr Einfluss als Eigensinn haben, dabei jedoch nicht halb so viel Chuzpe wie Deutschlands lustiger Netz-Normalo.