„Für diese ganzen FYC-Events hatte ich nicht im Ansatz Zeit. Es gibt derartig viele Veranstaltungen, auf die du nur mit Deinem Academy Ausweis kommst, natürlich gut aufgeteilt zwischen New York and Los Angeles. Die Liste mit FYC-Events auf der Academy-Website ist derartig lang; mein 1GBit/s Glasfaser Anschluss von Verizon braucht wirklich 20 Sekunden um die zu laden.“ Unter Freunden und Kollegen tauscht man sich aber aus. “Emmy 2017-Veteranen erkennt man an der Anzahl der Merchandise-Artikel, die sie mitgenommen haben. ‚Hast Du auch eine Netflix-Decke?‘ ‚Eine? Sieben! – Meine Katzen lieben die‘. In LA gibt es angeblich auch Weight Watchers Gruppen, die darauf spezialisiert sind, Academy-Mitgliedern die Pfunde, die sie sich an den Buffets der Events angefressen haben, wieder abzutrainieren.“

Die Screener, die Events - und dann ist da eben auch die Menge an Werbung auf den Straßen der beiden für die Studios und Sender wichtigen Städte: Los Angeles und New York. „Als Fernsehfuzzi aus Deutschland ist es schon toll zu erleben, wenn der Sunset Boulevard oder der Times Square mit FYC-Außenwerbung zugepflastert ist. In Deutschland kann man ja gar nicht mehr sagen, dass man fürs Fernsehen arbeitet, ohne dass irgendeiner irgendwas mit Lügenpresse und Systemmedien blökt. Das ist dann hier doch etwas anders. Ich glaube, die wachsende Materialschlacht hat ganz viel damit zu tun, dass alle Plattformen Leuchttürme brauchen, die dank Marketing herausstechen und die Leute davon überzeugen den Sender einzuschalten oder eine Abogebühr zu bezahlen.“

In den USA findet sich die Branche geil. Das schießt manchmal übers Ziel hinaus, aber beflügelt meistens „Wenn Du Dir einmal das Emmy Highlight Reel auf HBO anguckst, dann denkst Du Dir ‚Geil, das will ich! Nehmt all mein Geld! Wo muss ich unterschreiben?‘ Ähnliches gilt für Netflix. Die Emmy-Kampagnen dienen natürlich auch dazu, in der Öffentlichkeit ein gewisses ‚Must See, mustn’t miss’-Gefühl aufzubauen. Es gibt so derartig viele Programmanbieter, die jede Gelegenheit nutzen müssen, um mit irgendwas durch das permanente Programmrauschen durchzustechen und ein wenig Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Dies wird meines Erachtens durch die momentane Konsolidierungsphase im Fernsehen beschleunigt. Wenn Du 65 Outlets hast, die Drama-Serien beauftragen, die in einem echten Verdrängungswettbewerb stehen, dann sieht der Prozess wohl so aus.“

Dann will natürlich auch gewählt werden. Es beginnt im Frühjahr bzw. frühen Sommer mit dem Nominierungsprozess. Hat er sich all das angeschaut, was da nach Hause kam? „Nein. Aber da ich schon recht viel Programm schaue und ich ja hauptsächlich in meiner Peer Group über Programme urteile, die ich kennen sollte, ist das schon ok. Wie sollte ich auch 9000 Einreichungen in 190 Kategorien anschauen - ich hab ja auch einen Job, den ich machen muss. Würde ich mir alles angucken, würde ich wahrscheinlich gefeuert werden, deswegen aus der Academy geworfen und könnte dann gar nicht mehr für die Emmys voten. Ein Teufelskreis!“, sagt unser Academy-Mitglied und lacht.

Emmy Voting© DWDL.de


„Das Abstimmen ist sehr einfach, aber zeitintensiv. Ich logge mich mit meinem Academy Account auf der Webseite ein. Als Erstes muss ich meine Mitgliedsbeiträge bezahlen, sonst darf ich nicht abstimmen. Man wird freundlicherweise gleich auf der Abstimmungswebseite daran erinnert. Als Mitglied der Production Executive Peer Group durfte ich in den sogenannten Programmkategorien und im Reality/Alternativ TV-Bereich und im Kinderbereich nominieren. Der genaue Prozess verändert sich immer mal. Letztes Jahr hatte ich bis zu 5 Nominierungsstimmen pro Kategorie zu vergeben, dieses Jahr konnte ich unbegrenzt Stimmen verteilen, also auch jede einzelne Einreichung mit einer Stimme versehen.“

Über Veränderungen im Emmy-Voting, wird immer diskutiert. Nicht nur extern. „Wenn Du in die Foren blickst, dann geschieht dies auch reichlich. Ich nutze das für mich strategisch. Das heißt: in manchen Kategorien gebe ich dann nur eine Stimme ab und nominiere nur ein Programm, wenn es mir wirklich wichtig ist wie zum Beispiel „Veep“, weil es einfach phänomenal ist und den Sieg wieder verdient, nicht nur weil eine Freundin von mir da Autorin ist.“ Doch trotz aller Kritik: Die Emmys sind kein offenes Online-Voting. „Nur“ 22.000 Branchenvertreter stimmen ab. Unser Academy-Mitglied: „Ich würde mal hoffen, dass da ein bisschen besser gevoted wird, wenn die Choreographen bestimmen, wer in der Kategorie Best Choreo nominiert wird.“

„Die eigentliche Wahl für die Gewinner ist erneut schmerzhaft, weil es einfach Stunden dauert bis Du mit dem Abstimmen fertig bist. Das geschieht online. Du hast alle Screener der Nominierten ebenfalls online verfügbar über eine interne Webseite der Akademie. Ich musste das in mehreren Sessions machen, weil ich am Stück einfach nicht die Zeit dafür hatte. Wollte es auf auf einem Flug nach Südkorea  machen, aber leider fiel das WLAN aus. Also habe ich mir in Seoul in einer schlaflosen Jetlag-Nacht die volle Emmy Dosis gegeben. Ich klicke durch meine Kategorieren, mache mein Kreuz, drücke ‚send‘ – und fertig. Es sind halt nur sehr viele Kategorien.”

Jahr für Jahr werden wie bei allen Preisverleihungen die Entscheidungen debattiert. Galten die Emmys wie auch die Academy Awards gerade aufgrund ihres Akademie-Modells lange als beispielhaft, wirft die sich immer schneller entwickelnde Branche und immer größere Vielzahl an Produktionen die Frage auf, wie zeitgemäß ein so umfangreiches, aber auch träges Voting ist. “Ich gucke vom Ende her auf den Prozess“, sagt das Academy-Mitglied. „Und ich muss sagen, ich fand die Gewinner in 2016 im gesunden Gleichgewicht von überraschend, erwartbar, verdient und fragwürdig. Das hat für mich als Zuschauer auch zu einem spannenden Ergebnis geführt. Mir gefällt es, dass hier 22.000 Fernsehprofis bestimmen, wessen Leistung preiswürdig sind und wessen nicht. Obwohl ich selber schon ein paar Mal in europäischen Jurys saß, hat mir der Prozess eigentlich nie gefallen.“

(Der Artikel erschien erstmals im September 2017 bei DWDL.de)