Zehn Jahre ist es her, dass die Television Academy generell den Weg frei gemacht hat, dass auch Produktionen für einen Emmy nominiert werden können, die gar nicht im klassischen Fernsehen gelaufen sind, 2013 war es dann soweit: Mit "House of Cards" schaffte es erstmals eine Produktion eines Streaming-Dienstes, in den "normalen" Kategorien eine Nominierung zu bekommen (zuvor waren nur Webisodes oder YouTube-Clips in teils eigens geschaffenen Kategorien berücksichtigt worden). Und nun, nur fünf weitere Jahre später, hat Netflix eine Ära, oder zumindest einen beeindruckenden Lauf beendet.

18 Jahre lang war stets HBO der Sender, der mit seinen Produktionen die meisten Emmy-Nominierungen einheimsen konnte und den ärgsten Verfolgern völlig enteilte. In diesem Jahr hingegen stehen 108 Nominierungen für HBO 112 Nominierungen für Netflix gegenüber. Von 0 auf 112 in sechs Jahren - das ist nur ein Beleg für die rasanten Umwälzungen, die die Streaming-Dienste und allen voran eben Netflix in kürzester Zeit auf dem Fernsehmarkt ausgelöst haben.

Wenn man sich etwas genauer anschaut, wie sich diese Nominierungen auf die einzelnen Formate verteilen, dann zeigt sich darin auch ganz deutlich, wie unterschiedlich die Herangehensweise von HBO und Netflix ist. Während die 108 HBO-Nominierungen von 22 verschiedenen Formate stammen, sind es bei den 112 Netflix-Nominierungen gleich 40 unterschiedliche Produktionen. Dass Netflix die Spitzenposition in Sachen Nominierungsanzahl erobern konnte, liegt also ein Stück weit auch an der schieren Menge an Serien und anderen Formaten, die man in erstaunlicher Schlagzahl auf den Markt wirft.

Denn schaut man auf die meistnominierten Formate, dann belegen mit "Game of Thrones" und "Westworld" zwei epische HBO-Serien die Spitzenplätze, Netflix schafft es überhaupt mit nur einer einzigen Produktion, nämlich "The Crown", in die Top 10. Noch davor liegen mit "The Handmaid's Tale" von Hulu und "The Marvelous Mrs. Maisel" zwei Produktionen von Streaming-Konkurrenten. Das soll nicht bedeuten, dass Netflix einfach auf Masse statt Klasse setzt - aber es ist, wenn man so will, das Resultat der Strategie, nicht unbedingt nach der Serie zu suchen, die jeder sehen will - sondern ein Angebot zu schaffen, in dem jeder etwas findet, das er sehen will, das aber bei jedem etwas anderes sein kann.

Das allerdings ist aufgrund der schieren Produktionsmenge ein sehr teures Unterfangen, zugleich aber auch weniger risikoreich als die Herangehensweise, die HBO zeit seines Bestehens an den Tag gelegt hat. Dort ging man nie auf Masse, dort bemühte man sich stets, überschaubar viele Highlights zu setzen - aber fand damit im besten Fall auch eine herausragende Serie wie "Game of Thrones", die schon allein für viele als Grund ausgereicht haben dürfte, ein HBO-Abo zu behalten oder abzuschließen.

Bei Netflix hingegen scheint es selbst für leidenschaftliche Serienfans kaum noch möglich, überhaupt den Überblick übers Angebot zu behalten. Eine kurze Umfrage im eigenen Team förderte jedenfalls zutage, dass "Godless" - das nach "The Crown" immerhin zweitmeist nominierte Netflix-Format - nicht nur niemand gesehen hat, sondern auch kaum jemand einen Satz dazu sagen konnte, worum es eigentlich geht (für alle anderen Unwissenden: Es ist eine Western-Miniserie, bei der immerhin u.a. Steven Soderbergh seine Finger im Spiel hat). Die Masse an Neustarts bei Netflix bringt es eben mit sich, dass es die einzelnen Produktionen immer schwerer haben, Aufmerksamkeit zu erzielen. Auch das ist mit ein Grund dafür, dass es Netflix trotz der hohen Nominierungszahl bislang noch nie geschafft hat, auch wirklich einen Emmy in einer der Königskategorien mit nach Hause zu nehmen.

Ob es weiterhin eine so deutliche Unterscheidung zwischen den Strategien von Netflix und HBO geben wird, ist allerdings unklar. HBO wurde als Teil von Turner inzwischen bekanntlich durch AT&T übernommen - und John Stankey, der dort nun das Mediengeschäft verantwortet, hat bei seinem Antrittsbesuch bei HBO die Parole ausgegeben, dass HBO mehr Zuschauer ansprechen und diese auch länger bei HBO halten müsse. Das geht eben nur mit einer Ausweitung der Anzahl an Serien, für die man auch bereit ist, mehr Geld zu investieren. Ob das in Zeiten, in denen es ohnehin so viele Serien wie noch nie gibt und nicht nur die Zuschauer den Überblick verlieren, sondern auch die Kreativen hinter der Kamera knapp werden, eine wirklich zukunftsweisende Taktik ist, sei aber mal dahingestellt.

Die Emmys werden in diesem Jahr erneut an drei Abenden verliehen. Am kommenden Wochenende, nach deutscher Zeit in der Nacht zu Sonntag und der Nacht zu Montag, werden die Preise in den meisten Kategorien bereits bei den Creative Arts Emmys überreicht, DWDL.de ist auch in diesem Jahr wieder vor Ort. Die Hauptkategorien werden dann im Rahmen der TV-Gala in der Nacht zum 18. September übergeben. Hierzulande überträgt TNT Serie ab 1:30 Uhr live. Im Vorfeld stimmen wir mit einem Special auf die Verleihung des wichtigsten US-Fernsehpreises ein.