"Die Transformationsprozesse in den Medien nehmen Tempo auf! Bei der Kreation und Herstellung von Programm-Inhalten provozieren neue Marktteilnehmer und die erhöhte Variabilität der Nutzungsarten einen fast überhitzten Wettbewerb", sagt Wolf Bauer und meint damit einfacher ausgedrückt: Die Streamer machen dem deutschen Fernsehen ordentlich Beine. Das habe zu "Programmen in nie gesehener Vielfalt und bemerkenswerter Qualität", so der Vorsitzende der Jury des Deutschen Fernsehpreises.

Dass längst auch mehrere US-Streamer mit deutschen Produktionen um Abonnentinnen und Abonennten buhlen und dass angesichts der immer stärker werdenden Konkurrenz auch die deutschen Anbieter - private wie öffentlich-rechtliche - deutlich kreativer in der eigenen Programmgestaltung werden musste, spiegelt sich nun deutlich in den Fernsehpreis-Nominierungen wider - und sorgt dafür, dass es in diesem Jahr erstmals seit fast 20 Jahren keinen öffentlich-rechtlichen Überhang an Nominierungen gab, sondern stattdessen deutlich mehr Produktionen, die für kommerzielle Anbieter entstanden, auf den Nominierungslisten auftauchen. Konkret beträgt das Verhältnis nur auf die Werkskategorien bezogen 17 Nominierungen für öffentlich-rechtliche, aber 26 für private Anbieter.

In maßgeblichen Vergleich der Werkkategorien nach Sendergruppen/Plattformen führt gleichwohl das ZDF mit insgesamt 12 Nennungen, gefolgt von RTL Deutschland mit in Summe 9 Nennungen, sowie ProSiebenSat.1 mit 6. Die ARD folgt erst dahinter mit 5. Netflix und Prime Video kommen auf jeweils drei, je einmal sind Magenta TV, Welt, Sky, Sport1 und RTLzwei im Rennen. Rechnet man auch die Personenkategorien mit ein, steigert sich die ARD zwar auf 14 Nominierungen, liegt damit aber trotzdem hinter dem ZDF mit 21 und RTL Deutschland mit 18. Netflix folgt dann mit sehr starken 13 Nominierungen noch vor ProSiebenSat.1 mit 11 und Prime Video mit 8. Sky kommt auf vier Nominierungen, je eine ging an Magenta TV, Disney+, 3sat, Welt, Sport1 und RTLzwei.

Diese Aufzählung wirft auch schon ein Schlaglicht darauf, wieviele kleinere Sender sich in diesem Jahr über Nominierungen freuen können. Sport1 etwa ist mit seiner Darts-Übertragung mit von der Partie, Welt und ntv mit jeweils großflächiger Nachrichtenberichterstattung, 3sat mit "Till Reiner's Happy Hour", RTLzwei nochmal mit "Kampf der Realitystars". Doch auch Kabel Eins fuhr mit "Roadtrip Amerika" eine Nominierung ein, Joyn mit "Intimate", Magenta TV mit seiner Basketball-Übertragung.

Die Nominierungen für den Deutschen Fernsehpreis 2023

Die hohe Zahl von 13 Nominierungen schaffte Netflix unterdesssen mit nur drei Produktionen: Die Comedy-Serie "King of Stonks" kommt auf gleich fünf Nominierungen, "Kleo" und "Die Kaiserin" stehen jeweils vier Mal auf den Nominierungs-Listen. Trotzdem hat die RTL-Sisi letztlich sogar mehr Nominierungen als die Netflix-Sisi: Die zweite Staffel der RTL-Version steht gemeinsam mit "King of Stonks" bei insgesamt fünf Nominierungen an der Spitze. Je drei Nominierungen gingen unterdessen an die ZDFneo-Serie "Der Schatten" sowie die Serie "Luden - Könige der Reeperbahn", die bei Prime Video zu sehen war. Da in der Fiktion deutlich mehr Gewerke einzeln bepreist werden, wird die Liste der meistnominierten Formate wie üblich von fiktionalen Produktionen angeführt. Bemerkenswert aber auch: In der Information gab es insgesamt drei Nominierungen für die Prime-Video-Doku "Joko Winterscheidt Presents: The World's Most Dangerous Show".

Generell fasst Wolf Bauer das Jahr in der Information so zusammen: "In der Information gab es neben der aktuellen Berichterstattung in beeindruckender Qualität einen erweiterten journalistisch-kritischen Resonanzraum für die Top Themen: menschengemachte Klimaveränderung und ihre Folgen, das Drama des Angriffskriegs Russlands gegen die Ukraine aber auch für die Ereignisse in Afghanistan, dem Schicksal der Menschen im Iran oder die Fußball-WM in Katar. Auffällig: Eine Vielzahl von aufwändig recherchierten und produzierten Doku-Serien erlauben einen tiefen Einblick in relevante Themen und Schicksale." Die Zahl der nominierten Doku-Serien wurde daher auch auf fünf angehoben. In der Fiktion stellt Bauer ein "erweitertes Repertoire von Genres und Lebenswelten", wobei "auch weiterhin historische Themen und 
aktuelle gesellschaftliche Veränderungen prägend" seien. Bauer weiter: "In der Unterhaltung erweisen sich zeitgemäß weiterentwickelte bewährte Formate und Konzepte erneut als sehr stark. Doch auch hier ergaben sich im vergangenen Fernsehjahr 2022/23 spannende Bezüge zu gegenwärtigen Themen von gesellschaftlicher Relevanz."

Verliehen wird der Deutsche Fernsehpreis wie schon im vergangenen Jahr wieder an zwei Abenden. Am 27. September findet die "Nacht der Kreativen" statt, die anders als letztes Jahr nicht im Fernsehen übertragen wird. Die Ehrung der Preisträgerinnen und Preisträger in den Gewerks-Kategorien findet in der Kölner Flora statt. Am 28. September folgt dann wieder die TV-Gala mit der Verleihung der Preise u.a. in den Werkskategorien, die wie üblich in den MMC Studios in Köln stattfindet und ab 20:15 Uhr diesmal in Sat.1 übertragen wird.

Über Nominierungen wie auch Preisträger entschied eine Jury, der neben dem Vorsitzenden Wolf Bauer noch die Produzentin Nanni Erben (Geschäftsführerin MadeFor Film), Dr. Udo Grätz (stellvertretender WDR-Chefredakteur), Daniel Guhl (Business Unit TV Telekom), Michaela Hummel (Geschäftsführerin Doclights), der Journalist Stephan Lamby (Produzent ECO Media), Thomas Lückerath (Chefredakteur DWDL.de), Florian Lüke (Bereichsleiter strategische Programmplanung RTL & RTL+), die Schauspielerin Valerie Niehaus, Astrid Quentell (Produzentin), die Moderatorin und Autorin Shary Reeves, Milena Seyberth (CvD in der ZDF- Intendanz), der Autor Marc Terjung, die Moderatorin und Schauspielerin Collien Ulmen-Fernandes sowie Burkhardt Weiß (EP Content Development ProSieben und Sat.1) angehören.

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