Fragen Sie mal Ihre Kinder, was die später werden wollen: Influencer:in natürlich, Fußballprofi vielleicht noch, oder Wasserrutschen-Tester:in selbstverständlich. Aber Nachrichten im Fernsehen vorlesen? Da demonstriert Ihnen der Nachwuchs sicher zügig, welch Geisteszustand er dahinter vermutet (sicher: diesen). Mag ja sein, dass Journalistinnen-Mama und Korrespondenten-Papa es in grauer Vorzeit einmal vielversprechend fanden, der halben Nation um Punkt acht Uhr abends "Guten Abend" zu wünschen, um hernach die wichtigsten Ereignisse des Tages vorgepromptert zu kriegen.

Inzwischen findet die Jugend klassische Medienberufe jedoch alles andere als erstrebenswert und guckt natürlich Instagram und TikTok statt "Tagesschau" und "heute".

Das wird für ARD und ZDF langsam zum Problem – nicht nur publikumsseitig. Denn gleichzeitig laufen den Sendern so langsam die Nachrichtengesichter davon: Constantin Schreiber hat die "Tagesschau" im Mai verlassen, um fortan für Axel-Springer-Medienmarken aus Tel Aviv und New York zu berichten. Judith Rakers stieg bereits im Jahr zuvor aus, schreibt seitdem Bücher zu Selbstversorgung, Kochen und Farming und ist gerade nach Rügen umgezogen. (Alles Gute für den Garten!) Und bei den "Tagesthemen" kehrte Aline Abboud nach ihrer Babypause freiwillig nicht mehr zurück – zu nervig, ständig zwischen dem neuen Familien-Lebensmittelpunkt Berlin und Hamburg zu pendeln.

Der Bator-Irrtum

So unterschiedlich all diese Beweggründe auch sein mögen, sie eint ein Muster: Offensichtlich ist es für einen größer werdenden Kreis an Journalist:innen nur noch sehr eingeschränkt attraktiv, sich regelmäßig bis zur Rente an ein Moderationspult zu stellen, um die Ereignisse des Tages zu verkünden.

Das eigentliche Problem daran ist aber (aus Journalist:innensicht): Auch vermeintlich vielversprechende Alternativen haben sich zuletzt regelmäßig als Sackgasse entpuppt. Linda Zervakis wechselte 2021 von der "Tagesschau" zu ProSieben, um Neues zu wagen – und nach der Einstellung ihres Magazins "Zervakis & Opdenhövel" dort nun die Comedy-Variante einer Nachrichtensendung zu moderieren, "Fake News".

Pinar Atalay verließ die "Tagesthemen" für RTL, bekam dort nach dem Weggang von Jan Hofer im Vorjahr "RTL Direkt" übertragen – und jetzt die Ansage, dass ihre Sendung leider den Programmablauf ihres Arbeitgebers zu sehr stört. Im Sommer ist Schluss. Als Trostpflaster gibt's eine eigene Talkshow bei ntv. Was bisher vermutlich auch nicht unbedingt ganz oben in Atalays Karriereplan stand. Aber natürlich eine Spitzenwarnung für alle ist, die glauben, sie könnten sich im News-Fach weiterentwickeln, indem sie zur Konkurrenz wechseln. (Im Lexikon nachschlagbar unter "Marc-Bator-Irrtum, der".)

Superöde und berechenbar

ARD und ZDF sollten sich trotzdem nicht entspannt zurücklehnen und darauf pochen, dass es bei ihnen ab der zweiten News-Reihe zwar superöde ist und wenig vorangeht, aber das immerhin: mit allergrößter Berechenbarkeit. Denn im Zweifel kommt bald einfach niemand mehr nach, der den Job noch machen will (oder wird direkt assimiliert von "Tagesschau together" auf Twitch). Und mit großen Geldbündeln können die Sender ja auch nicht winken, um das Erbe von Berghoff, Köpke und Friedrichs zu bewahren.

Allerhöchste Zeit für einen Notfallplan! Mit lauter Vorteilen und freiwilligen Leistungen, die öffentlich-rechtliche Sender Talenten künftig anbieten müssen, damit die sich wertgeschätzt fühlen und überzeugt davon bleiben: News sind good für mich!

Vorteil 1: Zamperoni-Privileg für alle

Nicht jede:r hat Gelegenheit, sich so auslandsreportagekompatibel zu verheiraten wie Ingo Zamperoni, der sich spätestens seit seinem zweiten familiär gefärbten USA-Gesellschaftsporträt, dem dazu passenden Einordnungs-Podcast und der "Die 100"-Moderation selbst als universell einsetzbare Info-Marke etabliert hat. Nicht viel weniger sollte ARD aktuell auch anderen "Tagesthemen"-Moderator:innen und 20-Uhr-Sprecher:innen in Aussicht stellen (falls gewünscht): alle 18 Monate mindestens das Recht auf eine eigene Reportage zu einem Thema nach Wahl!

Julia Niharika-Sen berichtet aus Kalkutta über von Armut betroffene Kinder? Thorsten Schröder reist zum Ironman Hawaii und macht eine eigene Sportreportage über Triathleten? Würde ich sofort alles anschauen wollen. Warum also nicht die (privaten) Interessen der Profis im Haus vollumfänglich nutzen, um den eigenen Zuschauer:innen neue Perspektiven auf die Welt zu liefern? So kann sich jede:r, die bzw. der will, journalistisch weiterentwickeln, ohne gleich den Hauptjob hinzuschmeißen.

Vorteil 2: Die Persönlichkeits-Flatrate

Pro Quartal ist ab sofort ein kontrollierter Persönlichkeitsausbruch erlaubt: Ein Instagram-Post mit Meinung, ein Podcast-Gastauftritt mit kritischen Zwischentönen oder wenigstens ein genervtes Augenrollen bei besonders absurden Meldungen. Selbstverständlich nach vorheriger Koordination mit der Chefredaktion und Endabnahme durch den ARD-aktuell-Neutralitätsbeuaftragten. Dann können Sprecher:innen auch mal zeigen, dass sie Menschen sind – ohne dass gleich die Staatskrise ausbricht. (Oder Jens Riewa auf Facebook; via Übermedien Newsletter.)

Vorteil 3: Das Konkurrenz-Schutzpaket

Wer fünf Jahre brav Nachrichten verlesen hat, bekommt eine vertraglich garantierte Anschlussverwendung: wahlweise eine Dokumentationsreihe in einem der Dritten oder bei ZDFneo, ein neues superkonservatives NDR-Magazin zur Unionsbesänftigung oder zwei jährliche Moderationen von Eurovisionssendungen (eine davon in Vertretung von Florian Silbereisen).

Hauptsache, es muss sich niemand mehr mit großen Versprechungen aus Unterföhring oder Köln-Deutz weglocken lassen, die sich im Nachhinein als Luftsendeschlösser entpuppen. Sicherheit ist in diesen bewegten Zeiten schließlich das A und O – gerade wenn der Job daraus besteht, das Publikum täglich über Unsicherheiten zu informieren.

Vorteil 4: Die Homeoffice-Zusage

Schluss mit der Hamburg-Zwangsehe! Wer nicht jeden Tag nach Lokstedt pilgern will, bekommt ein vollausgestattetes Heimstudio in die Wohnung gebaut. Teleprompter, Kamera, perfekte Ausleuchtung – alles da. Wenn Millionen Deutsche ihre Work-Life-Balance vom eigenen Küchentisch steuern können, während das Kind nebenan Hausaufgaben macht, muss das auch den News-Anchors von heute und morgen möglich sein. Und wäre das nicht auch eine völlig neue Herausforderung für Setdesign-Papst Florian Wieder: das in wenigen Handgriffen zum Nachrichten-Set verwandelbare Wohnzimmer?

Vorteil 5: Der Promi-Bodyguard

Jede:r kennt das: Eben beim Gemüseschnippeln mal kurz am Smartphone ein falsches Like gesetzt oder beim Instagrammen mit dem Selfie-Stick aus Versehen redaktionelle Interna ausgeplappert – schon fällt die Quatsch-News-Meute von Watson, Der Westen & Co. über einen her und der Google-News-Alert auf den eigenen Namen hört wochenlang nicht mehr auf zu bimmeln.

Nie wieder! Nachrichten-Moderator:innen bekommen künftig eigene Social-Media-Manager:innen zugeteilt, die verhindern, dass man sich beim Bügeln verklickt, auf der Pflicht-Familienfeier versehentlich neben dem peinlichen AfD-Onkel abgelichtet wird und in die Bredouille kommt, weil man auf der Party neulich ein bisschen angetrunken erzählt hat, das man schon mal gegendert hat. Digitaler Personenschutz für alle, die politische Neutralität bewahren müssen, aber trotzdem ein Privatleben haben wollen!

Sie sind unschlüssig, wie zielführend das alles ist?

Na, dann sollten Sie sich aber schleunigst was Besseres einfallen lassen, bevor der Fachkräftemangel demnächst auch "Tagesschau" & Co. vollumfänglich erfasst und es für Deutschlands News-Flaggschiffe endgültig heißt: "Good Night, and Good Luck." Denn das wären dann mal wirklich richtig schlechte Nachrichten.

Und damit: zurück nach Köln.