Es sind geschäftige Zeiten für Steffen Henssler: Vergangenen Sonntag musste er das "Gipfeltreffen der Kochgiganten" zum Abschluss bringen und mit den Kollegen Ralf Zacherl und Ali Güngörmüş in Staffelkochgängen eine essbare Weltreise mit Überraschungszutaten (Enoki-Pilze, Okra-Schoten, Harissa, Ochsenherztomate, Fingerlimette) auf die Teller der Jury von "Hensslers Dreamteam" zaubern, um die Profi-Gegner auszustechen.
Am Mittwoch, der "leckersten Zeit der Woche", war er im Musik-Motto-Special von "The Taste" in Sat.1 voll und ganz damit beschäftigt, sein Hobbyköch:innen-Team eine kulinarische Pauke auf den legendären Probierlöffel kredenzen zu lassen, um Gastjuror Daniel Gottschlich zu überzeugen und (u.a.) seinen Konkurrenten Alexander Herrmann auszustechen.
Und an diesem Sonntagabend geht's direkt weiter, wenn Henssler zum Auftakt des neuen vierteiligen "Grill den Henssler"-Spin-offs "Europa grillt den Henssler" mit dem türkischen Traditionsgericht "İçli Köfte" gegen Musikproduzent Mousse T. glänzen muss, bevor Herrmann und Güngörmüş in der Jury urteilen, ob ihm das gelungen ist. Nicht zu vergessen: Hensslers YouTube-Kanal "Hensslers schnelle Nummer", wo nach den Rezeptspecials zum Airfryer-Doppelkorbmodell eines bekannten Herstellers diese Woche schnelles Hähnchengeschnetzeltes "Asia Style" und Omas Milchreis mit Crunch-Rezept dran waren.
Die Konkurrenz macht's ähnlich
Seit Mitte September, als die "Grill den Henssler Sommer-Specials" starteten, bespielt Vox seinen Sonntagabend pausenlos mit der "guten Laune auf zwei Beinen", wie Konkurrent Sat.1 den "Giganten der Kochwelt" nennt, den man sich in diesem Jahr für die 14. "The Taste"-Staffel ausgeliehen hat, deren Stammbesetzung aus Promi-Personalnot in die Jurys der Henssler-Shows bei Vox hineinsuppt, und sich dort von Moderatorin Laura Wontorra anpieksen lassen muss: "Für dich auch gute Nachrichten: Endlich mal das ganze Besteck, nicht nur ein Löffel. Ist doch viel besser bei uns hier."
Natürlich könnte man sich fragen, ob so viel Henssler & Konsorten bei den Zuschauer:innen nicht sehr bald zu einem nachhaltigen Sättigungsgefühl führen wird. Also: außer als veranstaltender TV-Sender natürlich, der lieber so lange stillhält, bis wirklich niemand mehr kommen mag.
Die Konkurrenz macht's ja ganz ähnlich: ProSieben wechselt für seine wöchentliche Joko-&-Klaas-Dosis zwischendurch immerhin noch Genre und Ausstrahlungstag (Quiz am Samstag und Sonntag, Competition am Mittwoch). Währenddessen schickt RTL Stefan Raab wie in der vorvergangenen Woche auch tageweise hintereinander ins lineare Quotenrennen: am Mittwoch mit der "Stefan-Raab-Show", am Donnerstag zu "Raabs Pokernacht", am Samstag mit "Die Unzerquizbaren".
An der falschen Stelle gemeckert?
Ebenso wie bei Henssler sind Raabs RTL-Shows größtenteils ein Best-of bisheriger Erfolgsformate – eine mehr oder weniger inspirierte Variante dessen, was die Herren schon immer gemacht haben. Raab misst sich in Quizfragen oder Geschicklichkeitsaufgaben mit Normalo-Kandidat:innen und liest Gags zu TV-Ausschnitten der vergangenen Woche von Pappen ab. Henssler misst sich permanent im Wettkochen mit prominenten Herausforderer:innen – mal im Team, mal alleine; mal steht das Jurypult im Studio hinten, mal vorn; mal sind die Anrichtfarben für die Teller Rot und Blau, mal Lila und Rosa.
Und vielleicht ist diese Aversion gegen alles, was irgendwie neu und anders als sonst ist – genau das Richtige.
Weil alle, die permanent Innovation von alten Showhasen wie Raab und Henssler einfordern (wie der "Spiegel" gerade im Gespräch mit "RTL-Inhalte-Offizier" Inga Leschek: "Die sehen wir beim besten Willen nicht", Abo-Text), womöglich an der völlig falschen Stelle meckern.
Der Experimentier-Antrieb lässt nach
Zum einen: weil die Stars es ja schon versucht und damit eine ziemliche Bruchlandung hingelegt haben. Als Henssler vor acht Jahren überraschend zu ProSieben wechselt, um dort die Samstagabend-Nachfolge von Stefan Raab in "Schlag den Henssler" zu übernehmen, stellte sich das schnell als großes Missverständnis heraus: Henssler gefiel weder sich selbst noch dem Publikum in der neuen Rolle. Also kehrte er zurück zu Vox, um da weiterzumachen, wo er aufgehört hatte und vom Publikum geliebt wurde. Raab wiederum hatte während seiner Bildschirmabstinenz mehrere Jahre Zeit, sein kreatives Schaffen in der Produzentenrolle fortzusetzen – ohne in dieser Zeit aber auch nur einen einzigen Format-Hit landen zu können. Das Scheitern von "Du gewinnst hier nicht die Million" machte dann endgültig einen Deckel auf die Erfinder-Ambition.
Insofern ist es mehr als verständlich, dass beide heute lieber vorsichtig variieren und auf Nummer sicher gehen. Alles andere wäre sogar eine echte Überraschung, wenn man dem Wissenschaftsjournalisten Stefan Klein ("Die Glücksformel") Glauben schenken will.
In seinem kürzlich erschienenen Buch "Aufbruch – Warum Veränderung so schwer fällt und wie sie gelingt" beschreibt Klein, wie sich Menschen mit zunehmenden Lebensjahren nicht nur äußerlich verändern: Sie "riskieren im Alter weniger, werden generell ängstlicher. Sie verlassen sich auf ihre Erfahrung, versuchen seltener, Probleme auf neue Weise zu lösen. Der Antrieb zu experimentieren lässt nach."
Je jünger, desto bahnbrechender
Pablo Picasso etwa habe in jungen Jahren die Malerei revolutioniert – und sich in seinen späteren Werken dann vor allem selbst zitiert. Eine Analyse von über einer Million amerikanischen Patentanmeldungen bestätigt laut Klein das Muster: Je jünger die Erfinder:innen, umso häufiger waren ihre Ideen bahnbrechend. Je älter, umso öfter zielten ihre Anträge auf graduelle Verbesserungen bereits vorhandener Technik ab.
Und wenn man Henssler (53) und Raab (59) sozusagen als Show-Altmeister unserer Zeit verstehen möchte, dann ist doch klar, dass sich der kreative Impuls vom Experimentieren zur Selbstwiederholung verschiebt. (Umgekehrt werden wir leider nie in Erfahrung bringen, wie Picasso seine Arbeit angepasst hätte, wenn es damals schon Heißluftfritteusen als Sponsored Painting zu malen gegeben hätte.)
Was zum Beispiel Medienkritiker:innen Stars gemeinhin als mangelnde Innovation vorwerfen, ist in Wahrheit womöglich ein normaler Prozess kreativen Alterns. Der alte Picasso durfte Meisterwerke schaffen, die auf seinen früheren Erfindungen aufbauten. Henssler und Raab werden dafür gescholten. Was ungerecht ist.
Vor allem, weil es ja andere gibt, die sich dafür viel besser schelten lassen: die Sender!
Künstlich kleingehaltener TV-Nachwuchs
Dort nämlich liegen die wahren Versäumnisse dieser Entwicklung. Denn schon aus Selbsterhalt müsste es die vordringlichste Aufgabe der Programmverantwortlichen sein, permanent nach 30-Jährigen Ausschau zu halten, die gerade ihre "blaue Periode" durchlaufen, vor Kreativität nur so sprühen – und Gelegenheiten zu schaffen, diese möglichst publikumswirksam auszuleben. Ohne all die Zwänge, die ihnen derzeit dabei auferlegt werden: Nacht- und Nischensendeplätze, Mini-Budgets und günstige Block-Aufzeichnungen, Mediathekenvorrang und lineare Resteverwertung.
Auch dafür gibt es nachvollziehbare Gründe: In der Werbemarktflaute und angesichts anhaltender Gebührendiskussionen leiden die Sender mehr denn je unter wirtschaftlichen (Spar-)Zwängen. Deshalb schicken Sie nur noch minimale Variationen dessen auf Sendung, was das Publikum schon kennt und goutiert. Obwohl das keine langfristige Strategie sein kann, wenn man sich die Quoten für Raabs RTL-Shows und "Hensslers Dreamteam" ansieht. (Auch bei ProSieben gibt es Abnutzungserscheinungen.) Gleichzeitig verschieben sich die Kräfteverhältnisse zwischen linearem Angebot und Streaming nachhaltig.
Aber das ändert nichts an der Problematik, dass viele Künstler:innen, die heute schon eine sehr viel größere Nummer im klassischen Bewegtbildmarkt sein könnten, von den Sendern eher künstlich kleingehalten werden.
Mehr Geduld und Beharrlichkeit
Bislang ist es keinem gelungen, die enorme öffentliche Präsenz der Kaulitz-Brüder kontinuierlich für sich zu nutzen – ProSieben hat sie in der "Superduper Show" versenkt und nachher nichtmal sein Versprechen eingehalten, auf einem neuen Sendeplatz einen weiteren Anlauf zu wagen.
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Und es mag aus ZDF-Sicht ja gute Gründe geben, "Edins Neo Night" mit Edin Hasanovic nicht mehr fortzusetzen. Aber eigentlich müsste das mit der Ankündigung verknüpft sein, ihn als nächstes mit größerem Budget auf einem besseren Sendeplatz einzusetzen (anstatt ihn endgültig vom "Tatort" assimilieren zu lassen).
Die Hensslers und Raabs von morgen brauchen nicht nur Sendeplätze, auf denen sie gefunden und gesehen werden können – sie brauchen auch die Geduld und Beharrlichkeit ihrer Auftraggeber, für die es zunehmend selbstverständlich ist, neuen Produktionen direkt den Stecker zu ziehen, wenn sie nach zwei Folgen noch nicht quotenknallen. Das mag beim x-ten-Reality-Aufguss, der sich ins Nachtprogramm verschieben lässt, nicht so dramatisch sein. Für die Entwicklung derjenigen, die in Zukunft größere Teile der gewohnheitsbasierten Bewegtbildunterhaltung schultern sollen (in welchem Kanal auch immer), ist es das allerdings schon. Denn wenn das Fernsehen weiter nur seine Altmeister abfeiert, während die jungen Talente im Keller malen, wird es schneller zum Museum als ohnehin schon.
Und damit: zurück nach Köln.
Vox zeigt "Europa grillt den Henssler" sonntags um 20.15 Uhr; "Die Stefan-Raab-Show" läuft mittwochs um 20.15 Uhr bei RTL.
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