Wir sind hier ja unter uns, also kann ich ehrlich mit Ihnen sein. Ich hab mich dazu entschlossen, nochmal umzuschulen: vom Sonntagskolumnisten zum Alltagsprotagonisten. Von denen braucht das Fernsehen schließlich so beharrlich Nachschub, dass dabei – wenn man’s richtig anstellt – ein weitgehend krisensicherer Vollzeitjob rausspringt. Obwohl ich mit meinem mehrjährigen Studium der Television samt abschließendem Bachelor in Paradise über ausreichende Vorbildung verfüge, weiß ich natürlich: Das ist kein Zuckerschlecken. Erst recht nicht, wenn man sich vorgenommen hat, als idealtypischer Nutzprotagonist den Ansprüchen gleich mehrerer Sender zu genügen. Aber jetzt ist es entschieden: Ich mach Karriere als eierlegende Wollmilchsau des deutschen Dokusoap- und Reportage-Fernsehens!

Dafür hab in den vergangenen Wochen von den Besten ihres Faches gelernt: denen, die es schon geschafft haben, sich im Medium ihres Vertrauens Prominenz damit zu erarbeiten, sie selbst zu sein.

Als allererstes hab ich Anfang des Jahres ein abgerocktes Lokal auf Mallorca gemietet, um dort im Zuge meiner geplanten Auswanderung direkt an der Strandpromenade das bislang größte (und einzige) Gastro-Projekt meines Lebens zu eröffnen. Ganz bewusst hab ich mich zuvor gegen Los Angeles als Alternativziel entschieden, weil ich aus der Vox-Erfolgsreihe "Goodbye Deutschland!" weiß, dass es sich bei der Metropole um "das Haifischbecken der USA" handelt, "extrem teuer und schnelllebig": "Deutsche Auswanderer, die es hier schaffen, spielen in der Champions League." Mir reicht vorerst Europa League, und man muss ja auch bescheiden anfangen: in diesem Fall halt mit dem Ziel, festes Ensemble-Mitglied beim "Goodbye Deutschland!"-Special "Viva Mallorca" zu werden.

Aber dann kommt Corona!

Ich will da ganz ehrlich sein: Eigentlich hab ich mir das alles ganz anders vorgestellt. (Schon mal keine schlechte Voraussetzung.) Auf der Baustelle im Restaurant wäre es lange nicht so richtig vorangegangen. Die Handwerker waren auch schon instruiert, die Arbeit schleifen zu lassen, um mich zeitlich in Bedrängnis zu bringen. Rechtzeitig zu Saisonbeginn hätte die Eröffnung im allerletzten Moment aber doch noch geklappt. Selbstverständlich wäre meiner anfänglichen Euphorie auf der "Sonneninsel" große Ernüchterung gefolgt: Als Konsequenz der Thomas-Cook-Pleite im Vorjahr wären viel weniger Gäste gekommen, anschließend hätte ein Sturm hätte den Laden geflutet. Und der Umsatz hätte nicht mehr gereicht, um die hohen Kosten zu decken.

Aber dann kam Corona. (Oder, wie man bei Vox sagt: "Leise, unaufhaltsam nimmt das Virus Kurs auf die Kanaren.")

Und mit einem Mal waren all die Pläne, die ich mir vorher zurecht gelegt hatte, futsch. Seitdem läuft mein Scheitern ohne weiteres Zutun vollautomatisch ab. Ich muss plötzlich zwar an allen Fronten kämpfen – aber viel früher als geplant! Auf die Ausgangssperre folgte der Umsatzeinbruch und wochenlang hatte ich kaum noch Kontakt zuur Außenwelt, Kamerateams ausgenommen. Während ich den Laden mit einem notdürftig improvisierten Lieferservice endgültig in Richtung Pleite navigierte, fragte mich eine wie aus dem Nichts kommende Stimme: Ist mein Traum vom Auswandern ausgeträumt, wenn mein Restaurant diese Krise nicht übersteht? Muss ich dann zurück nach Deutschland?

Konfrontation im Frauenkloster

"Ich bin stark an meinen Grenzen, aber da red’ ich kaum drüber", sag ich in solchen Situationen im Face-to-Face-Interview. Und, während jeder Euro zählt, bevor der nächste Lockdown droht: "Nicht eine Sekunde hab ich drüber nachgedacht, zurück nach Deutschland zu gehen!" Also: jedenfalls, nicht so lange Vox noch da ist.

Inzwischen hab ich ohnehin Kabel Eins zugesagt, mich auf ein einzigartiges Experiment einzulassen, um meinen Aggressionen als orientierungsloser Ex-Kolumnist Herr zu werden. Psst, dass mich der Sender dafür gar nicht in den angedeuteten Partyurlaub schickt, sondern für ein achttägiges Konfrontationsexperiment in ein weißrussisches Frauenkloster, haben Sie natürlich nicht von mir. Auf das arme, keusche und gehorsame Leben bin ich natürlich gänzlich unvorbereitet, habe mir lediglich vorgenommen, beim Treppenhausputzen und Tassenbemalen völlig auszurasten und eine wohlmeinende Nonne anzubrüllen, die mich fürs Morgengebet vor elf aus dem Bett im Pilgerheim zerrt, um mir nachher Überbackenes mit Rotkohlsalat zu servieren: "Ihr macht das ja alles nur für Spenden!"

Darüber dass ich in jüngerer Zeit keinerlei Verfehlungen als "Gesetzesbrecher", "Partyluder", "Schulschwänzer" oder "Beauty Diva" glaubhaft machen konnte, hat die Produktionsfirma großzügig hinweg gesehen und gemeint, die Vergangenheit als "Medienjournalist" reiche zur Teilnahme völlig aus. Zum Schluss plane ich ohnehin, mich der üblichen Läuterung zu fügen, und beim Abschied weint meine Vertrauensnonne, zu der ich ein richtig prima Verhältnis aufgebaut habe, weil ich ihr versprach, mich grundlegend zu ändern. Wofür ich nunmehr in die Mannheimer Benz-Baracken ziehe, damit dort endlich RTLzwei auf mich aufmerksam wird.

Sanella, Salatcreme und Sekt von Silvester

Wie das geht, weiß ich ja: erst mit den Stars von "Hartz und herzlich" bei Facebook anfreunden, dann in meiner alten Heimat (Mallorca) alles aufgeben, um umzuziehen und erwerbsunfähig zu werden – der Elvis lässt mich auch erstmal in seiner Waschküche wohnen. Schwupps, schon bin ich mittendrin in der "Hartz-IV-Hochburg von Baden Württemberg", wo die Kamera niemandem von der Stelle weicht, bis alle Behördengänge, Wohnungsräumungen und familiären Auseinandersetzungen absolviert sind.

Ganz ungeskriptet und unverstellt, versteht sich. Und um dem bürgerlichen, paternalistischen Reflex der Kritiker entgegen zu wirken, die mit ihrer distanzierten Formatbeurteilung bloß mich als Protagonisten entmündigen! Das will ich nicht. Ich will mich aus freien Stücken dazu auffordern lassen, völlig unverstellt die Kühlschranktür zu öffnen, um zu demonstrieren, dass nur noch Sanella, Salatcreme und Sekt von Silvester drin sind, weil das Geld vorm nächsten Zahltag wieder knapp geworden ist.

Spontan will ich über die eingeschränkte Produktauswahl der Tafel meckern, während ich die günstig erstandenen drei Kilo frischen Kloßteig mit meinem Privat-PKW nachhause chauffiere – wo sich die XXXL-Dosen Tabak-Feinschnitt dekorativ vor mir auf dem Tisch auftürmen, während ich Auskunft über meine fehlende Berufsausbildung erteile. Und weil der Off-Kommentator dazu verdonnert ist, jeden noch so miserablen Zustand ins Positive zu verdrehen, fühle ich mich bei RTLzwei gut aufgehoben.

Bevor’s mir dann doch zu bunt wird – und ich endgültig ins seriöse Fach wechsele: ins ZDF zu "Terra X – Abenteuer Freiheit", wo Aussteiger noch so behandelt werden wie es ihnen gebührt: als Heilige des Zivilisationsrückzugs. Mit Stil!

Darf ich ein paar Schnittbilder anbieten?

Ich hab ja nicht umsonst über Monate diesen ausziehbaren Wohncontainer auf den gebraucht erstandenen LKW geschraubt, um mein altes Leben hinter mir zu lassen, und mit der ganzen Familie die Panamericana abzufahren, einmal von Alaska bis Feuerland runter. Damit wir gemeinsam die Erfahrung machen können,  im ecuadorianischen Grenzgebiet von Stämmen eingeladen zu werden, die den Kontakt zur westlichen Gesellschaft sonst vollständig meiden, oder den Quad aus der Containerseite purzeln zu lassen, um mal ohne Anschnallpflicht über ein paar Gebirgsstraßen zu sausen! Kann es etwas Befriedigenderes geben als in Kamerabegleitung mit dem Zwölftonner über bröckelige Dschungelbrücken zu brettern, damit das Bildungsfernsehen anschließend ein paar schöne Schnittbilder für seine animationsangereicherte Dokumentation über untergegangene Zivilisationen und unentdeckte Regionen hat, bevor die nächstes Jahr im "Lonely Planet" auftauchen?

Die Welt da draußen mag schnelllebig und unkalkulierbar geworden sein. Das deutsche Dokusoap- und Reportagefernsehen ist es nicht. Es braucht bloß stetig neue Protagonistinnen und Protagonisten für seine Erzählungen. Immer. Wieder. Dieselben. Erzählungen.

Was mit all seiner berechenbaren Verlässlichkeit natürlich auch höchst anstrengend ist, wenn ich’s mir genau überlege. Okay, überredet: Nächste Woche schreib ich einfach wieder Kolumne. Falls Sie Verwendung für ein geflutetes Lokal und einen runtergerockten LKW haben, sagen Sie kurz Bescheid. Die Kohle könnte ich gebrauchen.

Und damit: zurück nach Köln.

Kabel Eins zeigt neue Folgen von " Ab ins Kloster!" donnerstags um 20.15 Uhr; bisherige Episoden von "Goodbye Deutschland! Viva Mallorca" lassen sich bei TV Now streamen; "Hartz und herzlich" läuft werktäglich um 15 Uhr bei RTLzwei sowie bei TV Now; "Terra X – Abenteuer Freiheit" gibt's in der ZDF-Mediathek.